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Russland und die Krim
"Putin ist unberechenbar geworden"

Der russische Präsident glaube, in der Krim-Krise alles machen zu können. Mit dazu beigetragen habe der Westen, sagte die Oppositionspolitikerin Galina Michailowa von der Partei Jabloko im Deutschlandfunk. Sanktionen gegen die Oligarchen könnten etwas ändern.

Galina Michailowa im Gespräch mit Martin Zagatta | 08.03.2014
    Teilnehmer eines Konzerts in Moskau zur Unterstützung der Krim-Bewohner.
    Viele Menschen in Russland unterstützen derzeit Putins Politik. (Mikhail Voskresenskiy, dpa / picture-alliance)
    Martin Zagatta: Die Menschen in Russland wissen, dass sie belogen werden, heißt es in dem Bericht unserer Korrespondentin Gesine Dornblüth . Und in Moskau sind wir jetzt mit der Oppositionspolitikerin Galina Michailowa verbunden. Sie ist Geschäftsführerin des politischen Komitees der Oppositionspartei Jabloko. Guten Tag, Frau Michailowa!
    Galina Michailowa: Guten Tag!
    Zagatta: Frau Michailowa, wenn es um die Krim geht, muss man die Menschen in Russland da überhaupt belügen? Da wollen doch wohl viele, dass die Halbinsel, also dass die Krim wieder zu Russland gehört?
    Michailowa: Ja, das ist wohl wahr, weil viele Leute nicht im Internet sind und sie gucken nur russisches Fernsehen an und hören nur das, was ihnen die Regierung in die Ohren bläst. Und zweitens, da ist diese Geschichte von der Krim. Sie gehörte vor der Chruschtschow-Zeit zu Russland und vor dem Umbruch im Oktober 1917 zum russischen Imperium. Und diese Geschichte haben die Leute auch nicht vergessen.
    Zagatta: Gestern Abend sollen Zehntausende auf dem Roten Platz in Moskau gefeiert haben unter dem Motto, Russland und die Krim, wir gehören zusammen. Drückt das so in etwa die Stimmung aus, die da auch in Moskau bei Ihnen herrscht?
    Michailowa: Nein, die Stimmung ist unterschiedlich. Bei uns ist es so, dass die Gesellschaft seit 2011 gespalten ist. Ein Teil der aktiven Bevölkerung, die gebildeten Leute sind gegen die Regierungspolitik. Und gleichzeitig haben wir zum Beispiel auf dem Puschkinskaja-Platz demonstriert, das waren einige Hundert Leute, die auf eigene Faust dorthin gekommen sind mit ukrainischen Fahnen, die gegen den Krieg protestiert haben. Und die Leute, die auf dem Roten Platz waren, die waren mit Bussen dort hingefahren. Das waren Leute, die auf Befehl dort hingekommen sind, nicht auf eigene Faust.
    Zagatta: Was macht dieser Konflikt jetzt mit Präsident Putin. Ein staatliches Umfrageinstitut will ermittelt haben, dass fast 70 Prozent der Russen hinter ihrem Präsidenten und seinem Vorgehen auf der Krim stehen. Glauben Sie diese Zahlen?
    Michailowa: Nein, das glaube ich nicht. Das sind die Institute, die dem Präsidenten und der Regierung nahestehen, und sie zeigen immer, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Politik von Putin unterstützt. Aber ich glaube, dass ungefähr die Hälfte oder vielleicht 40 Prozent das doch unterstützen, aber das ist auch nicht direkt die Politik von Putin. Das ist dieser Militärrausch, der für viele Länder typisch ist, wenn die Leute glauben, wir können jetzt was gewinnen. Wir zeigen, dass wir stark sind. Und das haben wir auch vor dem zweiten tschetschenischen Krieg erlebt, und das haben wir auch 2008 erlebt vor dem Krieg mit Georgien. Und jetzt ist das dasselbe.
    Zagatta: Also dieses Vorgehen auf der Krim, das schadet Putin offenbar nicht, das macht ihn sogar noch beliebter?
    Michailowa: Jetzt?
    Zagatta: Ja.
    Michailowa: Aber auf Dauer wird das mit Sicherheit schaden, sowohl im Inneren als auch nach außen. Weil die Beziehungen mit den anderen Ländern viel schlechter werden, nicht nur mit Europa und den Vereinigten Staaten, sondern auch mit den früheren Sowjetrepubliken, die auch nicht mögen, dass von heute auf morgen erklärt wird, dass ein Teil in der Nähe von Weißrussland zu Russland gehört, was gut möglich ist. Und auch im Inneren, weil das Geld kosten wird. Für die Krim wurden schon Milliarden versprochen, und dem Land geht es nicht besonders gut. Der Rubel fällt und die Löhne steigen nicht, und Bildung und auch Gesundheitswesen werden zunehmend schlechter. Die Leute würden sehr schnell merken, dass es für Russland nicht gut ist, einen Krieg mit einem Brudervolk zu führen.
    Zagatta: Wie besorgt sind Sie denn, Frau Michailowa, heute, wie besorgt sind Sie? Manche in der Ukraine befürchten ja jetzt einen Krieg. Trauen Sie Putin so etwas zu, eine groß angelegte Militäraktion dort auf der Krim?
    Michailowa: Ich glaube, Putin ist unberechenbar geworden. Er denkt, ihm ist alles erlaubt. Keiner hat geglaubt, dass von heute auf morgen erklärt wird, dass die Krim praktisch annektiert wird, wenn auch auf friedliche Weise. Noch vor einigen Tagen hat der Oberste Sowjet der Krim ein Referendum erklärt, wo die Frage so gestellt wird: Soll das Referendum autonom sein, aber als ein Teil der Ukraine. Und plötzlich wird erklärt, dass die Krim zu Russland gehören soll. Noch ein Beispiel: Keiner hat ja erwartet, dass Russland beziehungsweise Putin es wagen wird, einen Krieg mit Georgien zu führen. Das ist aber passiert.
    Zagatta: Haben Sie denn, ein bisschen zumindest, auch Verständnis, was Putin denn da umtreibt – oder die Frage so gestellt: Könnte ein um seine Sicherheit besorgtes Russland es sich tatsächlich leisten, die Krim an eine westlich orientierte Regierung in der Ukraine zu verlieren? Das würde doch auch zu Unwägbarkeiten in einer für Russland eminent wichtigen Region beitragen?
    Michailowa: Wissen Sie, mein Land ist groß genug und soll sich um seine eigenen Probleme kümmern. Und meine Meinung und unsere Meinung in der Partei ist, dass Russland nur auf einem zivilisierten Weg bleiben kann, wenn diese Probleme mit der Ukraine zusammen und mit Europa zusammen gelöst werden, wenn Russland auch einen Weg in Richtung Europa nimmt, dann würden diese Probleme nicht existieren.
    Zagatta: Aber das scheint Putin ja überhaupt nicht zu kümmern, was der Westen meint. So wirkt es zumindest im Moment.
    Michailowa: Ja, und der Westen hat dazu auch ein wenig beigetragen. Der Westen hat wirklich geschwiegen, als die Leute massenhaft hier verhaften wurden. Der Westen hat geschwiegen, als die Medien ihre Freiheit verloren haben. Die Medien haben nicht gemerkt, dass, wenn Putin über die Demokratie redet, das leere Worte sind. Wir sind schon längst ein autoritärer Staat geworden, aber der Westen hat mit Putin wie mit einem gleichwertigen Partner verhandelt. Aber der Westen, die Europäische Union ist von Russland abhängig, das wird bei euch im Radio demnächst berichtet. Es geht um Gas, es geht um Energie – deswegen können die Politiker sich nicht erlauben, eine Politik der Werte zu führen. Es wird immer über die Geschäfte gesprochen.
    Zagatta: Was würden Sie sich da wünschen? Deutlichere Worte aus dem Westen, oder reicht das nicht aus? Wie stehen Sie zu Sanktionen? Sollte man das machen?
    Michailowa: Sanktionen würden den einfachen Russen nur schaden. Wenn weiter die Geschichte mit der Visumfreiheit gestoppt wird, dann können einfache Leute nicht nach Europa fahren, dann können sie nicht sehen, wie die Leute dort leben. Aber klare Worte, das ist unbedingt nötig.
    Zagatta: Und Sanktionen, wie sie im Gespräch sind, wie sie in der Ukraine schon umgesetzt wurden gegen Oligarchen beispielsweise, möglicherweise gegen die politische Führung, gegen das Umfeld von Putin, möglicherweise gegen ihn selbst, Reisebeschränkungen – wie stehen Sie dazu, würde das was bringen aus Ihrer Sicht.
    Michailowa: Ja, das kann was bringen, aber es scheint so zu sein, dass unsere politische Elite ihr Geld schon aus dem Westen genommen hat und irgendwo in Russland versteckt hat, oder dass sie das den Familien übergeben haben. Ja, das wird nicht schaden, weil bis jetzt studieren sehr viele Kinder oder fast alle Kinder der russischen Elite im Westen. Wenn es wirklich um die Regierungsmitglieder und Oligarchen geht, dann wird das was helfen.
    Zagatta: Heute Morgen im Deutschlandfunk die russische Oppositionspolitikerin Galina Michailowa, die Geschäftsführerin des politischen Komitees der Oppositionspartei Jabloko. Frau Michailowa, herzlichen Dank für das Gespräch!
    Michailowa: Bitte schön! Alles Gute dann!
    Zagatta: Wünschen wir Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.