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Russland
Druck auf oppositionelle Stiftung

Einige ihrer Mitglieder wurden bereits vergiftet, verhaftet, leben im Exil - in der Stiftung "Offenes Russland" kämpfen vor allem junge Menschen für eine offene Gesellschaft und Bürgerrechte. Für die Wahl eines neues Führungsgremiums haben sich die Delegierten nun getroffen - im sicheren Ausland.

Von Thielko Grieß | 29.03.2018
    Eine leicht zerzauste russische Fahne weht in Wolgograd vor einem heiteren HImmel
    Russische Flagge (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    Bei "Offenes Russland" herrscht Wahlkampf. Elsa Nissanbekowa ist Juristin, 26 Jahre alt und will in den Rat der Organisation. Elf Sitze sind zu wählen, für die es mehr als 20 Bewerber gibt. Sie alle wollen Russland zu einem Land machen, in dem Freiheit wieder größer geschrieben werden kann. Elsa tritt vorn ans Mikrofon:
    "Unsere Bürger sind juristische Analphabeten. Da eines der Ziele von 'Offenes Russland' ist, sich an Wahlen zu beteiligen, finde ich, dass man Wähler darauf vorbereiten muss. Das heißt, eines der Projekte, das ich als Mitglied des Rates umsetzen möchte, ist, die Zivilgesellschaft und die Rechtskompetenz der Bevölkerung zu fördern. Das wäre es. Stimmt für mich. Ich bin die Nummer 18."
    Das letzte Treffen wurde von der Polizei beendet
    Elsa stammt aus Kasan in der russischen Teilrepublik Tatarstan. Sie ist, wie alle hier, eigens nach Vilnius, der Hauptstadt Litauens, geflogen. Nachdem das letzte Treffen in Moskau von der Polizei beendet worden war, treffen sie sich nun im Ausland. Wladimir Schilkin, ein hagerer Mann in seinen 40ern, ist aus Tambow angereist. Er hat Demonstrationen gegen Korruption organisiert und wollte vor zwei Jahren für das Parlament Russlands kandidieren. Deshalb, so sagt er, habe er seine Arbeitsstelle als Soziologe an der Universität nach 20 Jahren verloren. Er sei schon viele Male festgenommen worden, jüngst sei versucht worden, ihm ein Kapitalverbrechen anzuhängen:
    "Im Januar wurde ich wegen Mordverdachts festgenommen. Selbstverständlich habe ich keinen Mord begangen. Das ist eine Form des Drucks auf die Opposition. Letztlich kam ich mit einer leichten Strafe davon. Aber ich darf kein Mitglied der Kommission sein, die Wahlen organisiert und nicht kandidieren. Das sind Techniken, die dazu dienen, die Opposition einzudämmen."
    Von ähnlichem Druck erzählen auch andere der gut 130 Mitglieder, die hier beieinander sind. Nicht umsonst steht vor der Tür des Tagungshotels ein großer Wagen der litauischen Polizei. Für manche ist eine Einreise nach Russland nicht mehr vorstellbar, wie etwa für Wladimir Kara-Mursa, einen investigativen Journalisten und Publizisten, der schon zwei Mal von unbekannter Hand vergiftet wurde und deshalb inzwischen mit seiner Familie in den Vereinigten Staaten lebt. Auch der frühere Öl-Oligarch Michail Chodorkowskij ist nach mehrjähriger Haft und Begnadigung nach London gezogen. Er hat "Offenes Russland" 2016 in seiner jetzigen Form gegründet.
    Der im Exil lebende Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski
    Der im Exil lebende Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski hat "Offenes Russland" gegründet. (dpa / picture alliance / Alastair Grant)
    Eine Million von Öl-Oligarch Michail Chodorkowskij
    "Ich habe die Möglichkeit, das zu tun, was ich für richtig halte, Menschen so zu helfen, wie ich es für richtig halte. Und für richtig halte ich, die gesellschaftliche Psyche schrittweise in Richtung eines Rechtsstaates voranzubringen. Deswegen sprechen wir von Rechtsbeistand. Deswegen sprechen wir von politisch-juristischer Bildung. Deswegen sprechen wir davon, die Gesellschaft zu informieren." Chodorkowskij gibt an, er investiere aus seinem Vermögen jährlich gut eine Million Dollar in die Arbeit von "Offenes Russland". Neben ihm gebe es weitere Spender, auch in Russland selbst. Er behauptet:
    "Ich verfolge nicht das Ziel, für irgendeinen Posten in der Russischen Föderation zu kandidieren. Ob ich aber einen unterschwelligen Wunsch habe, Erfolg zu erzielen? Wahrscheinlich schon, wie jeder Mensch. Das ist eine Arbeit mit potenziellen politischen Führungsfiguren, mit Leuten, die dazu werden wollen." Diese Arbeit dürfte der Kreml trotzdem als politische Einflussnahme begreifen.
    Spät in der Nacht ist klar, wer die Organisation künftig führt. Elsa Nissanbekowa, die Juristin aus Kasan, ist in den Rat gewählt worden. Auch sie wurde wegen ihres Engagements schon einmal vor die Staatsanwaltschaft zitiert: "Ich vermute, wenn bekannt gegeben wird, dass ich in den Rat von 'Offenes Russland' gewählt worden bin, kommt das vor Gericht." Sie macht nicht den Eindruck, als würde sie diese Aussicht schrecken.