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Russlands Einreiseverbote
"Das ist eine gefährliche Situation"

Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, hat aufgrund der Einreiseverbote für europäische Politiker vor einer Eskalation gewarnt. Die russische Liste sei "ohne Transparenz" und führe objektiv zu einer Verschlechterung der Kontakte zwischen der EU und Russland, kritisierte der SPD-Politiker im DLF.

Gernot Erler im Gespräch mit Friedbert Meurer | 01.06.2015
    Porträt von Gernot Erler
    Der SPD-Politiker Gernot Erler ist Koordinator für die deutsch-russische Zusammenarbeit (dpa / Patrick Seeger)
    Die Liste würde "bestenfalls Emotionen" widerspiegeln, da jede Erklärung fehle, warum einzelnen Personen nicht mehr nach Russland reisen dürfen, betonte der Koordinator für die deutsch-russische Zusammenarbeit. Im Gegensatz dazu habe Europa für seine Sanktionslisten von Beginn an klare Kriterien festgelegt.
    "Nach dem Motto: Wie du mir, so ich dir"
    "Ungeachtet der eigentlichen Begründung der westlichen Sanktionen wird einfach zurückgehauen", sagte Erler im Deutschlandfunk. Moskau hatte eine Liste mit Namen von insgesamt 89 Europäern veröffentlicht, die nicht mehr nach Russland einreisen dürfen. Darunter sind auch acht Deutsche. Kritik der EU wies ein ranghoher russischer Diplomat zurück. Die Maßnahme sei eine Antwort auf die Sanktionen mehrerer EU-Staaten gegen sein Land.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Wie Du mir, so ich Dir. Russland hat eine Liste mit Namen von EU-Politikern und Vertretern veröffentlicht, die in Russland unerwünscht sind und nicht mehr einreisen dürfen. Solche Listen gegen russische Politiker, Wirtschaftsvertreter und Militärs gibt es umgekehrt durch die EU seit längerer Zeit auch schon, aber eben als eine Sanktion gegen die Annexion der Krim, die aus Sicht der EU eine Völkerrechtsverletzung ist.
    Gernot Erler von der SPD ist Russland-Beauftragter der Bundesregierung, jetzt bei uns im Deutschlandfunk zugeschaltet. Guten Morgen, Herr Erler!
    Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: Ist das pure Willkür, was da aus Moskau gekommen ist?
    Erler: Das ist ein großer Unterschied zwischen den beiden Maßnahmen auf der einen Seite und auf der anderen Seite. Die europäischen Maßnahmen waren von Anfang an transparent, die Listen sind veröffentlicht worden, es gab für jeden einzelnen Namen eine konkrete Begründung, weshalb diese Sanktion ausgesprochen wird. Es waren also klare Kriterien auch zu erkennen. Und es ist auch klar, was die Bedingungen sind für die Aufhebung. Das richtet sich nach der Begründung. Und im Gegensatz dazu ist diese Liste, die offenbar ja schon länger besteht, ohne Transparenz. Man weiß nicht, warum diese 89 Personen gelistet sind. Es wird nach wie vor nicht offen gehandhabt. Zwar ist am 27. Mai diese Liste vom russischen Außenministerium an die EU-Delegation in Moskau übergeben worden, seitdem ist sie auch im Internet verfügbar, aber offiziell ist sie nicht veröffentlicht worden und das sind eben die Unterschiede.
    Meurer: War Ihnen, Herr Erler, bekannt, dass es eine solche Liste gibt?
    Erler: Es gab Andeutungen dazu, dass es so etwas gibt. Wir hatten ja auch bei dem Fall der Europaabgeordneten Rebecca Harms schon so eine Maßnahme mal beobachtet, dass sie nicht reingelassen worden ist. Aber es ist bisher eben nicht bekannt gewesen, wer auf dieser Liste steht. Und ich muss auch sagen, ich habe mir das genau angeguckt: Es sind ein paar Auffälligkeiten, es sind acht Deutsche dabei, aber wir sind bei Weitem nicht die meist Betroffenen, sondern es gibt 20 Politiker aus den baltischen Staaten, 17 aus Polen. Das sind die beiden auffälligsten Herkunftsländer von dieser Liste.
    "Es wird einfach zurückgehauen"
    Meurer: Wird auch da möglicherweise ein Keil jetzt getrieben in den Westen? Das Baltikum nimmt Russland hart ran, Deutschland wird dann eher ein bisschen, ich will nicht sagen, verschont, aber doch glimpflicher behandelt.
    Erler: Ja, aber das widerspiegelt dann bestenfalls Emotionen. Man kann das ja gar nicht nachvollziehen, übrigens auch bei den einzelnen Personen nicht richtig nachvollziehen, weil es ja auch gar keine Begründung gibt. Insofern geht das so ein bisschen nach dem Motto, wie Du mir, so ich Dir. Das heißt, ungeachtet der eigentlichen Begründung der westlichen Sanktionen wird einfach zurückgehauen. Wir haben ja ähnliche Vorgänge, die gefährlich sind, auch in anderen Bereichen, etwa bei den militärischen Manövern, bei den Überflügen von Kampfflugzeugen und so weiter, dass immer mit der Begründung, ihr macht das ja auch, das auf der anderen Seite gemacht wird, und das ist eine gefährliche Situation, weil das natürlich leider auch jetzt zu einer Eskalation führen kann. In Deutschland ist es ja so, dass schon ein Politiker, mein Kollege Singhammer, Vizepräsident des Deutschen Bundestages, seine Russland-Reise abgesagt hat, obwohl er gar nicht auf der Liste steht. Es gibt auch Andeutungen aus dem Europaparlament, dass man jetzt anhand von dieser Liste - es sind einige Europaparlamentarier, auch ehemalige, was auch wieder erstaunt, auf der Liste...
    Meurer: Dass der Bundestagsvizepräsident Singhammer seine Reise abgeblasen hat, war das voreilig, ein Fehler?
    Erler: Nein! Das ist ein Reflex sicherlich. Das ist natürlich auch die Verärgerung darüber, dass sein Fraktionskollege Wellmann hier die Nacht auf dem Airport da verbracht hat.
    Meurer: Also Sie verstehen das voll und ganz? Das ist Solidarität und geht in Ordnung?
    Erler: Nein! Das ist leider die erwartbare Reaktion und ich erwarte das auch von anderen Ländern, die betroffen sind, dass man sich dort überlegt, ob man denn unter diesen Umständen die Kontakte aufrecht erhält, und es würde dann in der jetzigen Situation eine Eskalation im Sinne einer Verringerung von Kontakten stattfinden, und der deutsche Außenminister hat darauf hingewiesen, dass das ja nun gar nicht in die augenblickliche Situation passt.
    Meurer: Aber das heißt doch jetzt schon, Herr Erler, dass Sie ein bisschen missbilligen, dass Herr Singhammer nicht fliegt, weil Sie von Eskalation reden.
    Erler: Ja, objektiv führt das dann zu einer Verschlechterung der Kontakte, indem auch andere so verärgert reagieren, und das ist es eigentlich nicht, was wir im Augenblick brauchen, und es passt übrigens auch nicht zu den Bemühungen, die wir im Augenblick jedenfalls versuchen, in Moskau zu erkennen. Im Augenblick habe ich nicht den Eindruck, dass Putin an einer Eskalation der Situation zwischen Westen und Russland interessiert ist. Aber jetzt die öffentliche Diskussion über diese Liste dürfte vielleicht doch genau dazu führen, wozu Russland im Augenblick weder Begründung, noch Absicht hat, wenn ich das richtig beobachte.
    "Die Räson der Liste ist nicht nachvollziehbar"
    Meurer: Herr Erler, wenn man sich die Liste genau anschaut - CDU-Politiker stehen darauf, CSU-Politiker, Grüne von der deutschen Seite jetzt, keine SPD-Politiker -, hat das einen Grund?
    Erler: Das kann man überhaupt nicht nachvollziehen, weil mir auch bei den einzelnen Namen, die da aufgeführt sind, jede Erklärung fehlt, warum der jetzt gerade drauf ist oder andere eben nicht drauf sind. Warum ist zum Beispiel der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Michael Fuchs hier drauf und Herr Wellmann, der zwar wie andere Politiker sich kritisch gegenüber Russland geäußert hat, aber wenn alle, die sich kritisch gegenüber der Politik von Putin in dieser Krise geäußert haben, draufstehen müssten, müsste die Liste wesentlich länger sein. Dann müssten auch eine ganze Reihe von SPD-Politikern draufstehen. Das ist das Problem, dass im Grunde genommen die Räson von dieser Liste nicht nachvollziehbar ist.
    Meurer: Sie haben eben gesagt, Herr Erler, Putin ist nicht an einer Eskalation interessiert. Welche Informationen liegen Ihnen vor, dass es an der Grenze zur Ukraine zu Truppenkonzentrationen kommt, dass die russische Seite dabei ist, Waffen in die Nähe der Grenze zu platzieren und zu verbringen?
    Erler: Wir haben vielfältige Beobachtungen dazu, dass es hier um den entscheidenden Punkt geht aus den Minsker Vereinbarungen, der von Russland nach wie vor nicht eingehalten wird: Dass es nämlich weiterhin eine militärische Unterstützung auch mit Lieferungen von Waffen für die Separatisten im Osten der Ukraine gibt und dass es auch nach wie vor Aktivitäten von russischen Söldnern und möglicherweise auch von russischen militärischen Einheiten hier gibt. Das ist der ernsthafteste Punkt und der wird auch immer wieder angesprochen in allen Kontakten der Nichteinhaltung des Minsker Abkommens. Aber es gibt leider auch - und Frank-Walter Steinmeier, der deutsche Außenminister, hat das ganz offen jetzt auch bei seinem jüngsten Ukraine-Besuch angesprochen -, es gibt auch Verletzungen gerade von den Waffenstillstandsvorschriften auf der anderen Seite.
    Meurer: Sind die Verletzungen pari pari?
    Erler: Das ist schwer zu beurteilen, wenn man die Details nicht zur Verfügung hat. Ich sagte ja, Russland verhält sich so, was die Unterstützung der Separatisten heißt, dass man es leugnet und dass natürlich man immer darauf hinweist, dass es keine Beweise dafür gibt. Das ist auch in der gegebenen Situation ja gar nicht möglich, irgendwelche Beweise vorzulegen. Aber die Beobachtungen sprechen für sich.
    Meurer: Ganz kurz: Ist es ein Fehler, dass Wladimir Putin nicht nach Schloss Elmau eingeladen wird nächstes Wochenende?
    Erler: Das gehört zu den Maßnahmen, die getroffen worden sind, um Druck auf die russische Seite auszuüben, die eigene Verhaltensweise zu verändern, und solange dieser Druck nötig ist, wird es auch keine G8 wieder geben.
    Meurer: Gernot Erler, der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, zur Verbotsliste, zur Einreise-Verbotsliste, die Russland übers Wochenende an die EU übermittelt hat. Herr Erler, schönen Dank für das Interview hier bei uns im Deutschlandfunk. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.
    Erler: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.