Politische Sprache in den 60er und 70ern

Der Kampf ums Konservative

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Helmut Kohl ging zum Konservatismus auf Distanz. © picture-alliance/ dpa / Heinrich Sanden
Von Constantin Hühn · 22.11.2017
Der Konservatismus hat in der Union "seine Heimat verloren", behaupten viele und blicken mit Wehmut auf die 1960er- und 1970er-Jahre zurück. Dabei verstanden sich CDU und CSU auch damals keineswegs als konservativ.
Wahlwerbespots 1969: "Die Politik der CDU/CSU schafft für alle Kinder gleiche Chancen – und öffnet auch Ihrem Kind eine Welt in Freiheit, Frieden und Wohlstand."
Deutschland in den 1960er-Jahren: Die Wirtschaft brummt. Die Zukunft sieht rosig aus – dieses Bild zeichnet die CDU/CSU in einem Wahlwerbespot von 1969. Zugleich spürt man in der Union, dass sich die Gesellschaft rasend schnell verändert.
"Unsere Zeit steht nicht still – mit immer neuen Signalen gibt sie ihre Kommandos …"
Steber: "Die Konservativen glauben, und das beginnt zu Beginn der 60er-Jahre schon, dass der kulturelle und gesellschaftliche Wandel ihnen die Begriffe entreißt."
Sagt die Münchner Historikerin Martina Steber, die die Geschichte politischer Sprachen erforscht. In ihrer gerade erschienen Habilitationsschrift untersucht sie, wie die Sprache des Konservativen sich in den 1960er-Jahren zu wandeln beginnt.

Ein "vergifteter Begriff"

"Das sozusagen Nicht-mehr-Kommunizieren-Können mit einem demokratischen Demos, weil der nun eine ganz andere Sprache spricht, andere Begriffe verwendet, um Wirklichkeit auf den Begriff zu bringen, als das die politische Sprache des Konservativen tut."
Nach dem Ende des Nationalsozialismus sei "konservativ" ein "vergifteter Begriff" gewesen – so Steber. Versuche, mit der "Deutschen Partei" eine dezidiert konservative Partei zu etablieren, scheitern nach kurzer Zeit. CDU und CSU gehen unter Adenauer von Anfang an einen anderen Weg: Sie konzipieren sich als "christliche" Parteien und markieren mit dem Begriff der "Union" einen Neubeginn nach dem rechtsnational vereinnahmten Konservatismus der Weimarer Republik.
"Aber gleichermaßen machen sich Intellektuelle und auch Gruppen innerhalb der Unionsparteien auf die Suche nach einem Konservatismusbegriff in der Demokratie und für die Demokratie – Und man sieht ganz deutlich, dass ‚konservativ‘ als Haltung gegenüber dem Wandel kodiert wird."
CDU-Wahlspot 1969: "Entschlossen in eine sichere Zukunft!"
Nolte: "Also es geht darum, Wandel so zu managen, dass keine Brüche entstehen; sondern dass kontinuierliche Veränderung stattfindet. Das heißt, dass der Konservatismus eben sich schwer tut damit, so einen ideologischen Kern zu formulieren. Und das aber ermöglicht eine große Flexibilität: Also dieses Reagieren auf gesellschaftlichen Wandel."
Paul Nolte, Historiker an der Freien Universität Berlin, sieht das ähnlich. Auch er hat sich intensiv mit dem Konservatismus auseinandergesetzt:
"Konservatismus hat immer mit der Moderne sich auseinandergesetzt und immer wieder Formen gefunden, auch, sich da zu adaptieren. Wenn ich das auf eine Formel bringen würde, ist Konservatismus vielleicht nichts anderes, als den Herausforderungen, vor denen wir stehen, mit einem Einerseits-Andererseits zu begegnen. Und vielleicht ist der Konservatismus da ein Widerlager gegen einen zu bedenkenlosen Vollzug von Wandel."

Der Kampf um die Sprache

Während die Konservativen im 19. Jahrhundert und in der Weimarer Republik sich gegen Liberalismus und Demokratie definierten, entsteht in der Bundesrepublik nach und nach ein liberaler Konservatismus: Vor allem die Auseinandersetzung mit der linken Studentenbewegung um das Jahr 1968 verleiht diesem neuen Konservatismus Auftrieb. Auch zahlreiche liberale Intellektuelle unterstützen ihn. Der Kampf um einen neubestimmten Konservatismus ist dabei vor allem auch ein Kampf um die Sprache.
Steber: "Weil, das was man als linke Strategie zu erkennen vermeint, war ein Laborieren an den Begriffen der liberalen Demokratie, die darauf zielt, sie zu sozialistischen Begriffen zu machen, die dann sozusagen eine Revolution auf leisen Sohlen bringen. Und diese Sensibilität für Sprache ist also schon da, als dann 68 kommt und plötzlich neue Konzepte da sind, wie Emanzipation zum Beispiel, oder Mitbestimmung – und die Antwort ist dann fast schon alarmistisch, zu sagen, wir müssen die Hoheit über die Sprache wiederbekommen."
Strauß: "Den Rückschlag der 70er-Jahre haben wir nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass die anderen sich der Sprache bemächtigt haben, dass sie Begriffe mit anderem Inhalt gefüllt haben und dann auf einmal als Wurfgeschosse gegen uns verwendet haben."

So Franz Josef Strauß, langjähriger CSU-Parteichef, rückblickend über diese Umbruchszeit. Die Union kämpft aber nicht nur gegen linke Revolutionspläne, betont die Historikerin Steber, sondern auch dagegen, selbst sprachlos zu werden, angesichts der tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen. Unter dem neuen Parteichef Helmut Kohl erfindet sich die CDU in den 70er-Jahren sprachlich neu. Sie setzt auf die Begriffe Demokratie und Freiheit. Auch der Kern der Unions-Identität – das C – wird damals neu ausgerichtet.
Steber: "Der Begriff des Christlichen wird konzentriert auf eine wertgestützte Haltung – so dass also der Begriff der ‚Werte‘ ins Zentrum dieser neuen politischen Sprache des Konservatismus rückt."
Eine Entwicklung, die bis heute nachwirkt – kommt doch kaum ein konservatives Bekenntnis heute ohne den Verweis auf die "Werte" aus. Aber bedeutet die Betonung der Wertgebundenheit in den 80er-Jahren, dass die Partei sich auch konservativer präsentiert?
Der bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, aufgenommen 1980
Der bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, aufgenommen 1980© picture alliance / dpa / Istvan Bajzat

Abgrenzungen zur Neuen Rechten

Steber: "Ja, interessanterweise eben nicht! Das finde ich ja auch echt immer so witzig, dass der Traum der Konservativen, derer, die sich heute da so verstehen, die Kohl-CDU war. Und Kohl, also wirklich, tut den Teufel, um sich selbst als konservativ zu beschreiben."
Dass das explizit Konservative in der Union unter Kohl eher randständig bleibt, liegt auch daran, dass sie sich von den Neuen Rechten abgrenzen will, die den Konservatismusbegriff seit den 70er-Jahren ebenfalls für sich beanspruchen – so die Historikerin. Wie muss man es vor diesem Hintergrund bewerten, wenn heute einige in der Union eine "konservative Wende" fordern?
Der Historiker Paul Nolte steht einem solchen ‚zurück zum Konservatismus‘ skeptisch gegenüber:
"Sehr gesellschaftsfähig ist dieser Begriff nicht – und das wird er in Deutschland auch nicht werden. Die Zukunft kann nur in einem Weitergehen des liberalen Kurses liegen. Und wenn die CDU nicht mit Angela Merkel diesen Weg eingeschlagen hätte, dann würde sie heute weitaus schlechter dastehen, als sie es tut."
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