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Russland
Moskauer Dokumentartheater vor dem Aus

Das renommierte Moskauer Dokumentar-Theater "Teatr.doc" residiert in einem Keller. Das Gewölbe gehört der Stadt, und dort muss das Theater nun raus. Die Macher vermuten politische Motive.

Von Gesine Dornblüth | 21.10.2014
    Szene aus einem Stück am Moskauer Dokumentartheater "Teatr.doc"
    Szene aus einem Stück am Moskauer Dokumentartheater "Teatr.doc" (dpa / picture alliance / Stringer)
    Ein Kellertheater in Moskau. Auf der Bühne ein Schreibtisch, Stühle, ein Projektor, eine Leinwand, fünf Schauspieler. Sie stellen Mitarbeiter einer Werbeagentur dar. Die soll die Krim bewerben. Ein Slogan muss her.
    "Was, wenn wir, statt den Erholungswert der Krim anzupreisen, an die patriotische Pflicht appellieren? So was wie: 'Die Heimat braucht deinen Urlaub.' – 'Verteidige dein Land, mach Ferien auf der Krim.' – 'Die Krim gehört uns?' – 'Mischa, das ist der Knaller! Die Krim gehört uns!'"
    "Urlaub auf der Krim" heißt das Stück, das derzeit im Moskauer Teatr.doc läuft. Bissig, witzig, schnell nehmen die Darsteller die Euphorie in der russischen Gesellschaft nach der Annexion der Krim aufs Korn. Die Vorstellung ist ausverkauft, die Zuschauer sind begeistert.
    "Einfach super."
    Hier geht es um aktuelle soziale und politische Probleme, die sonst nur in sozialen Netzwerken und in Blogs diskutiert werden.
    Vorwurf: Vertragsbruch
    "In Moskau gibt es sehr viele gute Theater. Aber dies ist eines der wenigen, das zeitgenössische Stücke zeigt. Das Stück hat Humor. Russland wird immer Größe haben, solange es über sich selbst lachen kann."
    Michail Ugarow ist nicht zum Lachen. Der künstlerische Leiter des Theaters raucht eine Zigarette nach der anderen. Völlig unerwartet hat die Stadt den Mietvertrag mit der Bühne nicht verlängert. Anfang Dezember läuft er aus. Die Begründung: Die Mieter seien vertragsbrüchig geworden, hätten eigenmächtig Veränderungen in dem Keller vorgenommen. Ugarow schüttelt den Kopf.
    "Wir haben einen Notausgang gebaut. Das hatte die Brandschutzaufsicht vor einiger Zeit gefordert und gedroht, das Gebäude zu schließen. Daher haben wir ein Fenster zu einer Tür erweitert. Damit wir nicht geschlossen werden. Jetzt werden wir genau deshalb geschlossen. Das ist absurd."
    Ugarow glaubt, dass politische Motive dahinter stehen, glaubt an eine Anweisung von ganz oben. Teatr.doc hat in den 13 Jahren seines Bestehens immer wieder brisante politische Themen aufgegriffen. Es hat ein Stück über den ungeklärten Tod des Anwalts Sergej Magnitskij in der Untersuchungshaft gemacht. In der Aufführung "Berlusputin" nahm es die Nähe des russischen Präsidenten und des italienischen Ministerpräsidenten auf die Schippe.
    Theater setzte sich auch für Pussy Riot ein
    Und Teatr.doc setzte sich für die Aktionsgruppe Pussy Riot ein. Er sei deshalb bereits mehrfach gewarnt worden, sagt Ugarow. Wohlmeinende Bekannte hätten ihm ausgerichtet, dass seine Stücke nicht gut ankämen in den hohen Beamtenstuben.
    "Was wir machen, passt nicht zur Kulturpolitik der Mächtigen. Sie wollen eine patriotische Kultur, die gänzlich auf der Seite des Staates steht."
    Der Raum für Kritik in der russischen Kultur wird seit Monaten immer enger. Der bekannte Rockmusiker Andrej Makarewitsch ist einer Schmutzkampagne ausgesetzt, seit er sich gegen die Annexion der Krim aussprach. Kreml- und kirchenkritische Ausstellungen und Museen wurden geschlossen.
    In Moskau ist dabei immer noch viel mehr möglich als in der russischen Provinz. Moskaus Bürgermeister, Sergej Sobjanin, will der Stadt ein junges Image geben, versucht, kulturell Berlin nachzueifern. Letzte Woche eröffnete er einen Kulturkongress, sprach über die Vielfalt des Kulturangebotes. Am selben Tag wurde bekannt, dass das Teatr.doc geschlossen werden soll. Darauf angesprochen sagte der Bürgermeister, er wisse von nichts. Ugarow hält das für glaubwürdig.
    "Ich denke, hinter der Schließung stehen das Kulturministerium, die Präsidentenadministration. Das passiert auf föderaler Ebene. Die Regierung der Stadt Moskau hält sich aus der Politik heraus."
    Mehrere Spielstätten in Moskau haben dem Teatr.doc angeboten, bei ihnen unterzukommen. Ugarow und seine Mitarbeiter beraten noch, wie es weiter gehen soll.