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Sachsen-Anhalt
Die CDU und ihr Frauenproblem

Kein Landesparlament in Deutschland ist so männlich geprägt wie der Magdeburger Landtag. Das soll sich ändern, findet ausgerechnet der als Macho verschriene Ex-CDU-Parteichef Holger Stahlknecht. Für die nahende Landtagswahl in Sachsen-Anhalt stellt er seinen Premium-Listenplatz 2 zur Verfügung. Voraussetzung: eine Frau bekommt den Platz.

Von Niklas Ottersbach | 18.02.2021
Holger Stahlknecht CDU, Mitglied des Landtags von Sachsen-Anhalt
Ausgerechnet der ehemalige CDU-Landesvorsitzende Holger Stahlknecht macht seinen aussichtsreichen Listenplatz 2 für eine Frau frei (www.imago-images.de)
"Es tut mir leid, es so zu sagen, aber es ist da auch viel Machogehabe dabei. Meine Partei besteht auch aus einer ganze Menge Machos und Egoisten", sagt Carmen Niebergall über ihre Partei - die CDU Sachsen-Anhalt. Carmen Niebergall, 65 Jahre alt, ist Mitglied der Frauen-Union. Ein Blick auf die aktuelle CDU-Landtagsfraktion zeigt: Es ist de Facto ein Männerclub. Von 30 Mitgliedern sind gerade mal zwei weiblich. Dabei steht in der Satzung der Landes-CDU: Frauen sollen an Ämtern und Mandaten mindestens zu einem Drittel beteiligt sein. Sollen, nicht müssen. Es ist also eine Empfehlung, keine Verpflichtung.
Und dabei belässt es die CDU Sachsen-Anhalt auch erstmal. Eine alternative Liste der Frauen-Union für die Landtagswahl im Juni, auf der jeder dritte Platz mit einer Frau besetzt werden sollte, hat der Landesparteivorstand schlicht abgelehnt. Carmen Niebergall macht das wütend. Sie war bis 1994 in Sachsen-Anhalt Staatssekretärin für Frauen und Gleichstellungsfragen und bezeichnet sich selbst als Feministin. Niebergall sagt: Wir waren doch schon mal weiter. 1990 zum Beispiel. Damals zog sie für die CDU in die erste frei gewählte Volkskammer der DDR ein.
"Wir waren in der CDU/DA Fraktion der ersten frei gewählten Volkskammer bei weitem mehr Frauen auch prozentual als jetzt in Sachsen-Anhalt im Landtag ist. Und da können Sie mir glauben, dass da Gift und Galle hochkommt. Weil: Man kann es, wenn man es will und den Mut dazu hat."
Fehlt der Mut, Frauen den Weg in die Politik zu ebnen? Oder fehlen die Frauen? Letzteres ist vor allem von den Männern in der CDU zu hören. Fakt ist: Die meisten Christdemokraten ziehen über ihr Direktmandat in das Landesparlament ein. Die meisten, aber eben nicht alle – was sich bei der Landtagswahl 2016 zeigte, als die AfD in Sachsen-Anhalt aus dem Stand heraus 15 Direktmandate holte - die meisten in ehemaligen CDU-Hochburgen. Womit erklärt ist, warum ein vorderer Platz auf der CDU-Liste so attraktiv ist.

Regionalquote - die heilige Kuh der CDU Sachsen-Anhalt

Weshalb man hellhörig wurde, als ausgerechnet der ehemalige CDU-Landesvorsitzende Holger Stahlknecht seinen aussichtsreichen Listenplatz 2 für eine Frau freimachte. Ausgerechnet er, der gescheiterte Kronprinz der CDU, der seinen Parteikolleginnen vor Jahren mal, Zitat: "Eierstockgehabe" vorwarf, wünschte sich hierfür eine "Frau mit Zukunft", wie er es vor ein paar Wochen verkündete. Sein Angebot verknüpfte er mit der Bedingung, dass diese Frau aus seinem Heimatkreisverband Börde stammt. Eileen Koch, 32 Jahre alt, hat sich dort durchgesetzt. Und ist dann vom Parteivorstand wieder abgesägt worden. Begründung: Sie habe keinen Wahlkreis, in dem sie als Direktkandidatin antritt. Eileen Koch nimmt das Votum der Parteispitze sportlich.
"Ich nehme das nicht persönlich und das ist auch gar nicht persönlich gemeint. Weil: Dieses Thema Wahlkreis kann ich natürlich durchaus verstehen. Ich kann das verstehen, dass es da wichtig ist, da entsprechend eine Reputation im Wahlkreis zu haben, was ja bisher immer auf diesen Plätzen so war."
Die Regionalquote: Sie ist quasi die heilige Kuh der CDU Sachsen-Anhalt. Vom Harz bis nach Wittenberg, von der Altmark bis in den Burgenlandkreis: Wer für die CDU in den Landtag will, muss sich zuerst in seiner Region durchsetzen. Eileen Koch, Mutter einer sechsjährigen Tochter, hatte genau das geschafft. Ihren Wahlkreis in der Börde jedoch aus familiären Gründen wieder abgegeben. Warum Stahlknecht sich trotzdem für sie stark machte? Hört man sich in der CDU Sachsen-Anhalt um, heißt es: Der Listenplatz 2 sei ein vergiftetes Geschenk des beleidigten Ex-Parteichef gewesen. Eileen Koch habe dieses angenommen und sei jetzt erst mal verbrannt. Gerne hätte man gewusst, was Holger Stahlknecht zu alldem sagt. Auf Anfrage lässt er jedoch mitteilen: er wolle sich derzeit öffentlich nicht äußern.

Landtagswahl: 41 Direktkandidaten treten an – neun davon sind Frauen

Carmen Niebergall ist empört über Stahlknechts Manöver. "Ich finde, das ist von Herrn Stahlknecht ein bösartiger Schachzug. Erst zu sagen: "eine Frau mit Zukunft" und dann die Frauen dazu motivieren, sich verbrennen zu lassen. Es ist schade, dass die Frauen sich verbrennen lassen." Eileen Koch sieht das anders. Ein Rückschlag? Vielleicht. Aber kein Grund, aufzugeben. Sie will sich weiter in der CDU engagieren. Ihr Ziel: in den Landesvorstand gewählt zu werden. Überhaupt müssten sich Frauen aus ihrer Sicht mehr zutrauen.
Die CDU Sachsen-Anhalt - nur attraktiv für Männer? So einfach ist das nicht. Zur Landtagswahl im Juni treten 41 Direktkandidaten an – neun davon sind Frauen. So viele wie noch nie. Sandra Hietel ist eine von ihnen. Die 39-Jährige aus der Altmark hat ihrer Parteikollegin Eileen Koch etwas voraus: Parteipolitische Erfahrung. Sandra Hietel hat die gleiche Ochsentour wie viele Männer hinter sich: Stadtrat, Förderverein. Und sie hat einen Vorteil: Hietel ist seit zehn Jahren Pressesprecherin der CDU-Landtagsfraktion. Sie kennt den Männerclub also ziemlich gut.
"Man muss sich auch durchsetzen können. Also in meiner Nominierungsversammlung habe ich mich gegen drei Männer durchgesetzt. Bei mir hat es sich ja auch nicht von heute auf morgen entwickelt. Ich bin seit 2009 im Stadtrat, seit 2007 in der CDU, das ist ja auch ein Entwicklungsprozess, den man da auch mitmacht, ja."
Und mittlerweile ist Sandra Hietel nicht nur CDU-Direktkandidatin für die Altmark. Sie ist auch für den attraktiven Listenplatz 2 vorgesehen. Ein einstimmiger Wunsch des Landesvorstands, dem die Partei am Samstag wohl folgen wird. Und ein Kompromiss um irgendwie aus der Stahlknecht-Rochade rauszukommen.Sandra Hietel sagt: die Neuen müssten sich eben hinten anstellen. Unabhängig davon, welches Geschlecht sie haben. Eine Quote wie sie die Frauen-Union fordert, lehnt sie ab. Diese helfe auch nicht weiter.
"Die Frauenunion spricht meiner Ansicht nach nicht für alle Frauen in der Partei. Auch das muss sich ändern. Wir müssen gemeinsam Strategien entwickeln. Also, ich möchte keine Quotenfrau sein. Ich finde auch nicht, dass die Quote das richtige Mittel ist. Ich habe ja vorhin schon erwähnt, dass man vor Ort die Frauen motivieren muss, über Mentoring-Programme, über Netzwerk-Programme. Aber nicht über eine Quote."
Mentoring, Netzwerken: All das habe die Frauen-Union ja schon die letzten 30 Jahre versucht, sagt Carmen Niebergall. Das reiche aber nicht. Erschwerend kommt hinzu: Seitdem Holger Stahlknecht im Dezember als CDU-Vorsitzender zurückgetreten ist, ist der Posten vakant. Für Frauenförderung durch die CDU-Landesspitze ist es also zu spät – für die Landtagswahl. Und auch für die Bundestagswahl sieht das Bild ähnlich aus: Da schickt die CDU Sachsen-Anhalt acht Männer und gerade Mal eine Frau ins Rennen.