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Unsichtbare Barriere
Warum spanische Geier nicht nach Portugal fliegen

Der Himmel ist grenzenlos. Wenn Vögel bestimmte Regionen meiden, dann hat das andere Gründe als irgendwelche Barrieren auf dem Boden. Das haben spanische Vogelschützer jetzt wieder einmal am Beispiel von Mönchs- und Gänsegeier gezeigt, die scheinbar politische Grenzen respektieren.

Von Joachim Budde | 25.09.2019
Farmhaus
In Portugal finden Geier oft nicht mehr genug Nahrung (imago stock&people / All Canada Photos)
Die roten Flächen auf Eneko Arrondos Karte der Iberischen Halbinsel ergeben ein deutliches Bild: Sie markieren Gebiete, in denen Geier herumgeflogen sind, denen Arrondo und seine Kollegen Sender umgeschnallt hatten. Das Rot bedeckt große Teile Spaniens und reicht bis an die portugiesische Grenze. Genau bis an die portugiesische Grenze – als gäbe es dort eine unsichtbare Wand für die Vögel. Eneko Arrondo von der Biologischen Station Doñana in Sevilla hat nach dem Grund für dieses merkwürdige Verhalten gesucht.
"Als erstes dachten wir, in Portugal gibt es vielleicht weniger Viehherden und damit weniger Nahrung für die Geier, aber die Zahlen sind ziemlich ähnlich. Unsere nächste Frage: Unterscheidet sich der Lebensraum auf beiden Seiten der Grenze? Die Antwort war wieder ‚Nein‘, die Landschaft ist fast gleich. Da haben wir schließlich die Gesetzgebung in den beiden Ländern verglichen."
Volltreffer. Der Hintergrund: In der Folge des Skandals um BSE und Rinderwahnsinn verbot die EU-Kommission um die Jahrtausendwende, Kadaver von Rindern und anderen Nutztieren einfach liegen zu lassen. Das war bis dahin in der oft unwegsamen Landschaft der Iberischen Halbinsel ganz normal gewesen. Das Ergebnis: In Spanien und Portugal verhungerten die Geier.
Spanien als Geierparadies
Eneko Arrondo schätzt, dass Kadaver von Nutztieren 70 bis 90 Prozent der Nahrung der Geier ausmachen. Nicht zuletzt auf Drängen von Vogelschützern lockerte die EU-Kommission diese Regelung bis 2011 wieder – und stellte es den Mitgliedsländern frei, mitzuziehen. Spanien tat das, sagt Eneco Arrondo.
"Portugal behielt das Verbot bei. Landwirte dort müssen Tierkadaver weiterhin verbrennen. Das heißt: Die Landschaft bietet Geiern kaum Nahrung, obwohl sie voller Kühe und Schafe ist."
Die Folge: Heute gibt es in Portugal nur wenige hundert Brutpaare von vier Geierarten, während es in Spanien mehr als 30.000 gibt – vor allem Mönchs- und Gänsegeier, die Eneko Arrondo in seiner Studie untersucht hat. In Spanien hat die Geierpopulation ein historisches Hoch erreicht. Um die portugiesische Population wieder aufzupäppeln, sollten die Behörden dort die spanische Herangehensweise übernehmen, findet auch José Tavares, Direktor der Vulture Conservation Foundation, einer internationalen NGO. Der Portugiese kennt sich bestens mit der Situation der Geier in seinem Heimatland aus.
Kleine Fortschritte auch in Portugal
"Wir versuchen die portugiesischen Behörden zu überzeugen, dass sie die Regulierung ändern. Und ich sehe kleine Fortschritte. Sie haben inzwischen die Einrichtung ausgewiesener Futterplätze erlaubt, wo unter bestimmten Bedingungen einige Kadaver für die Geier ausgebrachte werden dürfen."
Die Behörden fürchten nicht nur BSE, sondern auch andere Krankheiten, wie zum Beispiel Rindertuberkulose. Zu Unrecht, sagt Eneko Arrondo.
"Bislang gibt es keine Studie, die einen Zusammenhang zwischen Tierseuchen und dem Liegenlassen von Kadavern gefunden hat. Ich denke darum, die Beschränkungen in Portugal haben keinen Effekt."
Für ihn gehören tote Tiere in die Landschaft – zum Wohl der Geier.