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Sachsen-Anhalt
Wie das SED-Parteivermögen Orchester sanieren könnte

Schlechte Bezahlung und Schrumpfungsprozesse - darunter leiden Orchester in den ostdeutschen Bundesländern. Nun hat die Orchestervereinigung an die Politik appelliert, freigegebene Gelder aus dem einstigen SED-Vermögen für die Orchesterlandschaft in Sachsen-Anhalt einzusetzen.

Von Claus Fischer | 01.01.2018
    Die Staatskapelle Halle im Rampenlicht auf der Bühne beim International Classic Music Festival in Santiago
    Die Staatskapelle Halle ist eines der größten Sinfonieorchester der Bundesrepublik. (dpa / Mario Ruiz)
    Die Staatskapelle Halle ist eines der größten Sinfonieorchester der Bundesrepublik. Im Jahr 2006 ist sie aus der Fusion des ehemaligen Opernorchesters der Stadt mit dem Philharmonischen Staatsorchester hervorgegangen, erzählt der Geschäftsführer der Bühnen Halle Stefan Rosinski.
    "Die Staatskapelle Halle ist das einzige Orchester in Deutschland zumindest, dass aus einem Opernorchester, aus einem Konzertorchester und einem historisch informierten Orchester besteht."
    Letzteres, das Händelfestspielorchester, gehörte bis 2006 zum Opernhaus.
    "Im Jahr der Fusion hatten wir 171 Musiker – und jetzt sind wir bei 134", sagt Direktorin Claudia Brinker.
    "Das zeigt ja schon, in wie kurzer Zeit die Staatskapelle Halle geschrumpft ist. Und das bedeutet gleichzeitig natürlich auch, dass jeder Musiker, der in Rente gegangen ist – also dieser Schrumpfungsprozess ist auf natürliche Weise durch Verrentung passiert – dass diese Stelle nicht mehr ersetzt wurde."
    2013 wurde beschlossen, das Orchester auf 99 Musiker zu reduzieren
    Gleichzeitig lässt sich allerdings beobachten, dass die Nachfrage nach sinfonischen Konzerten in Halle in den letzten Jahren zurückgegangen ist. Auch deshalb ist der Druck auf das Orchester von Seiten der Stadt und des Landes Sachsen-Anhalt enorm und er nimmt nicht ab. 2013 wurde beschlossen, das Orchester auf 99 Musiker zu reduzieren.
    "Wir führen aktuell Gespräche mit ungefähr 18 Kollegen", sagt Geschäftsführer Rosinski.
    "Darüber, ob sie einvernehmlich bereit sind, ihren Vertrag mit uns aufzuheben. Da sind die Betroffenen alle 60 Jahre und älter, also ein relativ überschaubarer Zeitraum vor der Verrentung. Das ist freiwillig, wir können niemanden dazu zwingen. Ich bin aber guten Mutes, dass wir doch eine nicht unerhebliche Anzahl von Kollegen haben, die bereit sind, das Angebot anzunehmen."
    Dennoch dürfte die vorgegeben Zahl von nur noch 99 Musikern nicht erreichbar sein, im Moment würde man bei etwa 115 landen. Der Differenzbetrag könnte, so Stefan Rosinski, gut aus dem Topf des zurückgezahlten DDR-Parteivermögens finanziert werden.
    "Der sogenannte Überhang von 99 auf 115 würde uns jährlich um die 1,2 bis 1,3 Millionen Euro kosten. Das ist, wie ich finde, im Kontext der Gesamtvolumen die bewegt werden, sehr vertretbar."
    Zumal die Staatskapelle Halle mit 99 Musikern ihren Spielplan ausdünnen müsste, betont Direktorin Claudia Brinker.
    "Im Moment ist das so, dass wir vielfach das Orchester in zwei Gruppen einteilen: Die einen proben für das Händelfestspielorchester, die andere Gruppe ist in der Oper tätig oder probt ein anderes Konzertprogramm. Sowohl im Opernhaus Oper anzubieten als auch Konzerte parallel – das würde sicherlich mit 99 sehr stark, wenn nicht ganz eingeschränkt sein."
    Seit Jahren keine neuen, jungen Musiker
    Der Dauerschrumpfungsprozess ist noch für ein weiteres Problem der Staatskapelle verantwortlich: Es kommen seit Jahren keine jungen Musiker mehr ins Orchester, man schmort, so Claudia Brinker, im eigenen Saft.
    "Es gibt viele Musiker, die das immer wieder ansprechen, dass man sagt: Es ist doch schade, dass die Tradition, für die wir stehen als Staatskapelle nicht an eine neue Orchestergeneration weitergeben können."
    Ortswechsel. Schönebeck, eine Kleinstadt südlich von Magdeburg. Hier hat die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie Schönebeck ihren Sitz. Sie ist hervorgegangen aus dem Kurorchester im Schönebecker Stadtteil Bad Salzelmen.
    "Wir sind das Hausorchester des Salzlandkreises", sagt Geschäftsführerin Anita Bader.
    "Das ist unser Markenname, den wir uns gegeben haben. Denn wir spielen tatsächlich hauptsächlich im Salzlandkreis. Also in Aschersleben, in Staßfurt, dann selbstverständlich in Bernburg und an unserem Stammsitz in Schönebeck, aber auch in Nienburg und in Barby und an vielen anderen Orten auch."
    Musiker verzichten auf Grundgehalt
    23 Mitglieder hat das Orchester derzeit. Bezahlt werden nach einem Haustarifvertrag, der vom regulären Flächentarifvertrag abweicht, betont Anita Bader.
    "Das heißt, dass meine Musikerinnen und Musiker auf Grundgehalt verzichten und dadurch Freizeitausgleich erhalten. Meine Musikerinnen und Musiker sind dermaßen nett gesinnt auch der Geschäftsführung gegenüber: Sie hätten Anspruch auf 55 freie Tage, nehmen davon aber nur 30, sodass wir auch noch spielfähig sind."
    Die schlechte Bezahlung birgt noch eine anderes Problem: Die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie Schönebeck, deren Kernrepertoire Musik aus des Barock, der Klassik und der Gegenwart besteht, findet kaum noch geeignete Musiker. Ein Geiger etwa verdient als Angestellter an einer durchschnittlichen Musikschule etwa 20 Prozent mehr.
    "Da haben sie ein 13. Monatsgehalt und und und. Das alles kann ich nicht bieten. Wir hatten immer sehr viele Bewerbungen – und dann sind von den 32, die sich bewerben auf einmal nur noch zwei die zum Probespiel kommen. Und dann muss bei den beiden auch wirklich einer dabei sein", sagt Anita Bader leicht resigniert und hofft auf zusätzliche Mittel aus dem Topf des zurückgezahlten SED-Vermögens.
    Die Gelegenheit wäre günstig, denn der Haustarifvertrag läuft Ende 2018 aus.
    "Um in den Flächentarif jetzt 2019 einsteigen zu können, bräuchten wir im ersten Schlag 500.000 Euro."
    "Die Situation in den neuen Bundesländern bei den Orchestern ist nach wie vor schwieriger"
    Diese Summe wäre danach jährlich fällig, um die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie Schönebeck auf dem derzeitigen Standard zu erhalten, sagt auch Gerald Mertens, der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung.
    "Die Situation in den neuen Bundesländern bei den Orchestern ist nach wie vor schwieriger als in den alten Bundesländern. Hier gibt es große Probleme – und da müssen wir zu einer vernünftigen Lösung kommen."
    Die Mittel aus dem SED-Parteivermögen wären bei der Staatskapelle Halle, bei der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie Schönebeck und bei einigen anderen Orchestern in Ostdeutschland, die noch Haustarifverträge haben, sinnvoll eingesetzt, so Gerald Mertens.
    "Die Deutsche Orchestervereinigung ist natürlich mit den zuständigen Fachministern in den Ländern im Gespräch, aber auch mit den Fachpolitikern in den Landtagen und vor Ort den Oberbürgermeistern und Landräten, um genau diese Punkte auszuloten, wo Musiker – anders als der gesamte öffentliche Dienst – auf Geld verzichten, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten, und das muss jetzt vorbei sein!"