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Sachsen-Anhalt
Kein Knast mehr für Schulschwänzer

Wer seiner Schulpflicht nach mehrmaliger Aufforderung nicht nachkommt, kann dafür in einigen Bundesländern ins Gefängnis kommen. Diese Maßnahme ist allerdings hoch umstritten. In Sachsen-Anhalt mussten 2013 115 Schüler in den Knast - das soll sich nun ändern.

Von Benedikt Schulz | 23.02.2015
    Zwei Gefangene gehen am 18.09.2012 in Betreuung eines Justizangestellten über das Gelände der Untersuchungs- und Jugendhaftanstalt Berlin-Tegel.
    Schulschwänzer erhalten in einigen Bundesländern einen Arrest. (dpa picture alliance / Robert Schlesinger)
    "Ich habe echt Angst gekriegt, als ich erfahren habe, was so da drin alles rumgeistert, sag ich mal so."
    Das Vergehen: Max hat trotz mehrfacher Aufforderung weiter die Schule geschwänzt. Die Strafe: Jugendarrest. Dazu kommen die Jugendlichen in ein richtiges Gefängnis. Gitter vor den Fenstern, die Wärter sind mit dicken Schlüsselbunden unterwegs. Es riecht nach scharf ätzenden Reinigungsmitteln. In Sachsen-Anhalt liegt die Arrestanstalt direkt neben dem Roten Ochsen, dem Erwachsenengefängnis, für Max war das alles fast zu viel.
    "Am dritten Tag habe ich schon darüber nachgedacht, mich mit der Gabel umzubringen."
    Der frühere Magdeburger Oberstaatsanwalt Klaus Breymann ist ein ausgewiesener Gegner des Jugendarrests. Er nennt diese Sanktionsform eine Fachschule der Kriminalität.
    "Wenn man sich anschaut, wer landet im Arrest, dann sind das Jugendliche, die im hohen Maße Probleme haben und von diesen Problemen löst der Arrest in der Regel kein einziges. Wäre ja schon viel geholfen, wenn man sagen könnte, der Jugendarrest, der nützt nichts, der schadet nichts. Aber tatsächlich schadet er."
    Erlass soll zukünftig Arrest verhindern
    Außerdem liegt die Rückfallquote nach Angaben des Hannoveraner Kriminologischen Forschungsinstituts zwischen 60 und 70 Prozent. Einer der Gründe, warum Sachsen-Anhalts SPD-Kultusminister Stephan Dorgerloh einen Erlass an die Schulen geschickt hat, zuerst alle pädagogischen Maßnahmen auszunutzen, bevor man Schüler in den Arrest schickt.
    "Hier geht es wirklich darum, mit geeigneten pädagogischen Maßnahmen im Zusammenwirken von Familienhilfe, die den ganzen Schüler in den sozialen Bereichen in den Blick nehmen. Wir wollen dafür sorgen, dass die Störungen, dass die schlechten Rahmenbedingungen, die da sind, die oft auch im familiären Bereich liegen, dass die beseitigt werden, dass wieder ein Schulbesuch möglich ist."
    In Sachsen-Anhalt ist das Schulschwänzen eine Ordnungswidrigkeit. Wer nach mehrmaliger Aufforderung nicht in die Schule kommt, das verhängte Bußgeld nicht zahlt, kommt sozusagen hinter Gitter. Zwischen ein und vier Wochen. 2013 wurden nach Angaben des Justizministeriums 651 Schüler zur Strafe vorgeladen, 115 Schüler haben auch den Arrest angetreten. Sachsen-Anhalts SPD-Justizministerin Angela Kolb:
    "Die Frage, die uns bewegt, ist ja, wie erreichen wir es, dass die Betroffenen wieder Lust auf Schule haben. Und deshalb kann man jetzt nicht einfach sagen, wir beenden das und machen gar nichts. Sondern man muss an die Stelle andere pädagogische Maßnahmen setzen."
    Eine adäquate Betreuung in den Arrestanstalten fehlt jedoch. So setzt man beispielsweise in der Betreuung der Arrestanten auf ehrenamtlich tätige Personen, dessen pädagogische Fähigkeiten vorher nicht geprüft werden. Nachts und am Wochenende sind die Jugendlichen sich selbst überlassen, es gibt lediglich Schließer.
    Arrest muss manchmal erst nach drei Jahren angetreten werden
    Völlig absurd sei es, sagt der grüne Landtagsabgeordnete Sören Herbst, dass zwischen Vergehen und Strafantritt bis zu drei Jahre vergehen könnten. In der Realität bedeute dies, dass die Jugendlichen meist schon arbeiten, möglicherweise ganz woanders leben, ihren Lebensstil geändert hätten. Dass sie aber dennoch ihre alte Strafe verbüßen müssten, weshalb einige der Arrestanten gar Urlaub nehmen oder an freien Wochenenden in den Arrest gehen.
    "Das genau ist die Schizophrenie sozusagen an der Sache. Der zeitliche Bezug zur Ordnungswidrigkeit, zum Schulschwänzen ist in den meisten Fällen überhaupt nicht mehr gegeben. Man wird da verspätet für etwas bestraft, das macht überhaupt keinen Sinn."
    Wenn es nach ihm ginge, sagt Kultusminister Stephan Dorgerloh, würde er das System des Arrestes für Schulschwänzer komplett verbieten, doch habe er dafür derzeit keine Handhabe. Auch gebe es immer noch Schuldirektoren, ergänzt er, die am Arrest als Sanktionsmaßnahme festhalten. Weshalb 2013 ein angekündigtes Moratorium, wonach der Arrest für zwei Jahre ausgesetzt werden sollte, auch nicht zustande kam.