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Sabria Khalaf
107-jährige Syrerin findet Zuflucht in Vechta

Ihre Heimat Syrien hatte Sabria Khalaf, Kurdin jesidischen Glaubens, bereits vor Monaten aus Furcht vor den Angriffen islamistischer Gotteskämpfer verlassen. Am Montag ist sie bei ihrer Familie in Deutschland angekommen. Dass ihre Flucht nach vielen Rückschlägen doch noch gelang, dafür hatte sich sogar Bundespräsident Joachim Gauck eingesetzt.

Von Alexander Budde | 18.03.2014
    Die 107 Jahre alte Syrerin Sabria Khalaf sitzt am 17.03.2014 zusammen mit ihrem Sohn Kanan Ali auf dem Sofa ihrer Familie in Holdorf (Niedersachsen).
    Am Montag kam die 107-Jährige bei ihren seit Jahren in Deutschland lebenden Verwandten an. (picture alliance / dpa / Ingo Wagner)
    Am Ende ihrer Odyssee ist sie tief ins Sofa gesunken. Ein weißes Kopftuch trägt Sabria Khalaf. Ihre sehnigen Hände ruhen auf dem Stock, der eine Stütze ist. Zwischen den fröhlich herumtollenden Urenkeln blickt die Greisin aus müden Augen. Da sind die längst erwachsenen Enkel, die Töchter und die beiden Söhne. Souraf, der seit Jahren schon mit Frau und Kindern im niedersächsischen Holdorf im Landkreis Vechta lebt, bei dem sie nun Zuflucht gefunden hat. Und Kanaan, der ältere der beiden Brüder, mit dem sie bis zuletzt in Syrien ausgehalten hatte, bis die Sorge um Leib und Leben zu groß geworden war.
    Sabria Khalaf spricht Aramäisch. Mit der Stimme ihres Dolmetschers sagt die Flüchtlingsfrau:
    "Ich bin überglücklich natürlich, weil ich meine Kinder, meine Enkelkinder und Urenkel auch, heute gesehen habe. Ich war blind – und ich kann heute wieder sehen! Ich habe das Licht wieder erblickt!"
    Familie bangte um die Einreise von Sabria Khalaf
    Im Wohnzimmer tragen Enkel und Enkelin Leckereien aus der alten Heimat auf. Rund 70 Familienangehörige leben mittlerweile in Holdorf und Umgebung. Die bangten lange, ob die alte Dame wohl wirklich nach Deutschland einreisen dürfte.
    "Ich war schon nervös heute, kurz bevor sie gekommen ist. Alles hat so gezittert!"
    "Das Erstaunliche daran ist: Die hat meinen Namen erwähnt! Ich bin zu ihr hingegangen, habe sie begrüßt. Und die hat mich mit Namen erwähnt! Das heißt: Sie hat noch klaren Verstand, was ihre Kinder angeht. Vor 26 Jahren, knapp 27 mittlerweile, war die meine Hebamme!"
    Kanaan Ibrahim Ali ist ein hagerer Mann. Der Endsechziger erzählt von dem kleinen Dorf, in dem die Familie einst im Nordosten Syriens lebte. Doch Ali schildert auch, wie die Übergriffe islamistischer Kämpfer auf die Minderheiten im Lande immer bedrohlicher wurden. Als Kurden - jesidischen Glaubens zumal - sah sich die Familie gleich doppelt angefeindet. Ihre Flucht führt Mutter und Sohn – wie Tausende andere Syrer in Not – zunächst ins türkische Istanbul. Schleuser bringen die beiden an Bord eines Bootes, mit dem sie nach Italien gelangen wollen. Doch die Überfahrt im überfüllten Seelenverkäufer misslingt. Die griechische Küstenwache schleppt das Schiff nach einem Motorschaden an Land. Mittellos und auf sich gestellt, verbringen die Flüchtlinge weitere Monate in Athen.
    Politischer Einsatz hinter den Kulissen
    Die glückliche Wiedervereinigung mit ihrer Familie in Niedersachsen verdanken Sabria Khalaf und ihr Sohn Kanaan auch der Bundestagsabgeordneten Annette Groth. Die menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke kennt die Zustände in den Gefängnissen und Lagern, in denen viele Flüchtlinge in Griechenland ausharren müssen, bis über ihr Schicksal entscheiden wird.
    "Katastrophal! Das ist absolut menschenunwürdig! Und natürlich gibt es tausende von Leuten, die sicherlich Familienangehörige haben - in Deutschland und in anderen EU-Mitgliedstaaten."
    Groth liest in einem Zeitungsartikel vom Schicksal der vermutlich ältesten Flüchtlingsfrau unserer Zeit. Sie schreibt an den Bundespräsidenten, wenige Tage bevor Joachim Gauck zu seinem Staatsbesuch nach Griechenland reist. Hinter den Kulissen kommt eine humanitäre Lösung zustande.
    "Ich bin überglücklich, überhaupt in einem demokratischen Staat zu sein, der schwache Menschen, unterdrückte Menschen respektiert und mit offenen Armen aufnimmt!"
    Lässt Kanaan Ibrahim Ali zum Abschied übersetzen. Und mit einem müden Lächeln fügt er hinzu:
    "Wenn ich allein an die Jesiden denke: Sehr viele sind noch in Syrien und die möchten gerne raus. Und auch viele in der Türkei und manche sogar noch in Griechenland. Die möchten gerne herkommen!"