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Russland im Windschatten der amerikanischen Anti-Terror-Politik

Die russisch-amerikanischen Beziehungen vor dem 11. September 2001 waren unterkühlt. Noch im Frühling hatten die beiden Staaten gegenseitig Dutzende Diplomaten ausgewiesen. Nach 9/11 allerdings wurde Russland zu einem bedeutenden Partner der USA im Kampf gegen den Terror - aus ganz eigenen Motiven.

Von Robert Baag | 06.09.2011
    Die in sich zusammenstürzenden "Twin Towers" von New York haben viele Menschen in Russland vor ihren Fernsehgeräten wie ein erneut Furcht und Grauen erregendes Déjà vu erlebt. Genau zwei Jahre zuvor nämlich, am 8. und 13. September 1999, hatten starke Sprengladungen zwei Hochhäuser in Moskau zerstört. Über 200 Menschen kamen dabei ums Leben. Nach amtlicher russischer Version hätten Terroristen aus dem Nordkaukasus die Anschläge auf dem Gewissen, auch wenn Zweifel an dieser Lesart bis heute noch nicht endgültig ausgeräumt sind.

    Für Wladimir Putin, damals Ministerpräsident, bald darauf jedoch schon Staatspräsident, sind diese Terrorakte die entscheidenden Auslöser für den sogenannten Zweiten Tschetschenienkrieg.

    "Wir werden die Terroristen überallhin verfolgen. Ob wir sie nun in Flughäfen oder - entschuldigen Sie - in Toiletten zu fassen kriegen. Dann werden wir sie eben dort kaltmachen!"

    Originalton Putin. - Zwei Jahre später, kaum hat jetzt die Weltöffentlichkeit die Bilder von 11. September fassungslos mitverfolgt, telefoniert Putin als Erstes ausländisches Staatsoberhaupt mit seinem US-Amtskollegen George Bush und ihm bietet die Zusammenarbeit im "Kampf gegen den Terrorismus" an. Eine beeindruckende Geste, die damals für viele Beobachter eine Wende in den bislang eher unterkühlten russisch-amerikanischen Beziehungen einzuleiten scheint. Arkadij Dubnov, russischer Publizist und Zentralasienexperte sieht diesen Vorgang indes nüchterner:

    "Vielleicht klingt das zynisch. Aber '9/11' war ein Geschenk für Putin. Es hat ihm erlaubt sich in die vorderste Reihe mit den USA, mit Präsident Bush und dem Kampf gegen den Terrorismus zu stellen; eine Front, die für Putin auch im Nordkaukasus, in Tschetschenien, verlief. Der Zweite Tschetschenienkrieg war damals noch nicht vorbei - und er hatte doch versprochen, sie auf dem Abtritt kaltzumachen."

    Aleksandr Gol'c, Militärexperte beim Moskauer "Jezhednevnyj Zhurnal", fügt hinzu:

    "Auf diese Weise ließ sich zugleich die Kritik des Westens an der russischen Kriegsführung in Tschetschenien anprangern. Putin demonstrierte dem Westen gewissermaßen: 'Wir befinden uns doch in denselben Schützengräben. Uns hat man einfach als Erste angegriffen.' Das war ein ziemlich geschickter Zug von ihm, der den tschetschenischen Separatismus ganz, ganz schnell auf das gemeinsame Gleis des internationalen Terrorismus gehoben hat."

    Und tatsächlich: Die Kritik aus den westlichen Hauptstädten an Russlands Tschetschenien-Kriegsführung verstummt rasch, ungeachtet der zahlreich dokumentierten Menschenrechtsverletzungen.

    Allerdings: Mit den wachsenden Einkünften aus russischen Gas- und Öl-Exporten wächst in den kommenden Jahren auch das Selbstbewusstsein der Moskauer Führung. Westliche Vorhaltungen zum zunehmend autoritär auftrumpfenden Regierungsstil Putins treffen dort bald auf brüsken Widerspruch. Aleksej Malaschenko vom Moskauer "Carnegie-Center" beschreibt die Denkhaltung seither im Kreml so:

    "Akzeptiert uns so, wie wir sind! - Wir entsprechen aber keineswegs denjenigen Mustern, die ihr euch unter Demokratie vorstellt. Wir sind unter diesem Gesichtspunkt ein qualitativ anderes Land. Wenn ihr uns so nicht hinnehmt, dann wird eben die Entfremdung zwischen uns anwachsen. - Und so ist es passiert, wie wir gesehen haben."

    Zwar lässt Russland seit Langem NATO-Nachschub über sein Territorium nach Afghanistan zu - nicht zuletzt jedoch aus Eigeninteresse, um so ein Vordringen radikaler Islamisten aus Zentralasien möglichst zu verhindern. - Trotzdem verfolge der Kampf Russlands und des Westens gegen den Terrorismus unterschiedliche Ansätze, mahnt Islam-Experte Malaschenko:

    "Eine Zusammenarbeit ist wahnsinnig schwierig. Denn Russland unterscheidet zwischen ausländischen Terroristen, zum Beispiel die palästinensische Hamas, mit denen man doch ruhig Beziehungen pflegen kann. Und dann haben wir unsere, die kaukasischen Terroristen, mit denen man keinesfalls reden darf, die ausschließlich vernichtet werden müssen."

    Eine kurzsichtige Politik Moskaus, kritisiert auch der Publizist Aleksandr Gol'c. Denn dass es im Nordkaukasus bald zu einem neuen Gewaltausbruch kommen könnte - das sei sehr gut möglich.