Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Russland geht es um die Verteidigung der alten Weltordnung"

Die Vereinbarung zur Abrüstung chemischer Waffen in Syrien ist ein Erfolg der russischen Diplomatie, sagt Alexander Rahr. Putin wolle, dass Russland als Großmacht anerkannt wird, ergänzt der Putin-Biograf und Berater des Präsidenten der deutsch-russischen Auslandshandelskammer.

Alexander Rahr im Gespräch mit Thielko Grieß | 17.09.2013
    Thielko Grieß: Aus unseren Formulierungen, hier im Deutschlandfunk zum Beispiel, können wir das Wort "mutmaßlich" inzwischen streichen. Es gab ihn tatsächlich, den Giftgasangriff mit Sarin in Syrien am 21. August. Das steht nach Ermessen der UNO-Inspekteure fest. Welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen? - Dazu Bundesaußenminister Guido Westerwelle gestern Abend:

    O-Ton Guido Westerwelle: "Es steht jetzt fest, dass zum ersten Mal im 21. Jahrhundert Chemiewaffen in Syrien eingesetzt worden sind. Das kann nicht einfach geduldet werden, hier muss die Welt und die Weltgemeinschaft auch handeln. Deshalb ist es wichtig, dass jetzt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Internationalen Strafgerichtshof anruft, damit diejenigen, die den Einsatz von Chemiewaffen zu verantworten haben, auch zur Rechenschaft gezogen werden."

    Grieß: Sie haben Proben genommen vom Boden, Gegenstände eingesammelt, Zeugen befragt, Blut und Urin untersucht und all das zusammenfassen lassen, die UNO-Waffeninspekteure, die in Syrien nach Spuren gesucht haben für einen Chemiewaffeneinsatz. Das Ergebnis fällt eindeutig aus, jedenfalls was das "ob" angeht. Strittig bleibt aber, wer die Waffen eingesetzt hat.

    Am Telefon ist jetzt Alexander Rahr, Präsident des deutsch-russischen Forums, außerdem ein Putin-Biograf. Herr Rahr hat immer wieder für Verständnis für die putinsche Politik geworben. Wir erreichen Sie in Moskau, guten Tag.

    Alexander Rahr: Guten Tag.

    Grieß: Kann sich Putin, kann sich Lawrow, kann sich die russische Regierung mit dem Verlauf der Syrien-Krise bislang schmücken?

    Rahr: Es ist ein Erfolg der russischen Diplomatie, dass Russland es fertig gebracht hat, einen Militäranschlag der Amerikaner auf Syrien zu verhindern und eine Art Koalition, zu der natürlich vor allen Dingen die USA gehören, zusammenzuschmieden, zusammenzuschweißen, die jetzt Syrien chemisch entwaffnen will - unter Führung unter anderem auch Russlands. Das feiert natürlich Russland als großen Erfolg und auch als Bestätigung seiner früheren Position, die immer wieder lautete, das internationale Recht habe hier zu siegen und der UNO-Sicherheitsrat darf bei einer solchen Frage der Gewaltanwendung nicht umgangen werden.

    Grieß: Die russische Politik ist in den vergangenen Jahren häufig davon geprägt gewesen, Stärke zu demonstrieren, um die Rolle Russlands in der internationalen Diplomatie zu stärken. Kehrt nun so etwas wieder zurück wie der alte Glanz?

    Rahr: Das wird Moskau versuchen zu machen. Putin hat ja in seinem Artikel in der "New York Times" klar gemacht, dass Syrien und Assad keine Verbündeten Russlands sind. Russland geht es vor allen Dingen um ein Mitmachen bei der Kreierung der neuen Weltordnung. Es will nicht übergangen werden beim Aufbau einer neuen Welt. Es will seinen UN-Sicherheitsratssitz behaupten und es will vor allen Dingen als Großmacht anerkannt werden. Und wenn diese gemeinsame Diplomatie Richtung Syrien mit Amerika Erfolg hat, dann, denke ich, wird Putin auch seinen Großmachtstatus und seine Autorität in der Weltgemeinschaft stärken können. Das ist Ziel der russischen Politik.

    Grieß: Sind denn in dieser Denke, Herr Rahr, auch diplomatische Erfolge für Russland denkbar, ohne dass ein brutaler, grausamer Bürgerkrieg unbeachtet weiterläuft?

    Rahr: Ja, diese Frage müssen sich jetzt alle stellen: Wie kann Assad A entwaffnet werden und was kommt dann als B, wann wird dieser Bürgerkrieg aufhören. Da, denke ich, stehen sowohl die Amerikaner als auch die Russen am Beginn von zähen und ganz schwierigen Verhandlungen. Aber ich glaube, dass der Genfer Prozess jetzt angelaufen ist und jetzt man versuchen wird und auch es möglicherweise gelingen wird, wenigstens Teile der Assad-Regierung und der Opposition an einen Tisch zu setzen und in mühevollen Verhandlungen doch eine Art Kompromisslösung für die Zukunft Syriens auszuarbeiten.

    Grieß: An dieser Haltung und an dieser Argumentation gibt es reichlich Kritik, zum Beispiel auch von Seiten des syrischen Nationalrats. Heute Morgen war hier im Deutschlandfunk Sadiqu Al-Mousllie im Interview. Hören wir kurz mal einen Auszug aus dem Interview, in dem er Russland einiges vorwirft.

    O-Ton Sadiqu Al-Mousllie: "”Das ist ein Zeitgewinn eigentlich. Die Russen spielen ein sehr gekonntes Spiel in diesem Fall und die internationale Weltgemeinschaft leider Gottes spielt dieses Spiel mit auf Kosten der Syrer.""

    Grieß: Ist das ein Vorwurf, den sich Russland gefallen lassen muss?

    Rahr: Es wird diesen Vorwurf missachten. Russland hat genug Argumente zu zeigen, man habe einen Militärschlag verhindern können und auf Syrien Druck ausgeübt, damit Assad den Forderungen Russlands entspricht.

    Grieß: Haben Sie eine Erklärung dafür, Herr Rahr, warum Russland so selten - so scheint es zumindest in meinen Augen - agiert und meistens erst dann reagiert, wenn es nicht mehr anders geht? Nehmen wir die jüngeren Wochen zum Beispiel, da ist erst dann die russische Diplomatie wirklich aktiv geworden, als die Drohung eines Militärschlages so deutlich auf dem Tisch lag, dass alle sie sehen konnten.

    Rahr: Weil wir, glaube ich, im Westen den Fehler machen zu glauben, dass die Russen an dem Assad-Regime wirklich hängen. Russland geht es um die Verteidigung der alten Weltordnung, nicht um einen Übergang in eine neue Weltordnung, wo Menschenrechte, so die russische Lesart, stärker oder über dem Recht eines souveränen Staates stehen, also Interventionsrecht vonseiten der westlichen Gemeinschaft, wenn Menschenrechte betroffen werden. Darauf hatte sich Russland kapriziös festgelegt, das zu verhindern. Und als der Moment kam, hier eine gemeinsame Lösung mit der internationalen Gemeinschaft zu finden, nämlich die Abrüstung Syriens, die chemischen Waffen müssen zurückgegeben werden, waren die Russen sofort an Bord. Und ich hoffe - vielleicht klingt das auch zu optimistisch -, dass nachher auch Russland und Amerika in Sachen Iran in derselben Art und Weise weiterarbeiten können.

    Grieß: Herr Rahr, Sie haben in der Vergangenheit der deutschen Außenpolitik vorgeworfen, sie mache sich zu sehr zum unkritischen Diener von US-Interessen. Gilt das auch in dieser Syrien-Krise?

    Rahr: Ich finde, dass die deutsche Haltung die richtige war. Man hat abgewartet bis zum Schluss, bis es tatsächlich zu einer konstruktiven Lösung kommen würde.

    Grieß: Aber ganz am Anfang standen ja sehr deutliche Forderungen zunächst mal vonseiten der Regierung Merkel, es müsse auf den damals noch mutmaßlichen Giftgaseinsatz eine starke Antwort folgen. Das war schon sehr deutlich zunächst.

    Rahr: Da musste natürlich Europa auch handeln, weil die Anzeichen alle da waren, dass Assad diesen Giftgasanschlag in der Tat durchgeführt hat. Deshalb war diese Äußerung absolut in Ordnung. Aber ich glaube, dass Deutschland hier eine große Auswirkung auch auf die Position der Europäer gehabt hat, letztendlich doch einem Kompromissvorschlag eher zuzustimmen, wie er jetzt kommt, als auf Syrien draufzuschlagen, ohne zu überlegen, was danach kommen würde. Dass der islamische Extremismus natürlich als weitere Gefahr für Syrien weiterhin bestehen bleibt, nachdem Assad möglicherweise abgesetzt wird, ist doch nicht von der Hand zu weisen.

    Grieß: In der deutschen Bundesregierung - nicht nur dort -, aber auch bei der Opposition in der Politik scheint es einhelliger Konsens zu sein, die Menschenrechte im Zweifel dann doch über das gültige internationale Recht zu stellen und darauf zu pochen. Ein Fehler?

    Rahr: Wissen Sie, das muss man sich immer tausendmal überlegen, ob man wirklich, indem man einen Krieg führt und in den Bürgerkrieg wie in Syrien jetzt eingreift, wie wir das in Libyen gemacht haben als westliche Staatengemeinschaft, die notwendigen positiven Resultate erreicht, oder wir am Ende dann noch größere Probleme schaffen, die dann ganz anders noch gelöst werden müssen. Ein Eingriff in einen Bürgerkrieg ist immer gefährlich. Sicherlich fordern die syrischen Rebellen, die Widerständler unseren, den westlichen Beistand. Aber wir kennen diese Problematik. Wir wissen von Afghanistan, vom Irak her, von all diesen Kriegen, die bisher geführt worden sind, dass sie nicht letztendlich zu einer Ausbildung von mehr Menschenrechten und zur Demokratie in diesen Ländern geführt haben. Das ist kein russisches Argument, das ist leider Gottes heute auch Realität, und ich glaube, dass diejenigen, die Verantwortung tragen müssen für solche Militärschläge und für so ein Eingreifen, darüber hundertmal nachdenken müssen, bevor sie das tun.

    Grieß: Wird die Regierung Merkel in Moskau in solchen Fragen als Ansprechpartner noch ernst genommen?

    Rahr: Ich glaube, dass man weiß, dass in Deutschland heute Wahlkampf ist und deshalb deutsche Politiker sich alle zurückhalten müssen. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt ja einen Krieg ab, das ist verständlich, das weiß man auch in Russland, nicht nur in Russland. Aber man hofft immer wieder - das höre ich in Russland - auf eine Art Vermittlerrolle Deutschlands zwischen Amerika und Russland. Diese Rolle hat Deutschland 40 Jahre lang und in der Zeit der Sowjetunion gespielt und man hofft, dass Deutschland weiterhin diese Rolle spielen kann.

    Grieß: Sie sprechen im Perfekt, wird also so nicht mehr wahrgenommen, diese Vermittlerrolle?

    Rahr: Nein. Eine Vermittlerrolle wird gegenwärtig so nicht wahrgenommen, weil die Fronten zwischen der EU und Deutschland auf der einen Seite und Russland in vielen anderen Fragen verhärtet sind. Aber das kann sich ja wieder ändern, wenn der Kooperationsgeist in der internationalen Gemeinschaft, was Syrien angeht und möglicherweise nachher Iran und Afghanistan - da muss ja die NATO auch abziehen mit russischer Hilfe -, wenn der wiederhergestellt ist.

    Grieß: …, sagt Alexander Rahr, der Putin-Biograf und Kreml-Politik-Kenner, heute Mittag im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Rahr, und wünsche noch einen schönen Tag in Moskau.

    Rahr: Gerne, Herr Grieß.

    Grieß: Auf Wiederhören!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.