Freitag, 29. März 2024

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Russland im Ukraine-Konflikt
"Sanktionen wirken sehr wohl"

Die Einigung im Gasstreit zeige, dass Russland dringend auf die Exporte angewiesen sei, sagte der CDU-Außenpolitiker Schockenhoff im Deutschlandfunk. Russland könne sich wegen seiner desolaten Wirtschaftslage gar keinen längeren Konflikt mit dem Westen leisten.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Christiane Kaess | 01.11.2014
    Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
    Andreas Schockenhoff (picture alliance/ZB/Karlheinz Schindler)
    Schockenhoff betonte aber auch, Russland brauche den Konflikt mit dem Westen, um Stärke gegenüber der eigenen Bevölkerung zu demonstrieren. Dennoch seien die Drohungen Russlands, den Gashahn gänzlich zuzudrehen, für das Land überhaupt nicht durchführbar, unterstrich Schockenhoff.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Und mitgehört hat Andreas Schockenhoff, stellvertretender Unionsfraktionsvorsitzender im Bundestag, dort Mitglied im Verteidigungs- und im Auswärtigen Ausschuss und ehemaliger langjähriger Russlandkoordinator der Bundesregierung, guten Morgen!
    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Frau Kaess!
    Kaess: Herr Schockenhoff, nach der Einigung im Gasstreit zwischen Kiew und Moskau, stehen die Zeichen jetzt auf Entspannung oder bahnt sich da schon der nächste Konflikt an um die Anerkennung der Wahl in der Ostukraine?
    Schockenhoff: Russland braucht den Konflikt, um nach innen gegenüber der eigenen Bevölkerung zu zeigen, dass es Amerika die Stirn bieten kann. Putin hat sich auf einen Systemkonflikt eingelassen, er möchte gegenüber der freien demokratischen Welt zeigen, dass er auf Augenhöhe ist. Der Gasstreit zeigt, dass Russland mehr auf die Gaslieferungen angewiesen ist als seine Kunden. Russland hat 70 Prozent seiner Wirtschaftskraft aus der Lieferung von Energie, von Primärrohstoffen, das ist wirtschaftlich eine katastrophale Situation, und Russland könnte einen längeren Konflikt überhaupt nicht durchstehen, ohne völlig zusammenzubrechen in seiner wirtschaftlichen Konstitution. Deswegen muss Russland auf der einen Seite in dem Konflikt zeigen, dass es stark ist, dass es die Stirn bieten kann, auf der anderen Seite muss es dringend auch Gas exportieren. Deswegen muss man mit Russland so umgehen, dass es in irgendeiner Weise das Gesicht wahren kann und in irgendeiner Weise nicht gedemütigt wird, aber dann zur Normalität zurückkehren kann. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass die Sanktionen gegenüber Russland sehr wohl wirken. Es war richtig zu sagen, dass man auf eine …
    Kaess: Herr Schockenhoff, da können wir gleich – Entschuldigung, wenn ich unterbreche –, da können wir gleich noch in die Tiefe gehen, aber ich möchte hier mal kurz ein Fazit runterziehen: Das heißt, wenn es um Wirtschaftsfragen geht, ist Russland immer noch verlässlicher Partner.
    Schockenhoff: Nein, Russland ist mehr angewiesen auf die Zusammenarbeit als wir. Das heißt, Russland kann nicht wirklich drohen, ohne sich selber zu ruinieren.
    Kaess: Das heißt, Sie teilen diesen Optimismus von Günther Oettinger nicht, der ja gesagt hat, jetzt haben wir hier eine Vertrauensgrundlage geschaffen und die Partner kennen sich gegenseitig, das kann sich auch auf andere Bereiche auswirken.
    Schockenhoff: Also, wir sollten jetzt nicht triumphieren oder wir sollten jetzt nicht irgendwie von oben herab sagen, ihr seid ja auf uns angewiesen, aber wir können auf der anderen Seite aus einer Position der Stärke auch sagen, dass die Drohungen Russlands, den Gashahn gänzlich gegenüber dem Westen abzuschließen, für Russland überhaupt nicht durchführbar ist.
    Kaess: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat kurz nach dieser Einigung bei den Gasgesprächen unter anderem auch mit Wladimir Putin gesprochen, neben Petro Poroschenko aus der Ukraine, und es hieß vonseiten der Bundesregierung danach, alle Beteiligten waren sich einig, dass der Konflikt in der Ostukraine unter Wahrung der territorialen Integrität der Ukraine beendet werden müsse. Außenminister Steinmeier hat in diesem Zusammenhang jetzt auch an Russland appelliert, diesem Bekenntnis zur Einheit der Ukraine auch Taten folgen zu lassen. Wie werten Sie diese Äußerung, die offenbar von russischer Seite kam?
    Schockenhoff: Das Problem ist, dass Worte und Taten immer deutlich auseinandergehen. Russland hat mehrfach auch die territoriale Integrität der Ukraine, Rechtsstaatlichkeit, internationales Recht bekräftigt, sich aber völlig anders verhalten. Das gehört zu dieser Form der hybriden Kriegsführung, wie sie Moskau jetzt gegenüber der Ukraine, gegenüber dem Westen … Kriegsführung, so nennt es Russland auch in der eigenen Propaganda, in der eigenen Öffentlichkeitsarbeit. Das heißt, den Westen im Unklaren darüber zu lassen. Es ist nicht, dabei ertappt zu werden, sondern sich ein bewusstes Mittel, anders zu handeln, als man redet, den Westen, die Partner im Unklaren zu lassen, zu verunsichern, immer mehrere Optionen zu haben. Insofern wird Russland nur auf Druck reagieren und wird – nicht Russland, Putin muss man sagen – wird Putin nur das, was er zu machen gezwungen wird, ohne dafür für sich selber eine unliebsamere Alternative in Kauf nehmen zu müssen, dann auch hinterher machen.
    Kaess: Und dass Worte und Taten auseinander liegen, da würden Sie auch die russischen Militärflüge über Europa einordnen?
    Schockenhoff: Nein, darüber ist bisher nicht gesprochen worden. Das ist ein Zeichen von Stärke und Macht. Ich sehe das eher als ein Zeichen gegenüber der eigenen Bevölkerung. Putin hat eine große Zustimmung und einen gewaltigen Propagandaapparat aufgebaut, aber wirtschaftlich ist die Situation in Russland prekär. Sie war es schon vor der Ukrainekrise, weil Russland ausschließlich auf Rohstoffe setzt und weil Russland auf einen Ölpreis setzt. Russland hat den Haushalt in diesem Jahr mit einem Ölpreis von 104 Dollar pro Barrel kalkuliert, wir sind bei 92, und die Tendenz geht eher Richtung 80. Aber Russland muss gegenüber der eigenen Bevölkerung zeigen, dass es stark ist, dass die anderen vor Russland Angst haben müssen. Deswegen ist das ein Gebaren, das wir aus dem Kalten Krieg kennen. Russland möchte sich auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten sehen, aber Russland ist von der Bevölkerung her so groß wie Japan und von der Wirtschaftskraft so groß wie Italien.
    Kaess: Herr Schockenhoff, der SPD-Außenpolitiker und Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, hat gestern bei uns im Programm gesagt: Das ist nicht nur eine Provokation, sondern …
    "Das ist auch eine Reaktion, denn ich meine, die NATO hat ja auch auf diese Krise reagiert. Wir haben diesen Readiness Action Plan auf dem Gipfel in Wales beschlossen. Die NATO hat gerade nicht ganz ohne Stolz gesagt, dass die Luftraumüberwachung etwa über den östlichen NATO-Staaten verfünffacht worden ist, und wir haben alleine in diesem Jahr 200 NATO-Übungen, also auch deutlich mehr als sonst. Es gibt auch Marineeinheiten der NATO im Schwarzen Meer, mehr als sonst, die Vereinigten Staaten haben ihre Präsenz im Baltikum verstärkt."
    Kaess: Also doch auch eine nachvollziehbare Reaktion von russischer Seite?
    Schockenhoff: Nein, überhaupt nicht. Die verstärkte Präsenz der NATO ist die Antwort darauf, dass Krieg wieder in Europa zurückgekommen ist, dass Russland militärisch die Krim annektiert hat, dass Russland auch territorial sein Gebiet erweitert, dass Russland offen davon spricht, die Rolle der Sowjetunion wiederherstellen zu wollen …
    Kaess: Aber dass die NATO jetzt vor Russland aufrüstet, kann ja den Konflikt auch nicht gerade entschärfen.
    Schockenhoff: Nein – womit hat denn die NATO aufgerüstet?
    Kaess: Die Verstärkung zum Beispiel jetzt in Polen und in den baltischen Staaten?
    Schockenhoff: Aber sagen Sie mir mal, was die NATO dort gemacht hat!
    Kaess: Ja, das wissen Sie besser. Es geht zum Beispiel auch darum, …
    Schockenhoff: Nein, die NATO hat ..
    Kaess: … eine schnelle NATO-Eingreiftruppe zu …
    Schockenhoff: Nein, die NATO hat überhaupt nicht aufgerüstet. Wir werden doch Opfer …
    Kaess: Es ist zum Beispiel eine schnelle Eingreiftruppe geplant.
    Schockenhoff: Nein, die NATO hat gerade nicht, auch trotz der militärischen Aggression gegenüber der Ukraine und obwohl russische Politiker offen sagen, Russland ist, wo Russen leben – so was hab ich seit Milosevic nicht mehr gehört –, trotzdem hat die NATO beschlossen, eben nicht eine neue ständige Präsenz im Osten ihres Bündnisgebietes zu machen, weil im NATO-Russland-Abkommen nach der NATO-Erweiterung festgelegt wurde, dass die NATO im Osten keine neuen ständig präsenten Truppen macht. Und um darauf jetzt zu reagieren, hat die NATO gesagt, wir bleiben vertragstreu, wir machen das nicht, wir wollen uns aber so organisieren, dass wir im Notfall relativ schnell auch unsere Reaktionsfähigkeit im Osten des Bündnisgebietes erhöhen können. Es geht eben gerade nicht um ständige neue Truppen im Osten, sondern es geht darum, einfach in der Organisationsform schneller reaktionsfähig zu sein.
    Kaess: Im Interview mit dem Deutschlandfunk war das …
    Schockenhoff: Deshalb zu sagen, die NATO habe provoziert, ist eine Verkehrung der Tatsachen.
    Kaess: Wir haben den Punkt verstanden. Andreas Schockenhoff, stellvertretender Unionsfraktionsvorsitzender im Bundestag, danke für das Gespräch heute Morgen!
    Schockenhoff: Okay!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.