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Russland
Ukrainische Flüchtlinge im Zwiespalt

Durch die Kämpfe in der Ostukraine sind viele Menschen nach Russland geflohen.Offiziellen Angaben zufolge sollen es mehr als eine Million sein. Die einen wollen die russische Einbürgerung, die anderen zögern, sich von ihrer Heimat dauerhaft abzuwenden.

Von Gesine Dornblüth | 13.08.2015
    Ein Ukrainier und seine Tochter warten darauf zu temporären Flüchtlingsunterkünften in Russland ausgeflogen zu werden.
    Viele Ukrainer haben Angst mit einem russischen Pass nicht mehr in die Heimat zurückkehren zu können. (picture-alliance/dpa/ITAR-TASS / Vladimir Smirnov)
    Irina Krasilnikowa kommt von der Arbeit. Vor dem Eingang zu ihrem Wohnheim steht eine Bank, darauf nimmt sie Platz. Die 50-Jährige ist letztes Jahr aus dem Städtchen Amwrosijewka im Gebiet Donezk geflohen. Jetzt lebt sie in Petrozawodsk in Russland. In der Ukraine hat sie Wirtschaft unterrichtet, an der Schule. In Petrozwawodsk arbeitet sie in einem Fleischkombinat.
    "Ich musste ein bisschen umschulen. Ich bin Russland sehr dankbar. Die Kollegen haben mir geholfen und mir alles beigebracht. Sie sind für mich wie eine Familie."
    Petrozawodsk liegt in Karelien im russischen Norden. Die Flüchtlinge aus der Ukraine wurden in verschiedene Regionen verteilt. In dem Wohnheim in Petrozawodsk leben rund 60 Flüchtlinge, es waren schon mehr. Viele sind weitergezogen, in Wohnungen untergekommen, einige auch in die Ukraine zurückgekehrt. Irina Krasilnikowa teilt sich mit ihren beiden 18-jährigen Töchtern ein Zimmer. Es sind Zwillinge, im September beginnen sie in Petrozawodsk eine Ausbildung.
    "Die eine hatte in Mariupol eine Ausbildung aus Stahlwerkerin begonnen. In Petrosawodsk gibt es keine Stahlindustrie, sie lernt jetzt etwas mit Computern. Die andere wollte Friseurin werden, jetzt geht sie ins Hotelmanagement."
    Die drei hoffen, dass sie bald russische Pässe bekommen.
    25.000 Ukrainer haben russischen Pass bekommen
    Nicht alle sind so zufrieden. Im Aufenthaltsraum sitzt Pjotr Wasiljewitsch an dem einzigen Tisch und schaut auf einen Fernseher. Er ist 69 Jahre alt, Rentner aus dem Gebiet Lugansk. Er hat sein Leben lang im Schacht gearbeitet und hatte auch als Rentner meist zu tun. Im Wohnheim in Petrozawodsk bekommt er drei Mal täglich eine kostenlose Mahlzeit, dazwischen sitzt er fast nur rum.
    "Als wir nach Russland gekommen sind, haben wir alle einen Antrag ausgefüllt. Und da habe ich geschrieben, dass ich in Russland bleiben will. Von Beginn an. Damals wurde uns gesagt: Ihr kriegt dann auch Rente. Aber dann stellte sich raus, dass ich, um eine russische Rente zu bekommen, erst mal einen russischen Pass brauche. Jetzt heißt es, ich sei für eine Einbürgerung zu alt. Ich bin ein einer Sackgasse."
    Die russische Regierung hat im vergangenen Jahr verschiedene Programme aufgelegt, die eine schnelle Einbürgerung der Ukrainer ermöglichen sollten. Expertenangaben zufolge, haben auf diese Weise etwa 25.000 Ukrainer einen russischen Pass erhalten. Der Pförtner mischt sich ein, nickt dem Rentner zu.
    "Es wird schon wieder ruhig werden in der Ukraine, und dann fährst du zurück. "
    Pjotr Wasiljewitsch:
    "Das wär schön ... Aber wenn das die Lösung ist, dann hätten die Russland uns gar nicht erst ins Land lassen sollen."
    Ohne Flüchtlingsstatus keine staatliche Leistung
    Offiziellen Angaben zufolge hat Russland mehr als eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Nur in der Ukraine selbst sind es mehr. Aber bei Weitem nicht alle Flüchtlinge aus dem Donbass haben sich in die Hände der russischen Behörden begeben. Nur rund 20.000 leben in Heimen wie in Petrozwawodsk.
    Mehr als 500.000 dagegen, schätzen Experten, sind bei Verwandten oder Freunden in Russland untergekommen. Sie haben keinen Flüchtlingsstatus beantragt, und sie erhalten deshalb auch keinerlei Hilfe vom russischen Staat. Viele sind nicht mal polizeilich gemeldet. Ihr Aufenthaltsstatus ist deshalb unsicher. Russland hat zwar gerade ein befristetes Bleiberecht für Menschen aus der Ukraine verlängert, aber vorerst nur um einige Monate. Dauerhafte Sicherheit gibt es daher nicht.
    Über die Gründe, weshalb so viele Ukrainer keinen Flüchtlingsstatus in Russland beantragen, sondern sich auf eigene Faust durchschlagen, wird viel spekuliert. Immer wieder heißt es, dass die Menschen fürchten, sie könnten nicht mehr frei zwischen der Ukraine und Russland hin und her reisen, sobald sie sich einmal als Flüchtling gemeldet haben.
    Für die neu gelernte Fleischerin Irina Krasilnikowa spielen solche Überlegungen keine Rolle. Sie will mit ihren Töchtern auf jeden Fall in Russland bleiben. An die Ukraine hat sie bittere Erinnerungen.
    "Mein Mann und ich haben uns wegen des Konfliktes getrennt. Er ist in der Ukraine geblieben, in Kiew. Wir hatten zu unterschiedliche Ansichten. Der Maidan hat unsere Ehe zerstört."