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"Russland ist nicht auf dem Wege zur Demokratie"

Russland habe in der letzten Zeit eine Flut restriktiver Gesetze erlebt, kritisiert der grüne Europaabgeordnete Werner Schulz. Die EU müsse sich Sanktionen der USA gegen korrupte russische Beamte anschließen.

Werner Schulz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 21.12.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Zeiten, in denen Bundeskanzler nicht oft genug betonen konnten, dass Deutschland durch eine strategische Partnerschaft mit Russland verbunden sei, sie sind vorbei. Präsident Putin und sein Regierungschef Medwedew haben sich zu viele Dinge geleistet, die von Unregelmäßigkeiten durchzogenen Duma-Wahlen, die Niederdrückung und Verhaftung der Opposition, der Schauprozess gegen den früheren Oligarchen Chodorkowski, zuletzt die Verurteilung von Pussy Riot-Mitgliedern zu Arbeitslager. Dies alles bildet den Hintergrund des EU-Russland-Gipfels, zu dem Wladimir Putin heute in Brüssel erwartet wird, und darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen mit Werner Schulz von Bündnis 90/Die Grünen. Er ist Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments und stellvertretender Chef der Delegation im Ausschuss für parlamentarische Kooperation EU-Russland, und er kommt gerade sozusagen aus Moskau. Schönen guten Morgen, Herr Schulz.

    Werner Schulz: Schönen guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Schulz, wie sehr freuen Sie sich auf den Besuch Putins in Brüssel?

    Schulz: Also Freude ist das nicht unbedingt, aber mit großer Erwartung sehe ich auf diesen Gipfel, weil es stehen doch einige spannende Fragen im Raum. Vor allen Dingen nach der Rede von Wladimir Putin. Es ist ja seine erste Rede nach seiner Wiederwahl als Präsident an die Nation, wo er verschiedene Fragen angesprochen hat, die wir genauso an ihn stellen würden und ganz gerne Antworten hätten in Brüssel. Insofern hoffe ich, dass es vielleicht an der einen oder anderen Stelle mal eine konkrete Antwort gibt.

    Heckmann: Wladimir Putin hat ja gestern in der von Ihnen erwähnten Pressekonferenz vor über 1200 Journalisten, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, den Vorwurf zurückgewiesen, das russische System sei autoritär. Damit hat er doch immerhin Humor bewiesen, oder?

    Schulz: Ja das ist eigentlich schon zynisch. Mit Humor hat das nichts mehr zu tun, weil die Leute, die unter seinem autokratischen System leiden und sich dagegen stemmen und empört sind, erheitert das sicherlich nicht, wenn er davon redet, dass in Russland das Volk regiert. Das Volk reagiert, das ist wohl wahr: mit Empörung, mit Wut. Aber er hat in keinster Weise, mit keinem Wort auf diese Proteste Stellung genommen oder ist darauf eingegangen. Ich meine, es waren 100.000 Leute auf den Straßen und haben dagegen protestiert, dass es in Russland so weitergeht. Und bei all den Problemen, die Russland hat, ist das Versprechen von Stabilität eigentlich die Aussage, dass es zu Stagnation kommt, und das ist ja leider auch der Fall. Also sein Zukunftsbild ist ein Zurück in die Vergangenheit, was Wladimir Putin anbietet.

    Heckmann: Aber der beste Beweis dafür, dass das russische System eben nicht autoritär sei, sei, so Putin, ja die Tatsache, dass er nach zwei Amtszeiten als Präsident Platz gemacht habe, wie es die Verfassung vorsieht. Wenn er den Weg des Autoritarismus gewählt hätte, hätte er einfach die Verfassung geändert, und das wäre ein leichtes gewesen.

    Schulz: Na ja, gut. Ich meine, man hat ja diese Rochade zwischen ihm und Medwedew verfolgen können, und das war ja ein, wenn Sie so wollen, übler Trick, wie er wieder an die Macht gekommen ist beziehungsweise er hatte die Macht ja nie aus den Händen gegeben. Es war immer eine gelenkte Demokratie und es gab die Hoffnung, dass es vielleicht eine gelockerte Demokratie werden könnte, aber das ist nicht der Fall. Medwedew war bestenfalls ein Vizepräsident in dieser Übergangszeit, Putin hat die ganze Zeit beherrscht, und das hat ja vor allen Dingen die Empörung und die Proteste ausgelöst vor der gefälschten Duma-Wahl. Das waren ja nicht nur Unregelmäßigkeiten. Es ist eine regelrecht gefälschte Duma-Wahl gewesen, die Gründe, warum die Menschen so empört waren.

    Heckmann: Ex-Kanzler Gerhard Schröder sieht Moskau trotzdem auf dem Weg zur Demokratie in einem ganz aktuellen Interview. Ist er da aus Ihrer Sicht völlig auf dem Holzweg?

    Schulz: Ja gut, er hat sich ja bei Russland sowieso immer sehr schräg geäußert, auch den lupenreinen Demokraten, den er da bei Putin gesehen hat. Er ist ein Claqueur am Hofe des Kremls geworden, das ist leider sehr traurig, dass ein deutscher Bundeskanzler solche Qualitätszertifikate ausstellt. Russland ist nicht auf dem Wege zur Demokratie, ganz im Gegenteil. Wir haben in der letzten Zeit eine Flut von restriktiven Gesetzen erlebt, eine Einschränkung des Demonstrationsrechtes, die NGO's müssen sich, sofern sie Geld aus dem Ausland bekommen, als ausländische Agenten deklarieren oder stigmatisieren, das Internet wird kontrolliert, es gibt einen neuen Paragrafen zur Verleumdung, es gibt ein neues Agentengesetz, es gibt diesen permanenten Vorwurf, dass die Opposition in Russland vom Ausland gesteuert und bezahlt sei. Also es wird ein altes Feindbild aufpoliert. Das betreibt Putin seit der Sicherheitskonferenz in München, dass er den Westen wieder als Feindbild vorführt. Aber die Probleme Russlands sind nicht der Westen, sondern das sind die inneren Widersprüche, die inneren Probleme.

    Heckmann: Also, Herr Schulz, wenn Sie nicht einverstanden sind mit der Interpretation von Gerhard Schröder, dann dürften Sie zufriedener sein mit dem Kurs der schwarz-gelben Bundesregierung, denn der Russland-Beauftragte, Herr Schockenhoff, der hat ja deutliche Kritik formuliert und musste sich ja dementsprechende Reaktionen auch aus Moskau anhören. Und Angela Merkel, die hat auch in Moskau die Entwicklung sehr deutlich kritisiert und hat noch ergänzt, wenn sie immer gleich eingeschnappt wäre, könnte sie keine drei Tage Bundeskanzlerin sein. Das lässt doch an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig, oder?

    Schulz: Nein, nein! Ich fand das sehr richtig. Wir haben in der vergangenen Woche eine Russland-Resolution im Europäischen Parlament verabschiedet, die darüber noch hinausgeht. Ich bin in dieser Hinsicht mit der Bundesregierung völlig einverstanden. Aber schauen Sie, wir haben beispielsweise - und das ist heute eine spannende Frage an Wladimir Putin -, wir haben beispielsweise die sofortige Freilassung der beiden Frauen von Pussy Riot gefordert. Am 12. Dezember in dieser Rede an die Nation hat Putin einen Mangel an Barmherzigkeit und Mitgefühl in seinem Land beklagt. Er kann jetzt mit gutem Beispiel vorangehen, denn es ist wirklich alles andere als barmherzig, wenn zwei junge Frauen und Mütter kleiner Kinder zu Weihnachten noch in einem Straflager sitzen müssen. Also er kann wirklich einiges tun mit einer Amnestie für die politischen Gefangenen, und diese Frage muss man heute an ihn richten. Er kann seinen Worten Taten folgen lassen. Alles andere ist im Grunde genommen armselig und demagogisch. Aber ich glaube, wir werden wohl das letztere eher erleben.

    Heckmann: Das Europäische Parlament hat eine Resolution verabschiedet, haben Sie gesagt. Die USA derweil, die reden nicht nur, sondern sie handeln. Sie verbieten nämlich allen, die mit dem Tod des Rechtsanwalts Magnitski zu tun haben, die Einreise. Dieser Anwalt hatte einen Finanzskandal bei der Polizei aufgedeckt und war in der Haft verstorben, nachdem er offenbar schlimm misshandelt wurde. Müsste sich die EU da nicht bei solchen Schritten anschließen, statt es nur bei Resolutionen zu belassen?

    Schulz: Nein! Das Europäische Parlament hat das ebenfalls gefordert. Natürlich müsste sich die EU da anschließen, das ist außerordentlich wichtig. Das wird uns von verschiedenen Seiten bestätigt, weil das zum ersten Mal wirklich eine durchdringende Maßnahme wäre. Der russische Staat müsste eigentlich dankbar sein für diese Liste. Wenn er selbst nicht in der Lage ist, Korruption aufzuklären und der Korruption etwas entgegenzusetzen, dann wird das von unserer Seite aus getan, denn das sind Leute, 60 Leute, die auf der Liste stehen, die den russischen Staat bestohlen haben und die den Zeugen dieser Korruption umgebracht haben beziehungsweise für dessen Tod verantwortlich sind. Es sind über 200 Millionen gestohlen worden von diesen Menschen, also Russland müsste eigentlich dankbar sein, dass man ihnen diese Täter vor Augen führt.

    Heckmann: Das heißt, Sie fordern ganz klar, ebenso ein solches Einreiseverbot wie die USA zu verhängen?

    Schulz: Ja selbstverständlich! Kontensperrung, Einreiseverbot, damit man endlich mal diesen Worten, dass die Korruption bekämpft wird, auch Taten folgen lässt. Das ist wichtig.

    Heckmann: Wer müsste da handeln?

    Schulz: Alle Schengen-Staaten, klar. Es dürfte kein Schengen-Visum mehr ausgestellt werden.

    Heckmann: Werner Schulz war das von Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament, über die Entwicklung in Russland und den Gipfel EU-Russland heute in Brüssel. Herr Schulz, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Schulz: Bitte schön! Auf Wiederhören!

    Heckmann: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.