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Russland
Weder verdammen noch mystifizieren

Es gibt eine Flut von Büchern, die sich in diesem Jahr mit dem russischen Präsidenten Putin und seiner Prägung Russlands beschäftigen. Auch Katja Gloger, langjährige "Stern"-Korrespondentin in Russland, hat sich ihre Gedanken gemacht - und diese in einer sehr lesenswerten und faktenreichen Plädoyer zusammengefasst.

Von Moritz Küpper | 16.11.2015
    Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Fernsehinterview
    Russlands Präsident Wladimir Putin: Wechselseitige Abhängigkeit von den Oligarchen (Imago)
    - "Schon am Freitag vor Silvester sah die Hauptstraße der tschetschenischen Hauptstadt Grosny so aus: Dreiviertel der Einwohner sind geflohen – der Rest wartet auf den Ansturm der Russen."
    - "Russland gegen Georgien, Georgien gegen Russland."
    Nachrichten vom Krieg, von blutigen Auseinandersetzungen, von Konflikten. Egal, ob im ZDF, bei Spiegel TV oder der BBC, die den Augenblick beschreibt, an dem Wladimir Putin deutlich macht, dass die Krim nun auf immer zu Russland gehöre:
    "Vladmir Putins presenting it as just another working visit, but of course, it is so much more, than that: This is about showing, that Crimea, as far as he is concerned is part of Russia for good now."
    Gewalt als Option russischer Politik
    Die Besetzung der Krim, der Krieg in der Ukraine – es ist das letzte Kapitel einer Reihe, die mit den Tschetschenien-Kriegen ab 1994 begann, die im Konflikt mit Georgien 2008 seine Fortsetzung fand. Und in der immer wieder andere blutige Ereignisse stehen: die Geiselnahmen in einer Schule in Beslan oder im Moskauer Dubrowka-Theater. Solche Nachrichten haben das Bild von Russlands Präsident Wladimir Putin geprägt:
    "Gewalt war immer eine Option russischer Politik."
    Katja Gloger kennt Russland, kennt Waldimir Putin:
    "Dass man seine Feinde im Zweifel brutal besiegt, wenn man sie nicht kaufen kann, war auch immer Option russischer Politik."
    Gewalt und Geld. Sie bestimmen – so scheint es – die russische Politik – und damit die Welt von Wladimir Putin. Doch das sind, so Gloger, nur Mittel zum Zweck in dem komplizierten Machtgeflecht im Kreml. 25 Jahre nach dem Fall der Mauer, blickt Gloger, die lange Jahre für den "Stern" aus Russland berichtete, die den Aufstieg von Wladimir Putin zur zentralen Figur des heutigen Russlands hautnah miterlebt hat, zurück. Auf ein Vierteljahrhundert, in dem sich, so erscheint es heute, Russland langsam, aber sicher immer weiter von Europa, vom Westen entfernt hat. Unter Putin, so Gloger, hat sich das Land stark ideologisiert:
    "Eine Einteilung der Menschen in unsere und die da, in loyale Freunde und Feinde. Es fallen ja Worte wie Nationalverräter, fünfte Kolonne. Wörter, die die Menschen an sehr dunkle Zeiten erinnern."
    Solche simplen und gefährlichen Zuschreibungen spiegeln sich auch in vielen Diskussionen, Analysen und Veröffentlichungen hierzulande wieder. Glogers Buch unterscheidet sich wohltuend davon: Sie verzichtet auf Dämonisierung, auf Mystifizierung Russlands, sondern zeichnet ein Bild des russischen Präsidenten, der eine Mission hat: Sein nun über ein Vierteljahrhundert gedemütigtes Land zur alten Stärke zu führen, zu einem Machtfaktor der Weltpolitik zu machen. Doch dabei, so schreibt Gloger, beschritt er einen Weg, der die Bevölkerung letztendlich um ihr Land brachte:
    "Das Problem dieser simulierten Demokratie war von Anfang an ihr eigener Erfolg. Sie schien doch so effizient in den ersten acht Jahren seiner Herrschaft, als das Bruttoinlandsprodukt wuchs, das Durchschnittseinkommen mit dem Ölpreis stieg und im Land endlich wieder Ruhe und Stabilität einkehrten, gar ein Gefühl der Sicherheit. Viel später erst merkten die Menschen den Betrug an ihrer Zukunft: Der Reichtum des Landes, seine enormen Rohstoffvorkommen, wurde von einer kleinen Gruppe monetarisiert."
    Oligarchen abhängig von Putin
    Dadurch, so Glogers Analyse, säßen die Oligarchen in der Falle, könnten nicht mehr aus ihrer Rolle, weil sie eben das Land bestohlen haben. Der Verlust der Macht Putins wäre somit auch für sie gefährlich, weil er sie aktuell vor der Abrechnung des Volkes deckt – sie zugleich damit aber auch in der Hand hat. Sie sind Putin ausgeliefert und so ein Faktor in dem komplizierten russischen Machtgeflecht, das auf Loyalität fußt – und in dessen Mitte die Spinne Putin sitzt.
    Gloger beschreibt zunächst Putins Lebensweg, seine Geburt, sein Elternhaus. Und nähert sich in ihrer Analyse zu Beginn also über die Person Putin, bevor sie anschließend das Resultat, vor allem aber die Auswirkungen seines Schaffens durchdekliniert: Neben dem Wirtschaftsthema sind das die bereits angesprochene Ideologisierung, eine eher ohnmächtige Zivilgesellschaft, eine aggressive Außenpolitik und enttäuschte Erwartungen an den Rest der Welt.
    Doch: Was ist Ursache, was Wirkung? Das lässt sich nicht immer klar trennen, doch Glogers Mittel, die Analyse einer Außenstehenden immer wieder auch anhand ihrer persönlichen Begegnungen zu illustrieren, funktioniert. Von ihrer Freundin Marina erzählt sie etwa, die vom wirtschaftlichen Aufschwung profitierte, mit der es lustige, lange Abend gab – die sich aber nun immer mehr entfernte:
    "Ich habe mich gefragt, was habe ich persönlich in diesen vergangenen 25 Jahren, was habe ich missverstanden? Habe ich unterschätzt, wie gedemütigt sich die Menschen gefühlt haben? Wie wirksam dann doch Propaganda und Feindbilder sind, sodass sie sich auch in enge, langjährige Freundschaften hineinschleichen."
    Plädoyer, Russland weder zu verdammen, noch zu verklären
    Heute kann Gloger mit Marina nicht mehr über Politik sprechen:
    "Wir diskutierten nicht mehr, wir stritten. Wir gehen jetzt unseren eigenen Weg, sagte Marina mit gewissem Stolz. Und manchmal schien es mir, als schaue sie mich voller Mitleid an. Sie hat ihre Wahrheit gefunden."
    Ihre Wahrheit. Gloger, die das Land seit Jahrzehnten kennt, musste feststellen, ...
    "... dass selbst, wenn man glaubt, man habe ein Gefühl entwickelt für die Geschichte dieses Landes, für seine Menschen, dass das so irgendwie doch nicht stimmt. Und dass wir möglicherweise, es ist eine traurige Erkenntnis, doch weiter voneinander entfernt sind, als wir glauben."
    Umso wichtiger sei das gegenseitige Verständnis. Auch, wenn es schwerer geworden ist:
    "Wir betreiben heute fast wieder so viel Kreml-Astrologie, wie wir zu sowjetischen Zeiten betrieben haben."
    Doch Glogers Buch ist dabei mehr als ein lesenswerter Beitrag, sondern ein faktenstarkes Plädoyer dafür, Russland weder zu verdammen, noch zu verklären.
    Buchinfos:
    Katja Gloger: "Putins Welt. Das neue Russland, die Ukraine und der Westen", Berlin Verlag, 352 Seiten, Preis: 18,00 Euro