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Rwanda Film Festival
Filme über das Leben nach dem Völkermord

Viele Kreative aus der jungen, aufstrebenden Kulturszene Ruandas suchen nach Wegen, den Völkermord zu verarbeiten und über die Besinnung auf ihre kulturelle Identität eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Mit Filmen wollen sie die Vergangenheit aufarbeiten - aber auch gute Laune verbreiten.

Von Cornelius Wüllenkemper | 20.07.2014
    Fotografien von Opfern des Völkermordes in einer Gedenkstätte in Ruandas Hauptstadt Kigali
    Die zentrale Gedenkstätte für die Opfer des Völkermords - hier zeigt das Filmfestival aktuelle Produktionen. (picture-alliance/ dpa / Wolfgang Langenstrassen)
    Im Zentrum von Ruandas Hauptstadt Kigali. Aus dem undurchdringlichen Verkehr der Haupteinkaufsstraße erhebt sich neben unzähligen kleinen Geschäften ein gigantischer Turm aus Glas und Beton, der hochmoderne Kigali City Tower. Hier findet man das Multiplex Cinema Center, das einzige Kino im ganzen Land. Auf dem Programm stehen Hollywood-Produktionen und Unterhaltungsfilme.
    Heute ist der Kleinstaat, der auch aufgrund seiner tausend Hügel einst als die "Schweiz Ostafrikas" galt, auf der Suche nach sich selbst. Eric Kabera ist einer der ersten, der nach dem Völkermord die Bedeutung der kulturellen Selbstfindung für die Zukunft des Landes erkannt hat. Der ehemalige Fernsehkorrespondent gründete damals das erste ruandische Filmfestival. Was als Kleinst-Event begann, ist im zehnten Jahr zum wichtigsten Treffpunkt der aufstrebenden Filmbranche des Landes geworden.
    "Filme können eine therapeutische Wirkung haben, denn sie bringen Menschen dazu, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Wir Filmemacher wollen eine Rolle spielen, ohne dabei politisch zu sein. Wir sind empfindsam gegenüber der Reise, die unser Land angetreten hat, aber auch gegenüber unserer Vergangenheit. Wir haben darin genauso viel Verantwortung wie unsere Politiker. Es geht nicht nur um Wirtschaftswachstum mit Hochhäusern und anderen schönen Dingen. Wir wollen der Welt zeigen, dass wir eine lebendige Kultur haben, ungeachtet unserer tragischen Vergangenheit."
    "Erinnerung wird nicht wirklich zugelassen"
    Nur wenige Kilometer nördlich vom Zentrum entfernt liegt die zentrale Gedenkstätte für die Opfer des Völkermords. Das Filmfestival zeigt hier aktuelle Produktionen junger ruandischer Filmemacher. Der 22-jährige Samuel Karemangingo erzählt in seinem halbstündigen Film "Crossing Lines" vom Leiden der Überlebenden, derjenigen, die ihre Angehörigen verloren haben, aber auch derjenigen, die heute mit der Erinnerung an ihre eigenen Gräueltaten leben.
    "Ich bin ein Überlebender des Genozids. In meiner Familie sitzt der Schock über die Vergangenheit zwar noch sehr tief, aber die Erinnerung daran wird nicht wirklich zugelassen. Das berührt mich sehr, denn es ist Teil der Gesellschaft, in der ich lebe. Das ist das Thema, das mich in meinen Filmen interessiert. Denn auch wenn die schreckliche Vergangenheit 20 Jahre zurückliegt, ist sie so präsent, als sei das gestern gewesen. Auch wenn ich damals erst zwei Jahre alt war, glaube, ich über die Gegenwart der Vergangenheit sprechen zu können."
    Der ruandische Film-Markt ist bisher wenig entwickelt, die etwa 30 Filmproduktionen des Landes setzen auf einfache Telenovelas, Herzschmerz und Komödien. Ein Fernsehprogramm ist noch im Aufbau. Die Schauspielerin und Produzentin Fiona Mukundente hat als erste ruandische Frau 2007 begonnen, Filme zu drehen. Den Genozid erlebte sie hautnah mit, heute versucht sie, das ruandische Trauma auf ihre Art zu bewältigen.
    "Ich möchte die Menschen zum Lachen bringen. Alle meine Filme haben etwas komödienhaftes, auch wenn sich schreckliches dahinter verbirgt. Wenn wir fröhlich miteinander sind, kann sich die furchtbare Vergangenheit nicht wiederholen. Wenn ich mich ständig an den Krieg erinnere, wird mich das unglücklich machen. Ich möchte mir und den anderen gute Laune bereiten. Und daran arbeite ich."
    Freudentumulte auf dem Land über Filme
    Auf dem Weg nach Rwamagana, einer Kleinstadt in der Ostprovinz, etwa eine Stunde von Kigali entfernt. Das Rwanda Film Festival präsentiert sich nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch auf dem Lande, dort wo viele Menschen noch ohne Strom und in großer Armut leben. Als das Festivalteam auf dem örtlichen Fußballplatz eine zehn Meter hohe aufblasbare Kinoleinwand installiert, ist das Gedränge groß. Filme aus und über den Alltag in Ruanda auf der Landessprache Kinyarwanda sorgen hier für Freudentumulte.
    Bis spät in die Nacht verfolgen die Menschen gebannt einfache Filme über das Alltagsleben oder Romanzen über totgeglaubte Kämpfer des Bürgerkriegs, die in ihr Heimatdorf zurückkehren. Der 30-jährige Félicien meint, die Erinnerung an den Genozid sei noch zu schmerzhaft, um ihn auf die Leinwand zu bringen. Die Menschen hier würden lieber Geschichten über den Wiederaufbau des Landes hören.
    "An die Vergangenheit denkt hier sowieso jeder. Geschichten über uns und unsere Gegenwart, Filme über unsere Kinder sind einfacher für uns, damit verbinden wir mehr Gefühl."
    So wie das Land ist auch das Kino in Ruanda auf der Suche nach dem Umgang mit der Vergangenheit. Dass Ruanda eine eigene Filmszene entwickelt, seit nunmehr zehn Jahren ein Festival mit internationalen Gästen unterhält, dass junge Menschen ihre Geschichten erzählen, ist für die Wiederentdeckung einer gemeinsamen kulturellen Identität wichtiger denn je.