Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Russland
Prozess im Mordfall des Kreml-Kritikers Nemzow

Vor knapp zwei Jahren wurde in Moskau der Oppositionspolitiker Boris Nemzow erschossen. Es war ein herber Verlust für die marginalisierte Opposition. Fünf Männer stehen dafür in Moskau vor Gericht: Der mutmaßliche Killer und seine Helfer. Doch die Hintermänner bleiben bisher unbehelligt.

Von Gesine Dornblüth | 13.01.2017
    Ein Demonstrant vor dem Moskauer Militärgericht hält ein Schild hoch auf dem "Wer gab den Mord an Nemzow in Auftrag?" geschrieben steht.
    Ein Demonstrant vor dem Moskauer Militärgericht. (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
    Die Verhandlungen im Mordfall Nemzow laufen bisher sehr ausgewogen, meint Andrej Karjew. Er beobachtet den Prozess für das Internetportal Kasparov.ru und ist vom ersten Tag an dabei.
    "Der Richter versucht, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. Er führt den Prozess verhältnismäßig demokratisch. Er tritt wie ein Moderator auf."
    Der mutmaßliche Killer und seine Helfer stammen aus Tschetschenien
    Die fünf Angeklagten sitzen, wie in Russland üblich, in einem Kasten hinter Glas, bewacht von ebenso vielen Beamten und einem Schäferhund. Es sind der mutmaßliche Killer und seine Helfer. Alle stammen aus Tschetschenien. Einer von ihnen diente zum Zeitpunkt des Mordes Ende Februar 2015 im Bataillon "Sever" des tschetschenischen Innenministeriums – deshalb wird der Prozess vor einem Militär-, nicht vor einem zivilen Gericht verhandelt. Der Anwalt Artjom Sarbaschew vertritt den Mann, der das Fluchtauto gefahren haben soll.
    "Die Staatsanwaltschaft hat bisher keinerlei objektive Beweise für seine Schuld vorgelegt. Wir haben Mobilfunkdaten. Sie belegen, dass mein Mandant Boris Nemzow nicht beschattet hat. Ich denke, die Geschworenen können meinen Mandanten freisprechen."
    Bei zwei weiteren Angeklagten könnte es sich ähnlich verhalten, vor allem im Fall des mutmaßlichen Killers sprechen Beobachter hingegen von eindeutigen Beweisen seiner Schuld.
    Bei den fünf Männern handelt es sich lediglich um die mutmaßlichen Ausführenden des Verbrechens. Die Hintermänner sind unbekannt oder flüchtig.
    Ruslan Geremejew wird als möglicher Organisator genannt
    In den Verhandlungspausen fällt immer wieder ein Name: Ruslan Geremejew. Ruslan Geremejew ist stellvertretender Kommandeur des Bataillons "Sever" in Tschetschenien. Er ist mit einflussreichen Politikern im unmittelbaren Umfeld des Republikchefs von Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, verwandt. Die Angehörigen des ermordeten Nemzow und seine politischen Freunde sind überzeugt, dass dieser Mann, Ruslan Geremejew, den Mord an Nemzow in Moskau organisiert hat. In die Anklageschrift wurde sein Name nicht aufgenommen.
    Stattdessen wird nach seinem Fahrer als dem mutmaßlichen Organisator gefahndet. Vor Gericht haben nun aber mehrere Zeugen ausgesagt, dass Geremejew der Anführer der Gruppe war, die auf der Anklagebank sitzt. Darunter eine Putzfrau, die in der Wohnung der Männer sauber machte. Der Richter hat Geremejew mittlerweile zumindest als Zeugen vorgeladen. Präsident Wladimir Putin schloss eine Beteiligung Geremejews an dem Politikermord nicht aus. Bei seiner Jahrespressekonferenz sagte er:
    "Ich verfolge alle wichtigen Prozesse, besonders in solchen Fällen wie dem Mord an Nemzow. Dass Leute, die offizielle Ämter ausüben, unter anderem in den Sicherheitsorganen, schwere Verbrechen begehen können, ist nicht verwunderlich."
    Die Rolle des tschetschenischen Bataillons "Sever"
    Geremejews Aufenthaltsort ist unbekannt, ob er aussagen wird, steht in den Sternen.
    Dafür erschien diese Woche ein anderer gewichtiger Zeuge vor Gericht: Alibek Delimchanow, Kommandeur des tschetschenischen Bataillons "Sever", somit Geremejews Vorgesetzter und Vorgesetzter eines der Angeklagten. Zu einer Aussage kam es allerdings nicht, Delimchanow hatte Fieber, nun soll er nächste Woche aussagen. Alibek Delimchanows Bruder ist Abgeordneter der Staatsduma. Er posierte kurz nach dem Mord an Nemzow mit einer Gruppe Vertrauter am Tatort und stellte das Video ins Internet.
    Sie rufen "Ramzan" und "Russland". Gemeint ist Ramzan Kadyrow, der mächtige Chef Tschetscheniens.
    Die große Frage bei dem Prozess ist weiterhin, wer den Mord an Nemzow in Auftrag gab. Genau diese Frage steht, handgeschrieben, auf einem Plakat, das Michail Laschkewitsch vor dem Gericht hochhält. Laschkewitsch ist Mitglied in der demokratischen Bewegung "Solidarnost‘", die Nemzow mitgegründet hat.
    Mordauftrag von hoher Stelle
    "Boris Nemzow wurde aus politischen Gründen umgebracht. Er wurde von Mitarbeitern des tschetschenischen Innenministeriums beschattet. Der Mordauftrag kam von sehr hoher Stelle."
    Ob in Tschetscheniens Hauptstadt Grosny oder sogar im Kreml, darauf will er sich nicht festlegen.