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Russlandpolitik
"Unser Problem ist die US-Politik"

Um eine gute Beziehung zu Russland aufzubauen, müsse man mit Moskau reden und versuchen, die russische Politik zu verstehen, sagte Klaus von Dohnanyi (SPD) im DLF. Dohnanyi, der auch Mitglied der Atlantik-Brücke ist, ergänzte, dass die USA völlig andere Interessen zu Russland verfolgten. Man habe in den USA einen Partner, der nicht wirklich verstehe, wie man mit Russland umgeht.

Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit Christoph Heinemann | 21.08.2015
    Der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi.
    Der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi. (picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler)
    "US-amerikanische Interessen sind nicht zwangsläufig deutsche oder europäische Interessen", sagte Dohnanyi. "Wir haben zu den Russen nur eine Landgrenze", während die Amerikaner noch den Atlantik dazwischen hätten, ergänzte der SPD-Politiker.
    Die USA sehen Europa als geopolitischen Brückenkopf in Eurasien, sagte er weiter. Es sei daher sehr wichtig für Deutschland und Europa unter den gegebenen Bedingungen mit Russland zu reden, "aber zugleich die Kritik nicht auszulassen. Die Annexion der Krim war ein Völkerrechtsbruch", bekräftigte der SPD-Politiker.
    Weiter Weg Russlands zur Demokratie
    Russland habe einen weiten Weg zur Zivilgesellschaft, auf der eine Demokratie gründen könne, sagte Dohnanyi. Zur Arbeit und dem Austausch der Bundesregierung mit Russland sagte er: "Die deutsche Politik versucht gegenwärtig, das Beste zu machen."
    Er verglich die aktuelle Russland-Politik im Spannungsfeld USA und Deutschland mit der Ostpolitik von Egon Bahr: "[Der US-Außenminister] Henry Kissinger hat Bahr lange kritisiert." Kissinger und die USA hätten lange nicht verstanden, warum die Regierung unter Willy Brandt mit Egon Bahr zusammen den Wandel durch Annäherung zwei Jahre nach dem Mauerbau eingeleitet habe. Bahr und Brandt hätten mit ihrer Politik die Vorbereitung des Weges zur Wiedervereinigung geebnet, sagte Dohnanyi.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Der Bundespräsident hat gestern geschrieben: "Durch sein gesamtes Wirken zog sich wie ein roter Faden die Erkenntnis, dass wir alle voneinander abhängig sind." Und damit hat Joachim Gauck Egon Bahr vielleicht am besten beschrieben.
    Man muss nicht, aber man kann eine Gänsehaut bekommen, wenn man den großen alten Mann der deutschen Ostpolitik noch einmal hört.
    Egon Bahr: "Wir wussten natürlich ganz genau, auf der anderen Seite ist ein Regime, das ist uns feindlich gesinnt. Aber wir wussten auch, wir müssen uns den Menschen drüben zuwenden, wir müssen mit ihnen reden. Wir haben keine Sekunde daran gezweifelt, dass das ein Regime war, das wir ablehnen und das uns feindlich gegenüberstand.
    Es begann eine leidenschaftliche Diskussion. Der Vorsitzende der CDU damals, Herr Amrehn in Westberlin, sagte, mit Gefängniswärtern verhandelt man nicht. Brandt antwortete, kleine Schritte sind besser als große Worte. Der CDU-Kollege sagte, die Wunde muss offen bleiben. (Ich fand das übrigens nicht besonders christlich.) Und Brandt sagte, die ganze Politik soll sich zum Teufel scheren, wenn sie nicht den Menschen hilft."
    Heinemann: Egon Bahr im Januar 2013 in der Frauenkirche in Dresden.
    Wesentliche Erfahrungen, die Egon Bahr politisch geprägt haben, teilt der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi, der frühere Erste Bürgermeister von Hamburg, vormals Bundesminister. Die Verbrechen der Hitler-Diktatur, die deutsche Teilung, der Kalte Krieg, der Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland, Europa, die Wiedervereinigung, das Ende der Sowjetunion, eine kurze Phase einer europäisch-russischen Partnerschaft, zuletzt der Krieg in der Ukraine - das sind einige wenige Haltestellen auf einem langen gemeinsamen politischen Weg. Guten Morgen, Herr von Dohnanyi.
    Klaus von Dohnanyi: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr von Dohnanyi, Wandel durch Annäherung, und das zwei Jahre nach dem Mauerbau. Worin bestand das Neue in Egon Bahrs berühmter Tutzinger Rede?
    von Dohnanyi: Wir haben ja eben gerade ihn dazu gehört. Das Neue bestand darin, sich nicht zu scheuen, mit jemand zu reden, dessen völlig andere politische und auch geostrategische Einstellung man sehr wohl erkannte. Und man wusste, dass diese Leute uns im Kern nicht wohl wollten, und dennoch wollte Egon Bahr und wollte Willy Brandt mit diesen Leuten reden, um eben Schritte voranzumachen. Und ich sage noch mal, ich wiederhole sozusagen, was Egon Bahr gesagt hat: Man wusste, mit wem man zu tun hatte, und man war dennoch bereit zu reden.
    "Die Widerstände waren enorm"
    Heinemann: Welche Widerstände mussten Bahr und Brandt überwinden?
    von Dohnanyi: Die Widerstände waren enorm, besonders natürlich im Deutschen Bundestag, aber zunächst auch in Berlin. Die Widerstände waren ja auch verständlich. Man muss bedenken, das Jahr _63, das war zwei Jahre nach dem Mauerbau und ein Jahr nach der Kuba-Krise und der Kalte Krieg war sozusagen auf seinem Höhepunkt, wenn man so will, und in diesem Augenblick sagt einer aus Berlin, Willy Brandt und unterstützt und auch vorangehend Egon Bahr in Tutzing, das ist alles so, wie es erscheint, aber dennoch müssen wir reden und man muss in kleinen Schritten versuchen, voranzukommen, wenn man die großen Schritte gegenwärtig nicht machen kann. Und es hat sich natürlich am Ende auch sehr bewährt.
    Heinemann: Insofern, als, wie Bahr gesagt hat, Kohl geerntet hat, was Brandt und er gesät haben.
    von Dohnanyi: Ja. Das ist richtig. Ich habe das ja auch mal so in der "FAZ", glaube ich, geschrieben. Das ist richtig. Die Vorbereitung für den Weg der Wiedervereinigung lag in dem Herstellen von Vertrauen auf der anderen Seite, ein Vertrauen, dass auf unserer Seite keine Revision der Grenzen vorgenommen werden würden, dass wir vorankommen würden im gegenseitigen Verstehen und Verständnis, und auf diese Weise konnte man dann auch in der besonderen Situation von 1989, konnte Kohl übrigens in beachtlicher Weise - das muss man deutlich anerkennen - den Schritt in die Wiedervereinigung machen.
    "Man muss anerkennen, dass die Völker unterschiedlich sind"
    Heinemann: Herr von Dohnanyi, eine Überzeugung von Egon Bahr war, dass Demokratie in Russland immer eine Demokratie à la russe sein wird, eine russische, nicht zu vergleichen mit westeuropäischen. Gehört es zur Realpolitik, dass man rechtsstaatliche Missstände übergehen muss oder jedenfalls nicht laut thematisiert?
    von Dohnanyi: Man hat sie ja auch damals thematisiert. Aber man hat natürlich gesehen, dass die Völker verschieden sind. Wir sehen das gegenwärtig in Europa in ungewöhnlicher Weise ungewöhnlich deutlich. Die Deutschen können nicht sein wie die Griechen und die Griechen nicht wie die Deutschen und man muss eben anerkennen, dass die Völker unterschiedlich sind und auch unterschiedliche Formen der Praxis der Politik haben.
    Aber sicher ist natürlich, dass Russland noch einen weiten Weg zu gehen hat, bis dort eine Zivilgesellschaft entstehen kann, auf der dann am Ende auch die Demokratie gründen kann. Dieses berühmte Wort von Böckenförde, dem früheren Bundesverfassungsrichter, eine Demokratie kann die Basis nicht schaffen, auf der sie steht, das gilt natürlich auch für Russland.
    "Amerikaner verstehen Politik Europas gegenüber Russland nicht"
    Heinemann: Benötigte die deutsche und die europäische Ostpolitik heute Egon Bahr dringender denn je?
    von Dohnanyi: Ja. Ich meine, wir alle sind sozusagen Egon Bahr jetzt traurig. Für uns alle hat er uns verlassen und ist gestorben. Wir alle sind natürlich vergänglich und jede Zeit braucht ihre Menschen für ihre Zeit. Ich denke, die deutsche Politik gegenwärtig versucht, unter den Bedingungen das Beste zu machen.
    Lassen Sie mich mal etwas härter formulieren. Die Amerikaner brauchen einen Politiker, der in der Lage ist, die Geopolitik, also die Politik auch gegenüber Russland wirklich zu verstehen.
    Unser Problem ist im Augenblick nicht die deutsche Politik; unser Problem ist die amerikanische Politik. Und wenn Sie erinnern, in welcher Weise Egon Bahr auch in den USA damals kritisiert wurde und wie lange Henry Kissinger gebraucht hat, um zu verstehen, dass diese deutsche Politik eine Politik für die Zukunft war, dann darf man natürlich nicht übersehen, dass wir heute in Amerika dieselben Probleme haben.
    Wir haben in den Vereinigten Staaten einen Partner, der unter den gegebenen Umständen nach meiner Meinung nicht versteht, wie man eigentlich wirklich mit Russland umgehen müsste.
    "Wer sein Gegenüber nicht versteht, kann mit ihm gar nicht reden"
    Heinemann: Dafür wirbt jetzt Hans-Dietrich Genscher. Er fordert in der "Süddeutschen Zeitung" einen Neuanfang mit Putin. Man müsse pragmatisch jetzt sein, die Hand ausstrecken. Aber geht das? Kann man jemanden als Partner akzeptieren, der, jedenfalls nach westlicher Lesart, gewaltsam Grenzen verschiebt?
    von Dohnanyi: Wiederum: Man muss versuchen zu reden und man muss versuchen, in den Gesprächen versuchen, den anderen zu verstehen. Und eines der dümmsten Worte, die in den deutschen Medien herumgegeistert sind, ist das Wort von den Putin-Verstehern. Wer sein Gegenüber nicht versteht, der kann mit ihm gar nicht reden. Und das heißt, natürlich müssen wir versuchen, unter den gegebenen Bedingungen zu reden, aber zugleich auch nicht auslassen die Kritik.
    Natürlich war die Annexion der Krim ein Völkerrechtsbruch. Natürlich hat Putin viele Zusagen gemacht, die nicht gehalten worden sind. Aber das ändert nichts daran, dass Russland der Nachbar Europas ist und dass wir deswegen versuchen müssen, mit unserem Nachbarn über die Dinge zu reden, die für beide Seiten wichtig sind.
    Offene, freundschaftliche Auseinandersetzung mit den USA erforderlich
    Heinemann: Ich hatte eben von der gemeinsamen Erfahrung gesprochen. Ist die Generation, die den Krieg noch erlebt hat, realpolitischer?
    von Dohnanyi: Das glaube ich eigentlich nicht. Wenn ich mir gegenwärtig die Bundesregierung anschaue, auf beiden Seiten der Parteien, ist da sehr viel Realismus. Ich denke, wir sollten uns nicht einbilden, wir seien besser als unsere Nachfolger, aber wir sollten unsere Nachfolger ermutigen, mit viel Mut an diese Sache heranzugehen.
    Und ich wiederhole noch einmal: Zu diesem Mut gehört auch eine offene, freundschaftliche Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Partner, der ganz andere Interessen hat, der ja - das darf man ja nicht übersehen - Europa als den geopolitischen Brückenkopf in Eurasien betrachtet.
    Wir sind ein Brückenkopf für die USA. Die USA haben zwischen sich und den Russen den Atlantik und wir haben zwischen uns und den Russen nur eine Landgrenze. Also wir haben eine völlig andere Lage und darüber muss offen geredet werden. Amerikanische Interessen sind in diesem Zusammenhang nicht notwendigerweise deutsche Interessen.
    Heinemann: Der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi, früher Erster Bürgermeister von Hamburg und Bundesminister. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    von Dohnanyi: Vielen Dank, Herr Heinemann. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.