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Russland
Eine Kirche für die Gläubigen in Rjasan

Bisher musste der katholische Pater Josef die Messe in seinem Wohnzimmer für die Gläubigen in Rjasan lesen. Denn nach der Oktoberrevolution galt Religion in der Sowjetunion als Privatsache, Kirchengebäude wurden umfunktioniert. Nun wurde der Bau der Gemeinde zurückgegeben.

Von Sabine Adler | 08.06.2018
    Die Christi Geburt-Kathedrale aus dem 14. Jahrhundert und die Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale. In der Mitte der Palast des Fürsten Oleg (1653-1692).
    Russland - Rjasan: Die Christi Geburt-Kathedrale aus dem 14. Jahrhundert und die Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale. In der Mitte der Palast des Fürsten Oleg (1653-1692). (dpa / picture alliance)
    Das sind nicht die Glocken der Katholischen Kirche in der westrussischen Stadt Rjasan, sondern die von der baptistischen gegenüber. Denn die katholische Marien-Kirche, in der über 80 Jahre kein Gottesdienst mehr gefeiert wurde, hat nicht einmal einen Turm.
    "Aus dem Archivmaterial wissen wir, dass es einen einzelnen, freistehenden Glockenturm gab und ein Wohnhaus für den Priester", erklärt Pater Josef und sein Freund Iwan Severin ergänzt: "Wahrscheinlich haben sie ihn abgerissen, als sie den Pionierpalast gebaut haben."
    Der Pionierpalast wurde auf dem Friedhof errichtet, ganz nah am alten Gotteshaus, das eher an einen Festsaal, denn einen Sakralbau erinnert. Jahrelang war Pater Josef der Zutritt verwehrt, deswegen freut sich der 65-jährige mit dem Kollarkragen noch immer jedes Mal, wenn er die Tür aufschließt.
    "Mach mal die Tür zu! So, das ist also unsere Kirche. Sie haben eine zweite Etage hier im Kirchenschiff eingezogen."
    Bisher musste Pater Josef die Messe im Wohnzimmer lesen
    Pater Josef scheut die neugierigen Blicke von der Straße. Er holt aus seiner Aktentasche Papiere.
    "Hier steht es: Im Dezember haben sie uns die Kirche überlassen, wir dürfen sie nutzen, kostenlos. Mit etwas Glück bekommen wir sie sogar als unser Eigentum zurück, die Unterlagen dafür habe ich eingereicht."
    Es ist das erste Mal seit er 1999 in Rjasan ankam, dass Pater Josef in einer Kirche arbeiten darf – bisher musste er die Messe immer in Wohnzimmern lesen. Seine neue Kirche sieht allerdings innen auch eher wie ein Wohnhaus aus.
    "Das ist wegen der Trennwände", sagt Pater Josef und geht durch den Korridor voran, der genau durch die Mitte des Kirchenschiffes führt, das aber nicht zu sehen ist, denn links und rechts davon liegen abgeteilte Zimmer. "Das war mal ein großer Saal. Aber jetzt gibt es zwei Stockwerke."
    Andere Gotteshäuser wurden als Lagerhallen oder gar Ställe zweckentfremdet
    Wir sind am Ende des Korridors angelangt. "Und wie sie es immer gemacht haben, verhält es sich auch hier: An dem Platz, wo der Altar stand, bauten sie eine Toilette. Das geschah mit voller Absicht."
    "Wir warten auf die Erlaubnis für die Renovierung, denn das Gebäude gilt als Kulturdenkmal. Allein die Planung kostet fast fünf Millionen Rubel, umgerechnet 70.000 Euro. So viel Geld haben wir nicht, deswegen werden wir für den Gottesdienst nur ein Zimmer herrichten können."
    Anschlüsse für Wasser und Strom sind vorhanden. 1935 hat das NKWD, der Vorläufer des sowjetischen Geheimdienstes KGB, das Kirchengebäude erst in ein Wohnheim und später in eine Filiale der Kunsthochschule umfunktioniert. Glück für die Rjasaner Katholische Kirche, die Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurde, denn andere Gotteshäuser wurden als Lagerhallen oder gar Ställe zweckentfremdet.
    "1935 verfügte das NKWD, dass das Gebäude anderweitig genutzt wird, wegen des Fehlens von Katholiken, so stand es in den Unterlagen. Sie mussten es wissen, denn sie waren es, die die Gläubigen in Gefängnisse und Lager gesperrt hatten."
    Protestanten bekommen ihre Kirche nicht zurück
    20 Jahre lang kämpfte Pater Josef um die Kirche. Erst als der damalige russische Präsident Dmitri Medwedjew im Jahr 2010 das Gesetz über die Rückgabe der Kultstätten erließ, wusste Pater Josef, an wen er sich wenden konnte. Zu den Gottesdiensten lud er die kleine Gemeinde all die Jahre in seine Wohnung ein, derweil wurde die Kirche ausgeraubt.
    "Hier befand sich eine wunderbare Orgel. Sie wurde nicht gespielt und schließlich hat man sie Stück für Stück gestohlen, wegen des Metalls. Es gab ja keinen, der sich zuständig fühlte."
    Iwan Severin, der evangelische Freund von Pater Josef, öffnet ein Fenster. Der Blick geht auf die andere Straßenseite zu der kleinen Kirche, genau gegenüber.
    "Das ist heute eine baptistische Kirche, früher war sie unsere lutherische Kirche. Aber wir bekommen sie nicht zurück, weil das Gesetz sagt: Wenn eine Kirche einer anderen Religionsgemeinschaft gehört, bleibt es dabei. Und so gehen wir leer aus."
    "Die Sowjetunion war gar nicht so atheistisch, wie es die Kommunisten verlangten", sagt Pater Josef, der aus der ehemaligen Tschechoslowakei stammt. Er studierte damals noch als Josef Guntschaga Medizin in Bratislava. Nach seinem Abschluss wechselte er in ein Priesterseminar. Seine Ordination fand in einer slowakischen Untergrundkirche in einer Privatwohnung statt. Noch in der Breschnew-Zeit half der junge Priester, Bibeln und theologische Literatur in die Sowjetunion zu schmuggeln. Schon während seines ersten Aufenthalts stand für ihn fest, dass er in dem Land bleiben wollte.
    "Ich verstand, dass man helfen musste"
    "Logisch war das nicht, denn in der Tschechoslowakei liebte man die Russen aus Prinzip nicht, sie galten als Okkupanten, auch wenn sie als Befreier gekommen waren. Aber sie haben ein Terrorregime errichtet und viele von uns ins Gefängnis geworfen. Doch als ich in Moskau sah, dass die Gläubigen hier um ein vielfaches mehr litten als wir, war alle Abneigung verflogen. Ich verstand, dass man helfen musste. Das sind unsere Leute, gläubige Menschen."
    Auch nach mehr als 30 Jahren verrät sein Akzent, dass Pater Josef kein gebürtiger Russe ist. Manchmal lassen ihn die Menschen in Rjasan das spüren, denn das Nebeneinander der Konfessionen ist noch immer nicht frei von Konflikten. Iwan Severin nickt:
    "Die Menschen empfinden die Katholiken als Fremde, die man nicht brauche."
    In einem Jahr sollen die neuen Fenster eingesetzt sein, damit das Gebäude auch wieder aussieht wie eine Kirche. Die Katholiken hoffen auf die Unterstützung ihrer Partnergemeinde in Münster, denn vom Gesangbuch bis zur Kirchenbank benötigen sie alles.