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Russland
Schockenhoff: Freilassung von Chodorkowski war überfällig

Die Begnadigung von Kremlkritiker Michail Chodorkowski sei sehr zu begrüßen, sagt Andreas Schockenhoff (CDU), Russland-Beauftragter der Bundesregierung, im Deutschlandfunk. Sie ersetze aber nicht ein rechtstaatliches Verfahren, das nie stattgefunden habe. Er hoffe, von der Amnestie könnten auch weniger prominente politische Gefangene profitieren.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Christoph Heinemann | 20.12.2013
    Kremlgegner Michail Chodorkowski steht während eines Prozesses im Gerichtssaal und winkt.
    Der Kremlgegner Michail Chodorkowski wurde nach zehn Jahren freigelassen. (dpa/Tass/Stanislav)
    Christoph Heinemann: Für Karikaturisten ist es ein leichtes, die Olympischen Ringe zu Handschellen umzuzeichnen. Vielleicht hat irgendjemand Wladimir Putin darauf aufmerksam gemacht; auf jeden Fall hat sich der Mann, für den Straflager die natürlichen Aufbewahrungsorte für Andersdenkende sind, sich einen Ruck gegeben. Michail Chodorkowski, die Sängerinnen der dank Putin bekanntesten russischen Punk Band Pussy Riot und Mitarbeiter von Greenpeace, die auf Formen der postsowjetischen Energiegewinnung aufmerksam gemacht haben, sie alle dürfen bald nach Hause gehen. Das hat Russlands Präsident gestern angekündigt. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zeigte sich erleichtert:
    O-Ton Frank-Walter Steinmeier: “Ja das ist eine gute Nachricht, dass Herr Chodorkowski begnadigt worden ist, und ich hoffe sehr, dass er nach der Begnadigung sehr bald auf freiem Fuße sein wird. Eine weitere gute Nachricht, die im Verlaufe des heutigen Tages kam, dass offensichtlich die Duma entschieden hat, dass ein Teil der politisch Inhaftierten, denen vorgeworfen worden ist, an Demonstrationen teilzunehmen, darunter auch Pussy-Riot-Aktivisten, offenbar ebenfalls freigelassen werden. Das ist ein gutes Zeichen.“
    Heinemann: Andreas Schockenhoff ist CDU-Bundestagsabgeordneter, Russland-Beauftragter der Bundesregierung und er sitzt gerade im Flugzeug. Deshalb habe ich ihn vor zwei Stunden gefragt, ob ihn vor allem Chodorkowskis Begnadigung überrascht hat.
    Andreas Schockenhoff: Nein, das hat mich nicht überrascht. Heute ist der Verfassungstag Russlands und es war in den letzten Tagen schon angekündigt worden, dass es zu diesem Tag eine Amnestie gebe. Es war erwartet worden, dass dabei Pussy Riot oder auch die Greenpeace-Aktivisten freikommen. Natürlich war es dann noch mal ein besonderer Gag, dass auch Chodorkowski begnadigt wird.
    Heinemann: Ein Gag?
    Schockenhoff: Diese Begnadigung ersetzt natürlich nicht ein rechtsstaatliches Verfahren, das nicht stattgefunden hat. Deswegen war diese Freilassung überfällig. Es war zumindest ein gut getimtes öffentliches Ereignis. Wir begrüßen das selbstverständlich. Man darf aber nicht vergessen, dass es neben diesen besonders prominenten Fällen in ganz Russland zahlreiche Fälle politischer Justiz gibt, in denen eben nicht in freien, unabhängigen Gerichten, sondern in bestellten Verfahren politisch unliebsame Kritiker auch verurteilt wurden. Und wir hoffen, dass die gestrige Ankündigung auch der Auftakt ist, in weiteren, weniger prominenten Fällen dann solche Urteile aufzuheben.
    Porträtfoto des stellvertretenden Unions-Fraktionschefs Andreas Schockenhoff (CDU)
    Der stellvertretende Unions-Fraktionschef Andreas Schockenhoff (CDU) (schockenhoff.de)
    Heinemann: Herr Schockenhoff, warum Chodorkowski und warum jetzt?
    Schockenhoff: Ich glaube, dass man das durchaus im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen sehen darf. Russland will sich als ein modernes, als weltoffenes Land zeigen, und dabei sollten wir Russland beim Wort nehmen. Wir sollten Russland die Hand ausstrecken und über dieses Ereignis der Olympischen Spiele hinaus eine Zusammenarbeit anbieten, die wir brauchen, die wir auch wollen. Wir wollen ein modernes, ein wettbewerbsfähiges, ein rechtsstaatliches, ein starkes Russland als Partner. Dafür müssen aber wesentliche innere Defizite auch aufgearbeitet werden. Wir haben eine andere Vorstellung von Modernisierung. Dazu gehören nicht nur Investitionen in die Energie und Infrastruktur, nicht nur eine Erneuerung des Rüstungskomplexes. Dazu gehören vor allem Meinungsfreiheit, eine aktive, kreative Zivilgesellschaft, und dazu gehört auch ein anderes Verständnis von Zusammenarbeit mit anderen Staaten.
    Heinemann: Herr Schockenhoff, erkennen Sie irgendwelche Anzeichen für einen Sinneswandel bei Putin, in dem Sinne, dass man Kritiker vielleicht doch nicht einsperren sollte?
    Schockenhoff: Ich kann das nicht erkennen. Leider ist es so, dass Putin die Auffassung vertritt, dass nur eine strenge vertikale Kontrolle von oben nach unten Russlands Zukunft bedeutet. Putin hat auch ein altes Nullsummen-Denken. Er geht davon aus, auch in den internationalen Beziehungen - wir sehen das im Zusammenhang mit den Vorgängen in Kiew -, dass die engere Zusammenarbeit anderer, in dem Fall der Ukraine, mit der EU für Russland einen Machtverlust bedeutet, also was der eine bekommt, geht mir abhanden. Das ist aber ein altes Lagerdenken, ein Nullsummen-Denken, mit dem wir die Probleme des 21. Jahrhunderts, die gemeinsamen Interessen des 21. Jahrhunderts nicht angehen können. Deswegen müssen wir Putin immer wieder sagen, unsere Zusammenarbeit mit der Ukraine, die in freier Selbstbestimmung ihren eigenen Weg sucht, ist nicht gegen Russland gerichtet. Im Gegenteil: darin liegt auch für Russland eine Chance, die Erfahrung der Europäer, der europäischen Integration ist, dass Zusammenarbeit, eben Integration die gemeinsamen Interessen befördert und nicht gegeneinander, nicht der eine Hegemonial gegen den anderen seine Interessen durchsetzt.
    Heinemann: Immerhin: die Amnestie liegt jetzt auf dem Tisch. Wie sollte die Europäische Union, wie sollte auch die Bundesregierung jetzt reagieren?
    Schockenhoff: Wir sollten das begrüßen und wir sollten sagen, wir sehen das nicht als Einzelfall, sondern wir sehen das als eine Chance, auch einen neuen Rechtsstaatsdialog mit Russland aufzunehmen. Wir sollten sagen, es geht nicht nur um Chodorkowski, das war ein Fall, der besonders prominent ist. Vielleicht ist es deshalb auch eine besonders sichtbare Ankündigung einer neuen Umgangsweise. Und dann sollten wir einfordern, dass auch in vielen anderen, weniger bekannten Fällen rechtsstaatliche Verfahren von unabhängigen Gerichten in Zukunft durchgeführt werden.
    Heinemann: Herr Schockenhoff, wäre es hilfreich, wenn der Bundespräsident jetzt demonstrativ doch nach Sotschi reiste, nach dieser Amnestie?
    Schockenhoff: Man darf diese Amnestie jetzt auch nicht zu stark in den Zusammenhang mit der Winterolympiade stellen. Ich halte Boykott-Erklärungen grundsätzlich für falsch. Das hat der Bundespräsident auch nicht getan. Aber er hat für sich ganz persönlich entschieden, dort nicht hinzufahren. Als Bürgerrechtler in der DDR, der die friedliche Revolution in der DDR 1989/90 miterlebt und mitgestaltet hat, als ein Bundespräsident, der sich Menschenrechten ganz besonders verpflichtet fühlt, habe ich für seine Entscheidung Respekt. Es ist aber eine persönliche Entscheidung und als solche sollte man sie stehen lassen.
    Heinemann: Herr Schockenhoff, Sie sprachen eben von der vertikalen Kontrolle einer russischen Tradition. Sie wissen: der SPD-Ostpolitiker Egon Bahr hat immer gesagt, es wird nie eine Demokratie in Russland geben, sondern immer eine Demokratie à la Russe. Das heißt, eine der russischen Tradition entsprechende Form der Demokratie. Gilt das nicht auch für den Rechtsstaat?
    Schockenhoff: Darüber sollten wir uns keine Gedanken machen, sondern wir sollten alle Chancen der Zusammenarbeit nutzen. Wir haben im 21. Jahrhundert, im Zeitalter der sozialen Netzwerke, im Zeitalter des Internets auch ganz andere Formen der Zusammenarbeit. Die Menschen in Russland sind vernetzt und es gibt heute in Russland eine aktive Zivilgesellschaft, die sehr lebendig ist, und auch die muss unser Ansprechpartner sein. Wir dürfen uns nicht nur an die oberste Spitze im Kreml wenden.
    Heinemann: Der CDU-Politiker Andreas Schockenhoff. Er ist Russland-Beauftragter der Bundesregierung. Herr Schockenhoff, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Schockenhoff: Bitte schön, Herr Heinemann. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.