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Russland
Menschenrechtlerin: Krim-Krise hat innenpolitische Dimension

Die russische Menschenrechtlerin Irina Sherbakowa von der Organisation Memorial sagte im Deutschlandfunk, dass die Krimkrise zu einem tiefen Riss in der russischen Gesellschaft führe. Putin habe bei Teilen der Bevölkerung Erfolg. Aber er habe offenbar auch Angst vor einer Ansteckung durch die Demokratiebewegung.

Irina Sherbakowa im Gespräch mit Friedbert Meurer | 11.03.2014
    Unterstützer des Referendums in Simferopol auf der Krim tragen eine russische Flagge durch die Straße.
    Unterstützer des Referendums in Simferopol auf der Krim. (Andrey Stenin, dpa/picture-alliance)
    Friedbert Meurer: Irina Sherbakowa ist Professorin für Zeitgeschichte in Moskau und Mitglied der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial.
    - Guten Tag, Frau Sherbakowa!
    Irina Sherbakowa: Guten Tag.
    Meurer: Der Westen hält das alles, was Putin macht und was auf der Krim geschieht, für völkerrechtswidrig. Das sagt auch die Bundeskanzlerin, Angela Merkel. Was ist Ihre Meinung?
    Sherbakowa: Ja. Memorial hat sich eindeutig zu dieser Situation schon geäußert und hat das als eigentlich verbrecherische Politik bezeichnet. Viele Initiativen genauso, auch die Partei Jabloko. Aber es ist ein tiefer Riss in der russischen Gesellschaft. Da muss man sozusagen der Wahrheit in die Augen sehen. Bei gewissen Teilen der russischen Bevölkerung hat Putin damit Erfolg und das betrachtet er auch zum Teil als eine Niederlage der demokratischen und freiheitlichen Bewegung.
    Meurer: So kommt das ja hier auch an im Westen, dass doch eine große Mehrheit in Russland eigentlich die Politik Putins unterstützt.
    Sherbakowa: Ja.
    Meurer: Vielleicht kurz die Bitte, Frau Sherbakowa, ob Sie ein klein wenig näher ans Telefon gehen können. Die Verbindung ist sonst sehr schlecht.
    Sherbakowa: Können Sie mich so hören?
    "Nationalismus, der eine Ideologie ersetzt"
    Meurer: So ist es viel besser. - Frau Sherbakowa, warum sind so viele Russen für diese Politik von Putin?
    Sherbakowa: Das ist auch die Frage, die wir uns stellen. Die Antwort kommt aus mehrerem, glaube ich, als aus einer komplexen Antwort. Zum einen ist die Krim wirklich ein Mythos. Viele Menschen auch der älteren Generation haben noch Sehnsucht nach diesem Ort. Es ist ein postimperiales Syndrom, ein ganz starkes. Die Ukraine betrachtet man noch immer als kein unabhängiges Land. Die andere Geschichte ist natürlich: Viele sind erschrocken von dieser Revolution in Kiew. Das will man nicht haben und man hat davor Angst. Und noch etwas: Das ist der aufkeimende oder schon entflammte Nationalismus, der eine Ideologie ersetzt. Das ist eine angebliche, eine täuschende Quasi-Perspektive für die Menschen: Jetzt sind wir wieder wer, jetzt können wir die Stärke zeigen. Das ist alles in unseren Augen sehr, sehr gefährlich.
    Meurer: Glauben Sie, dass Putin mit seiner Politik ein Zeichen setzen will, das da lautet, in Russland möge bitte niemand auf die Idee kommen, so was wie eine Maidan-Bewegung anzuzetteln?
    Sherbakowa: Ich glaube, das ist ganz eindeutig. Das hat auch innenpolitische Gründe. Natürlich bedeutet das auch, etwas sehr milde gesagt, etwas sehr Unangenehmes und sehr Bedrohliches für die Innenpolitik. Und die Massenverhaftungen, wenn es auch nur für Stunden oder für eine Nacht ist, die in Moskau ständig jetzt passieren, gegen die Menschen, die gegen diese Geschichte protestieren, die sind ein Beweis dafür.
    Meurer: Andererseits: Putin hat doch sowieso alles im Griff in Russland. Hat er das nötig?
    Sherbakowa: Scheinbar nicht. - Scheinbar nicht. Ich glaube, das ist die Logik so einer Herrschaft, dass man doch trotzdem Angst hat, dass man Angst hat vor der Demokratie, vor den womöglichen Bewegungen, dass man sich quasi anstecken kann, weil es war ja wirklich so, dass die wirtschaftliche Situation nicht zum Besten ist. Die Olympiade konnte das nicht aufbessern trotz allem. Und ich glaube, das ist natürlich auch Angst.
    "Tiefer Riss in der russischen Gesellschaft"
    Meurer: Gehen Sie davon aus, Frau Sherbakowa, dass nach der Krim die Ost-Ukraine der nächste Teil ist, der abgespalten wird?
    Sherbakowa: Wissen Sie, vor drei Wochen schien uns diese ganze Geschichte absolut unmöglich und undenkbar. Und wir haben Angst, irgendwelche Prognosen zu haben, was möglich ist und wie weit man gehen kann. Ich glaube, das hängt auch davon ab, was eigentlich Europa jetzt dazu sagt, was die ganze Welt jetzt dazu sagt. Aber so einfach ist das nicht, was die Innenpolitik anbetrifft. Und ich habe sie Ihnen schon beschrieben. Es ist ein tiefer Riss in der russischen Gesellschaft deshalb.
    Meurer: Frau Sherbakowa, Sie sind in Deutschland bekannt, arbeiten für Memorial, haben den Stalinismus aufgearbeitet. Jetzt haben wir in der Ukraine die Maidan-Bewegung. Ist das für Sie eine makellose demokratische Bewegung?
    Sherbakowa: Makellos kann so was nie sein. Ich glaube, das lehrt uns die Geschichte. Ein jeder Aufstand besteht aus unterschiedlichen Kräften. Aber eindeutig war das natürlich gegen die verlogene und korrupte Janukowitsch-Politik und -Geschichte. Und ich glaube, dass die Aufgabe ist, die vor der Ukraine und vor diesen neuen Kräften in der Ukraine steht, das alles in den demokratischen Blick zu bekommen, neue Wahlen und ehrliche Wahlen durchzuführen. Das was jetzt gemacht wird von der Seite Moskaus, steht dem absolut im Wege und ist Petroleum, was die radikalen Kräfte anbetrifft, die natürlich bei solcher Situation, bei der Gewaltanwendung von der Seite der Macht, natürlich sich aktiv machen. Das ist ja klar!
    Meurer: Irina Sherbakowa, Professorin für Zeitgeschichte in Moskau, Mitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial, heute Mittag hier bei uns im Deutschlandfunk. Frau Sherbakowa, ich sage herzlichen Dank. Auf Wiederhören nach Moskau!
    Sherbakowa: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.