Donnerstag, 25. April 2024

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Russland-Politik
Sanktionen als letztes Mittel

Beim Umgang mit der russischen Regierung habe "keiner ein Interesse an einer Eskalation", sagte der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellman im Deutschlandfunk. Auch die EU habe Fehler bei ihrer Ukraine-Politik gemacht. Deutschland müsse nun seine Interessen in der Region wahrnehmen und zu einem "vernünftigen Miteinander" kommen.

Christoph Heinemann im Gespräch mit Karl-Georg Wellmann | 17.03.2014
    Wladimir Putin bei seiner Pressekonferenz in Moskau.
    Wellmann: "Sanktionen sind immer das letzte Mittel und zeigen das Versagen von Politik und Diplomatie." (picture alliance / dpa / Alexey Nikolsky)
    Christoph Heinemann: Jedwede militärische Antwort ist ausgeschlossen, das hatte die Bundeskanzlerin in der vergangenen Woche klargestellt. Bleiben Sanktionen in verschiedenen Abstufungen. Darüber beraten die EU-Außenminister in Brüssel. – Am Telefon ist jetzt der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Tag.
    Karl-Georg Wellmann: Guten Tag, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Wellmann, strafen oder reden? Welchen Umgang mit Moskau empfehlen Sie?
    Wellmann: Am Ende des Tages müssen wir Politik machen. Ich habe letzte Woche im Plenum geredet und vorausgesagt, dass erstens diese Eingliederung erfolgen wird und zweitens wir in dieser Woche außenpolitische Aktivitäten aus Moskau sehen werden mit diplomatischen Vorschlägen und Angeboten. Das müssen wir uns genau angucken. Keiner hat Interesse an einer Eskalation, daran, dass dieser Konflikt heiß wird, gar Blut fließt, und deshalb müssen wir sehen, wie wir weiterkommen mit der Ukraine und mit Russland.
    Heinemann: Moskau schlägt jetzt wie gesagt eine internationale Unterstützergruppe vor. ein paar Bedingungen sind auch schon formuliert worden. Kann man sich darauf einlassen?
    Wellmann: Das war ja eine Idee der Kanzlerin und des Außenministers, zu sagen, wir brauchen eine Kontaktgruppe. Die hat natürlich verschiedene Voraussetzungen, unter anderem die, dass der jetzige Ministerpräsident Jazenjuk mit am Tisch sitzt, weil wir können nicht über deren Köpfe hinaus verhandeln. Alle anderen Sachen muss man sich angucken in Ruhe und muss man besprechen. Es sind wahrscheinlich Maximalforderungen jetzt der Russen. Es werden ja sehr viele Gespräche im Moment diskret geführt und jeder versucht auszuloten, was geht und nicht geht. Wie gesagt: Am Ende können wir das nicht in einen militärischen Konflikt enden lassen, sondern müssen Politik machen oder den Versuch jedenfalls machen.
    Heinemann: Welche politische Wirkung versprechen Sie sich von Sanktionen?
    Wellmann: Sanktionen sind immer das letzte Mittel und zeigen das Versagen von Politik und Diplomatie. Am Ende, wenn Russland nicht bereit ist, in irgendeiner Form einzulenken, zu deeskalieren, zu politischer Kooperation, wird es nicht anders gehen. Russland muss merken, dass dieses teuer wird. Meine Prognose war schon letzte Woche zu sagen, die Okkupation der Krim und die Eingliederung wird Moskau mehr kosten als es einbringt.
    Heinemann: Aber nur, wenn es zu Wirtschaftssanktionen kommen würde?
    Wellmann: Ja, auch politische Sanktionen sind wirksam. Russland hat eine sehr schwache Wirtschaft im Moment, hat einen Riesen-Modernisierungsstau in seiner Industrie. Sie können ja nicht mal mehr Autos bauen, die irgendeiner kaufen möchte in der Welt. Deshalb brauchen sie dringend die Kooperation mit dem Westen. China wird das Land nicht modernisieren. Dazu brauchen sie uns. Und das politische Umfeld ist natürlich denkbar ungeeignet, wenn man meint, im 21. Jahrhundert mit militärischen Mitteln Interessenkonflikte lösen zu können.
    Heinemann: Dann ist aber noch die Frage, wer auf der anderen Seite steht. Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt heute, die Entschlossenheit und die Ausdauer, die ihm gefährlich werden könnte, traut Putin den Europäern vermutlich nicht zu. Hält die Europäische Union eine längere diplomatische Quarantäne für Russland durch?
    Wellmann: Das glaube ich schon. Die Politik Russlands hat ja eins erreicht: Erstens eine Revitalisierung der NATO, ist also aus russischer Sicht kontraproduktiv, dass plötzlich wieder ein Bedrohungsszenario im Westen entsteht und sagt, wir müssen uns schützen mit Hilfe der NATO gegen Russland. Und zweitens erreicht er mit seiner Politik, dass die EU und die Nordatlantiker sich zusammenschließen. Das ist eine der Folgen, dass es keinen Sonderweg von irgendjemandem gibt, schon gar nicht von Deutschland, sondern dass wir geschlossen dieser Herausforderung begegnen werden.
    Heinemann: Vielleicht ist aber auch die NATO die Ursache des Konflikts. Erhält der Westen jetzt die Quittung für die Ausdehnung der Allianz, des Bündnisses?
    Wellmann: Das glaube ich weniger. Ein Körnchen Wahrheit ist allerdings dran. Die europäische Politik in Bezug auf die Ukraine ist ja fälschlich davon ausgegangen, dass es eine rein bilaterale Angelegenheit zwischen der Ukraine und der EU sei und Moskau nicht mitzureden habe. Wenn ich die Welt in dieser Region neu ordnen will, dann kann ich das nicht gegen Russland tun, sondern muss versuchen, im Gespräch zu sein und eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten daraus zu machen, insbesondere im ökonomischen Bereich oder energiepolitischen Bereich. Darauf hat sich weder die EU eingelassen, noch übrigens die Russen. Beide Politiken sind gescheitert, die russische Ukraine-Politik und die europäische Ukraine-Politik.
    Heinemann: Das heißt, Sie sehen da Mitschuldige durchaus in Brüssel und auch in Berlin?
    Wellmann: Schuldig will ich nicht sagen, aber wir hätten vieles besser machen können, ja.
    Heinemann: Was im Detail? Wo hätte man sensibler reagieren müssen?
    Wellmann: Erstens: Wir können eine Assoziierung eines großen Landes nicht von einem Justizfall abhängig machen, insbesondere nicht von der Frage, welches Schicksal Frau Timoschenko nimmt, zumal da einige problematische Seiten dran sind. Wir haben viel zu sehr emotionale Themen betont, anstatt interessenbezogen zu agieren in dieser Region. Und zweitens hätten wir uns viel mehr um Russland bemühen müssen. Die haben berechtigte Bedenken, was ihre Zollunion angeht. Wir haben ja immer dieser Entweder-Oder-Politik gemacht, die Russen auch. Wir haben gesagt, entweder Assoziierung mit der EU, oder gar nichts, und die Russen haben gesagt, entweder Zollunion, oder gar nichts. Vor diese Alternative hätten wir die Ukraine nicht stellen müssen. Wir müssen uns darum kümmern, vernünftigerweise, wie Zollunion und Europäische Union kompatibel sind.
    Heinemann: Herr Wellmann, ist diese Selbstkritik im Kanzleramt und im Auswärtigen Amt angekommen?
    Wellmann: Die Bundeskanzlerin hat diese Politik jetzt sehr klar formuliert, schon im Dezember in ihrer Regierungserklärung. Im Auswärtigen Amt selbstverständlich auch. Ich glaube auch, dass man das in Brüssel verstanden hat, denn das ganze Desaster, vor dem wir jetzt stehen, vor hundert toten Menschen auf dem Maidan, vor einem verjagten Präsidenten und anderes mehr, vor Instabilitäten, das hätte man möglicherweise vermeiden können. Ich will mich da nicht verheben und sage deshalb möglicherweise, aber wir hätten es versuchen müssen und nicht diese Entweder-Oder-Politik machen müssen.
    Heinemann: Ist die Krim ein möglicher Mosaikstein eines möglichen russischen Korridors, der sich erstreckt von Abchasien bis nach Transnistrien? Das heißt also, dass noch andere Ländereien dazu kämen?
    Wellmann: Ja, ja. Das ist natürlich das Negativ-Szenario, dass der Versuch gemacht werden könnte, eine Landbrücke nach Transnistrien herzustellen von der Krim aus. Das ist alles sowohl politisch als auch ökonomisch ohne Sinn. Das macht nur Sinn, wenn man rein machtpolitisch denkt. Aber diese Szenarien zu verhindern, eine Eskalation zu verhindern, zu verhindern, dass es wirklich zu einem vielleicht nicht mehr regional begrenzbaren Konflikt kommt, das ist Sache jetzt der Diplomatie und der Politik. Es sagt sich leicht, wir müssen die Russen bestrafen. Diesen Bestrafungsimpuls hat man natürlich sofort. Aber er ist in der Außenpolitik fehl am Platze. Wir müssen unsere Interessen wahrnehmen und gucken, dass wir zu einem vernünftigen Miteinander kommen in dieser Region und übrigens auch den künftigen Status der Krim besprechen. Das ist ja alles überhaupt noch nicht feststehend, wie das da weitergeht, wie das Verhältnis zukünftig zur Rest-Ukraine sein wird.
    Heinemann: Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann. Er ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Wellmann: Danke Ihnen! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.