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Russlandreise von Steinmeier
Arbeitsbesuch ohne Bankett und Dekoration

Frank-Walter Steinmeier ist seit 2010 der erste Bundespräsident, der Russland einen Besuch abstattet. Die deutschen und russischen Positionen gehen weit auseinander - Steinmeier will helfen, die Beziehungen zu normalisieren.

Von Thielko Grieß | 25.10.2017
    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kommt am 25.10.2017 auf dem Flughafen in Moskau (Russland) an. Steinmeier wird bei seinem eintägigen Arbeitsbesuch in der Russischen Föderation unter anderem Präsident Putin und Menschenrechtler treffen.
    Bundespräsident Steinmeier in Moskau (Bernd von Jutrczenka/dpa)
    Das Glaubensbekenntnis beten die Gläubigen erst auf Deutsch, dann auf Russisch. Auch andere Teile der sonntäglichen Liturgie spricht Erzbischof Dietrich Brauer in beiden Sprachen. Im Kirchenschiff sitzen, singen und beten Russen, Deutsche, Russlanddeutsche. In Russland gibt es rund 40.000 registrierte Lutheraner, etliche weitere zählen sich stillschweigend dazu.
    "Unsere Gemeinde besteht natürlich nicht nur aus den Menschen, die sich so identifizieren. Viele identifizieren sich als Russländer, als Bürger dieses Landes, mehr aber nicht. Für sie ist dann die Selbstidentifikation evangelisch-lutherisch viel wichtiger."
    In Moskau gehören nur wenige hundert Menschen zur Gemeinde. Sie kann von heute an ihre Hauptkirche, die Kathedrale Sankt Peter und Paul, gelegen im historischen Stadtteil Kitai-Gorod, wieder ihr eigen nennen. Der Bau sticht mit seinem wieder aufgebauten schlanken Turm in der Moskauer Architektur heraus.
    Zur Zeremonie haben sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Heinrich Bedford-Strom, angekündigt. Die Verhandlungen haben Jahre in Anspruch genommen, sagt Erzbischof Brauer:
    "Der Staat kommt nie auf die Idee, uns die Kirche zurückzugeben. Da mussten wir wirklich hart arbeiten, alle Papiere neu sammeln, alle Archivauskünfte und alle diese Informationen, um zu beweisen, dass diese Objekte wirklich für religiöse Nutzung gebaut wurden. Obwohl sie ja auch so heißen."
    Die Kathedrale diente nach der Enteignung in der Sowjetunion als Kino, später als Fabrik für Dia-Rahmen. Nach 1991 bekamen die Lutheraner nach und nach Nutzungsrechte zugestanden, das Gebäude wurde restauriert, aber Eigentümer blieb die Stadt Moskau.
    Frank-Walter Steinmeier hat sich, heißt es in Moskau, noch in seiner Funktion als Außenminister für die Rückgabe stark gemacht. Die Lutheraner erhalten nun allerdings nicht das ganze Areal zurück, das ihnen früher gehörte. Unter anderem werden zwei große Gebäude nebenan von russischen Geheimdiensten genutzt – diese Nachbarn bleiben erhalten. Außerdem bleibt die Kirchturmuhr, wo sie heute ist: Sie schmückt die Zentrale des Geheimdienstes FSB.
    "Wir werden versuchen, das mit dem Staat noch weiter zu verhandeln. Es bleibt viel noch übrig von den nicht-gemachten Sachen."
    Besuch hat auch politische Tragweite
    Die weitreichende Rückgabe, rechtzeitig vor dem Reformationstag, ist nach Darstellung des Präsidialamtes Anlass der Reise Steinmeiers. Doch hat sie auch eine politische Tragweite: Weil Joachim Gauck aus Abneigung gegenüber russischer Machtpolitik Zeit seiner Präsidentschaft keinen Fuß in die Russische Föderation setzte, ist Steinmeier der erste Bundespräsident seit Christian Wulff im Jahr 2010, der Wladimir Putin in Moskau treffen wird.
    Wegen des gespannten Verhältnisses zum Kreml legt das Bundespräsidialamt Wert auf die Bezeichnung Arbeitsbesuch - ohne Bankett, ohne große Dekoration. Steinmeier will, sagt er in einem heute erschienen Interview mit der russischen Tageszeitung "Kommersant", "Wege aus der Negativspirale von Konfrontation, Vertrauensverlust und gegenseitigen Vorwürfen finden".
    Ende August hatte er in Estlands Hauptstadt Tallinn an die Adresse Moskaus formuliert:
    "Kein fremder Staat hat das Recht, sich zur Schutzmacht in unserem oder in Ihrem Land aufzuschwingen. Solche Einflussnahme lehnen wir ab. Deshalb werden wir die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland nicht anerkennen."
    Steinmeier kennt die Situation in der Ukraine aus früheren Jahren gut. Aufmerksam wird verfolgt, wie ernst es Putin mit dem Vorschlag einer Blauhelm-Mission in der Ostukraine ist. Diesen Vorschlag hatte er zuletzt Anfang September gemacht. Seither ist nicht viel geschehen, die Details sind strittig.
    Dem Gespräch mit dem russischen Präsidenten und der Rückgabe der Kathedrale gehen weitere Termine voraus: Kranzniederlegung am Grab des Unbekannten Soldaten, ein Gespräch mit Menschenrechtlern der Organisation Memorial sowie ein Treffen mit dem letzten Staatschef der Sowjetunion, Michail Gorbatschow.