Donnerstag, 25. April 2024

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Russland und Ukraine
"Russland hat an Berechenbarkeit verloren"

Mit der Annexion der Krim hat der russische Präsident Wladimir Putin die europäische Friedensordnung in Frage gestellt, sagte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen im DLF. Europa und der Westen dürften das unter keinen Umständen hinnehmen.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Christoph Heinemann | 04.04.2014
    Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen
    Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Christoph Heinemann: Rüdiger Freiherr von Fritsch ist erst seit wenigen Tagen deutscher Botschafter in Russland. Gestern hatte der Diplomat einen Termin im Außenministerium in Moskau. Dort musste er sich anhören, wie wenig die Russen von Wolfgang Schäubles jüngstem historischen Vergleich halten. Der Bundesfinanzminister hatte die Krim-Krise mit Hitlers Annexion des Sudetenlandes in einem Atemzug genannt. Schäuble hatte das während einer Veranstaltung mit Schülern gesagt. Gestern Abend erklärte der Minister in der ARD-Sendung "Beckmann", wie er das gemeint hat:
    O-Ton Wolfgang Schäuble: “Ich habe als nächsten Satz gesagt, ich vergleiche das nicht. Ausdrücklich! Ich bin doch nicht so blöd, dass ich Hitler mit irgendjemand vergleiche. Das können andere machen vielleicht, das wäre auch falsch, aber deutsche Politiker können das nicht machen. Das ist völlig klar. Wir vergleichen nicht! Ich habe aber ausdrücklich gesagt, ich vergleiche nicht!“
    Heinemann: Unterdessen kommen die Außenminister der Europäischen Union heute in Athen zusammen, um über die europäische Politik gegenüber den Ländern im Süden und Osten der EU zu diskutieren, und natürlich steht auch dabei die Ukraine im Mittelpunkt.
    Moskau setzt die Ukraine unter Druck. Der Rabatt für russische Gaslieferungen ist kassiert. Ab diesem Monat könnten nun 485 Dollar pro tausend Kubikmeter Erdgas fällig werden. Das wäre im europaweiten Vergleich ein Spitzenwert. - Am Telefon ist Norbert Röttgen (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Morgen.
    Norbert Röttgen: Guten Morgen!
    Heinemann: Herr Röttgen, ist das, diese Energiepolitik, Fortsetzung der Militärpolitik mit anderen Mitteln?
    Röttgen: Ich würde nicht sagen, dass es Fortsetzung von Militärpolitik ist, aber es ist vielleicht eine neue Variante, die auf Destabilisierung in der Ukraine abzielt. Vielleicht ist das ein Methodenwechsel Moskaus, den man jetzt sehen kann, von der Krim, wo es militärische Mittel waren, mindestens militärische Einschüchterung, jetzt zu einer wirtschaftlichen und politischen Destabilisierung mit dem Mittel des Gaspreises, aber auch mit propagandistischen und auch mit geheimdienstlichen Mitteln. Darauf muss man sich einstellen.
    Heinemann: Militärische Mittel waren, sagen Sie. Halten Sie die russischen Truppenbewegungen an der Grenze für normale Übungen, oder inzwischen normale Übungen?
    Röttgen: Sie haben recht. Ich meinte eben nur mit "waren", dass es eine unmittelbare Präsenz auf ukrainischem Gebiet gegeben hat und ja weiterhin auf der Krim gibt. Aber es gibt auch, da haben Sie völlig recht, jetzt an der Grenze zur Ukraine eine massive militärische Präsenz auch von russischen Truppen, die natürlich Einschüchterung bewirken sollen.
    Gilt das Recht des Stärkeren?
    Heinemann: Herr Röttgen, die NATO hat einen Teil der Zusammenarbeit mit Russland auf Eis gelegt. Frank Capellan hat Herbert Wehner gerade zitiert: Wer rausgeht, muss wissen, wie er wieder hinein kommt. Wie denn?
    Röttgen: Ja wir sind erst mal jetzt in der Phase, wo deutlich gemacht werden muss, dass das Verhalten Putins eben sogar über die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine hinausgeht. Es ist die europäische Friedensordnung, die infrage gestellt wird, wenn eine große Macht wie Russland demonstriert und verwirklicht, dass Machtansprüche, territoriale Machtansprüche mit militärischer Gewalt, Einschüchterung und anderen Mitteln wieder durchgesetzt werden. Das ist die Grundfrage: Akzeptieren wir das? Gilt das Recht des Stärkeren? Nehmen wir das hin? Oder sagt die westliche Gemeinschaft, das ist so fundamental, dass wir es nicht hinnehmen, und das entzieht auch bisherigen Kooperationsmodellen die Grundlage? Und wir, der Westen, die Europäische Union, aber auch die USA, setzen alles daran, eine diplomatische, politische Lösung zu erreichen, mit Russland zusammen, aber eben auch mit der ukrainischen Regierung.
    Heinemann: Viel größer sind die Befürchtungen im Osten. Polens Ministerpräsident Donald Tusk sagt jetzt in einem Interview mit der "Zeit", die Gefahr einer russischen Invasion der Ost- und Südukraine sei real. Ist Deutschland, die EU, die NATO darauf vorbereitet?
    Röttgen: Nach den Erfahrungen hat Putin und Moskau leider auch an Berechenbarkeit verloren. Wir haben ja alle nicht damit gerechnet, dass es zu der Annexion der Krim kommt, noch vor einigen Monaten. Und trotzdem macht es auch keinen Sinn, nun zu beschwören, Dinge, die jedenfalls noch nicht real da sind und mit denen man auch nicht rechnen kann, dass sie stattfinden. Sondern wir müssen vorbereitet sein auf alle möglichen Situationen. Aber im Moment gibt es ja keine Anzeichen, dass es die Übertragung der militärischen Mittel Russlands von der Krim auch auf die Ostukraine gibt, sondern es gibt ja auch ein paar Anzeichen wie etwa die Zustimmung aus Russlands zu einer OSZE-Beobachtermission. Es gibt intensive politische Verhandlungen, aber noch keine politische Lösung, die in Sicht ist. Aber auch das andere, glaube ich, halte ich jetzt nicht für sinnvoll, dass wir von unserer Seite gewissermaßen schon das kommunizieren, was ja keiner will.
    Heinemann: Stichwort kommunizieren. Kann man in dieser Lage 2014 mit 1938 in einem Atemzug nennen?
    Röttgen: Sie sprechen auf Herrn Schäuble an, der ja klar gemacht hat schon in dem Schülergespräch, dass er nicht vergleicht. Er hat das ja gestern auch noch mal dann ausdrücklich betont, dass er selbstverständlich nicht verglichen habe, und er hat es ja auch in dem Gespräch selber schon gesagt. Ich finde gut, dass das jetzt auch noch mal klar geworden ist.
    Angst, in einen Konflikt hineingezogen zu werden
    Heinemann: Nur sind die Russen ziemlich sauer.
    Röttgen: Ja, das stimmt. Aber wenn sie auch zur Kenntnis nehmen, dass der Bundesfinanzminister ausdrücklich gesagt hat, ich vergleiche nicht, dann, glaube ich, muss man das zur Kenntnis nehmen.
    Heinemann: Herr Röttgen, wir werden im Deutschlandfunk zurzeit mit Mails von Putin-Verstehern überschüttet. Teilweise echte Sorgen werden da sachlich beschrieben, teilweise Gossensprache, anti-russische Kriegshetze würde der Deutschlandfunk betreiben. Erleben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen Außenpolitiker das auch?
    Röttgen: Ja, das erlebe ich auch, am allermeisten im Netz, dass das stattfindet. Es ist, glaube ich, so, wie Sie es beschreiben. Es ist zum einen durchaus, so sieht es aus, gut organisiert, und zum anderen sind es natürlich auch Ängste und Besorgnisse, die bestehen, auch in der Bevölkerung. Darum finde ich ja so wichtig, dass wir klar machen, dass es ein ernster Konflikt ist, aber dass es eben keine militärische Option des Westens gibt. Das ist klar und muss klar bleiben. Und trotzdem gibt es in der Bevölkerung Befürchtungen, dass man in einen Konflikt hineingezogen wird. Ich sehe in diesen Reaktionen auch einen gewissermaßen psychologischen Abwehrmechanismus, in einen Konflikt, den man gar nicht versteht, von dem man glaubt, dass er doch eigentlich weit weg ist, hineingezogen zu werden, und darum ist es so wichtig, dass wir darüber reden und deutlich machen, dass wir in einer Welt ohne Grenzen praktisch leben, der Globalisierung wechselseitiger Abhängigkeiten, wo es auch darum geht, dass man ein Regelwerk findet, um Konflikte zu lösen. Und wenn wir jetzt am Anfang des 21. Jahrhunderts die Erfahrung zulassen, dass der, der unter Verletzung von Grundregeln Interessen durchsetzt, wenn das Schule macht, wenn das die Lektion ist, dann werden wir noch mit ganz vielen Konflikten konfrontiert werden, und darauf müssen wir uns einstellen, politisch klar sein und alle politischen Mittel auch einsetzen, um durchzusetzen, dass Konflikte eben nicht gewaltsam, sondern unter Beachtung von Regeln gelöst werden.
    Heinemann: Stichwort Verletzung von Grundregeln. Die "Süddeutsche Zeitung" meldet heute, der US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein sei für die US-Armee die Drehscheibe des Drohnenkrieges in Pakistan und im Jemen. Die Zeitung beruft sich auf einen ehemaligen US-Soldaten. Kann es die Bundesregierung hinnehmen, dass von deutschem Boden aus Hunderte Zivilisten getötet wurden oder werden?
    Röttgen: Ich kann die Informationen nicht bestätigen. Darum kann ich sie auch nicht bewerten, wenn eine Information nicht selber bekannt ist. Die zweite Frage ist der rechtliche Status von Ramstein selber und die dritte Frage ist in der Tat die Grund-, die Sachfrage nach dem Drohneneinsatz auch zu gezielten Tötungen, der stattfindet. Das ist ja unabhängig auch davon, von wo er organisiert wird. Und den halte ich auch in der Form für problematisch. Ich kann die Sachverhaltinformation nicht bestätigen, aber das ist ein problematischer Punkt, den ich auch so sehe, als problematisch ansehe.
    Heinemann: Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, von der CDU. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Röttgen: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.