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Russlandexperte: Gefahr eines neuen Kalten Krieges

Für den Politologen Alexander Rahr zeichnet sich in der Syrienfrage eine grundsätzlichere Konfrontation zwischen Russland und dem Westen ab. Russland befürchte, in einer veränderten Weltordnung zum "Zaungast" der Weltpolitik zu werden. Die große Frage aber sei, wer definieren könne, "wer Schurke und wer kein Schurke ist", glaubt Rahr.

Alexander Rahr im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 21.07.2012
    Jürgen Zurheide: Die UN-Beobachtertruppe bleibt vorerst in Syrien. Der Weltsicherheitsrat hat das gestern einstimmig beschlossen, die Mission soll für 30 Tage verlängert werden, nur falls sich wider Erwarten die Lage beruhigt und die Bedingungen Kofi Annans von seinem Plan erfüllt werden, also keine schweren Waffen mehr eingesetzt werden, sollen die 300 Beobachter weiterhin in Syrien bleiben. Darauf hofft am Ende allerdings kaum jemand. Die Entscheidung erfolgte einen Tag nach dem russisch-chinesischen Doppelveto gegen westliche Syrienresolutionen, die erstmals auch Sanktionen ermöglicht hätte.
    Was wir zum Schluss gehört haben, das gibt dann doch Anlass, die eine oder andere Frage zu stellen. Und wir wollen uns jetzt mit der russischen Haltung beschäftigen und begrüßen dazu den Politologen und Russlandkenner Alexander Rahr, er ist am Telefon. Guten Morgen, Herr Rahr!

    Alexander Rahr: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Zunächst einmal, wenn wir die amerikanische Haltung sehen, und wenn wir dann noch hören, das ist ein anderes Zitat, dass die Russen jetzt auf der schlechten Seite der Geschichte stehen, über wen sagt das eigentlich mehr, solche Sätze, über die Amerikaner oder über die Russen?

    Rahr: Das kommt drauf an, aus welcher Sicht man versucht, diesem Argument nachzugehen. Die Russen glauben, dass sie auf der richtigen Seite der Geschichte stehen, und die Amerikaner und der Westen auf der falschen. Die Russen wollen kein zweites Libyen-Abenteuer mit unterstützen, sie wollen verhindern, dass der Westen – kurz gesagt, die NATO – zu einem neuen Gendarmen in der Weltpolitik wird und immer wieder sich einmischt in Staaten, wo sogenannte Diktatoren gegen ihre eigene Bevölkerung vorgehen. Die Russen sind gegen eine Veränderung der Weltordnung, wo die Souveränität eines Staates, die in den letzten 300 Jahren Priorität in der Politik gewesen ist, ausgehöhlt wird durch andere Mandate, durch andere Missionen, Friedensmissionen von Staaten, die glauben, dass dort Menschenrechte verletzt werden.

    Zurheide: Das heißt, die Russen haben was gegen die militärische Intervention und damit möglicherweise gegen die Vormachtstellung des Westens, oder sagen sie, die Länder müssen ihre Veränderungsprozesse selbst regeln? Wo liegt da für Sie das Schwergewicht der russischen Argumentation?

    Rahr: Ich glaube, die Russen sind erfahren genug in der Weltpolitik – genau so wie die Chinesen, um zu verstehen, dass das Zweite fast ausgeschlossen ist. Assad wird sich natürlich mit der Opposition nicht einigen können. Aber was die Russen eben verhindern wollen, ist, dass 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion der Westen seine Position in der globalen Politik weiterhin ausbaut und stärkt, und die Russen und Chinesen Zaungäste dabei sind, wo eine Militärinstitution wie die NATO möglicherweise in anderen Staaten im Nahen Osten für Ordnung sorgt. Syrien ist kein Freund Russlands, aber Syrien ist mehr oder weniger der letzte Verbündete Russlands im Nahen Osten in einer Region, wo heute die Weltpolitik mitentschieden wird.

    Zurheide: Nennen Sie uns die Interessen der Russen überhaupt in der Region? Sie haben gerade gesagt, Syrien ist kein Freund Russlands, aber eben doch ist man miteinander verbunden. Zum Beispiel gibt es Militärbasen – ist das ein wichtiges Argument?

    Rahr: Ja, was kann denn diese Russische Marineflotte denn im Mittelmeer ausrichten? Eigentlich gar nichts, Russland ist in der Weise keine Supermacht mehr, aber Russland versteht, dass im mittleren und Nahen Osten weiterhin Weltpolitik gemacht wird. Dort gibt es den Faktor Israel, dann gibt es den Faktor Iran, aus dieser Region wird Europa und Asien mit Öl versorgt, und man will natürlich, nachdem man den Irak als einen ehemaligen Verbündeten in dieser Region verloren hat, und wo Iran völlig isoliert ist, natürlich mit Syrien, einem alten Klienten aus der Zeit noch der Sowjetunion, nicht einen weiteren Verbündeten – vielleicht den letzten – für immer verlieren, sodass Russland dann überhaupt keinen Einfluss auf diese Region haben würde.

    Zurheide: Nun, wenn wir die Konfrontation auch gerade im Weltsicherheitsrat und auch in den Zitaten gehört haben und auf uns wirken lassen, gibt es denn überhaupt im Westen aus Ihrer Sicht ausreichend Verständnis für diese russische Position und auch für die russischen Interessen? Denn das müsste ja die Basis sein, oder läuft das dann voll auf die Konfrontation hinaus, auch immer im Weltsicherheitsrat?

    Rahr: Also ich befürchte, dass wir 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges vielleicht in einen neuen Kalten Krieg hineinrutschen, weil die Positionen zu unterschiedlich sind. Russland und China auf der einen Seite wollen momentan was ganz anderes, eine andere Weltordnung, um das salopp zu formulieren, als der Westen. Und die Amerikaner und die mit ihnen verbündeten Europäer wollen eine andere Weltordnung kreieren, auch eine Weltordnung, wo es keine Diktatoren aus ihrer Sicht gibt. Die große Frage, die gestellt werden muss, ist, wer ist Diktator? Wer kategorisiert hier, wer erklärt der Öffentlichkeit, wer der Schurke und wer kein Schurke ist? Und das, denke ich, ist ein großes Problem der künftigen Weltpolitik. Und die Russen und Chinesen, möglicherweise, sind die Fragen der Menschenrechte in Syrien und in Libyen egal – nicht so wie bei uns, wo die öffentliche Meinung durch Fernsehbilder, die man tagtäglich im Fernsehen sieht, natürlich aufgewühlt wird. In Russland ist es anders, dort beharrt man darauf, dass man vor allen Dingen seine eigene Position in der Weltpolitik wieder stärken will, und dass man das tun muss, auch möglicherweise in Konfrontation mit dem Westen.

    Zurheide: Gibt es denn nicht die Sorge – jetzt gehen wir noch mal auf die russische Seite –, dass zum Beispiel die Kontakte zur Opposition nicht ausreichend ausgeprägt sind? Denn völlig ausschließen kann man ja auch nicht, dass Assad das da wirklich durchhalten wird. Gibt es Kontakte zur Opposition aus Russland?

    Rahr: Natürlich, die Opposition war ja in Russland und hat sich auch mit Putin und auch mit Lawrow, mit anderen Politikern getroffen. Die Frage ist nur, wie sinnvoll und wie effektiv war das? Also ich komme hier zu dem Kern des Problems: Die Russen verdächtigen den Westen, die Opposition schon mit Waffen unterstützt zu haben, um einen Sturz Assads zu planen. Und die russische Position ist da ganz klar, Assad soll im eigenen Land natürlich Ordnung schaffen, er soll gegen die eigene Bevölkerung nicht vorgehen, aber Russland wird nicht zustimmen, wenn die ganze Welt – sprich der Westen und die Amerikaner – sich für einen Regime Change in Syrien aussprechen werden. Und hier kann, glaube ich, Assad auf die Unterstützung Russlands rechnen. In den russischen Medien – wenn Sie heute in die russische Politik gehen, sehen Sie, dass dort viel darüber gesprochen wird, dass zum Beispiel die eine Hälfte der Bevölkerung gegen Assad ist, die andere Hälfte der Bevölkerung so weiterhin für ihn, vor allen Dingen die Minderheiten, die Christen, diejenigen, die nicht dem islamistischen Lager zugerechnet werden, so schreibt man in Russland, hoffen natürlich auf Assad, der in den letzten 20, 30 Jahren – die Familie Assad auf jeden Fall, der Klan Assad – eine Schlüsselrolle für die Stabilität und für die Sicherung dieser Minderheitenrechte in Syrien gewesen sind. Und das ist ein ganz anderes Bild, das da auf Syrien geworfen wird, aber das unterscheidet sich völlig von dem, was bei uns in den Medien geschrieben wird.

    Zurheide: Das heißt, auch in Russland gibt es keine Diskussion, so wie sie bei uns geführt wird?

    Rahr: Eine andere Diskussion, die sagt, dass wenn man die Opposition unterstützen würde, es zu einer Islamisierung, einer radikalen Islamisierung Syriens kommen würde, damit würden westliche oder europäische Rechte erst recht verletzt werden, und es wäre keine Lösung im Sinne einer Befriedung der Region und des Landes.

    Zurheide: Das war die russische Sicht der Dinge, zumindest haben wir den Versuch gemacht, sie zu verstehen. Dabei geholfen hat uns Alexander Rahr als Russlandexperte. Herr Rahr, ich bedanke mich für das Gespräch! Danke schön!

    Rahr: Gerne!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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