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Sachsen
Bürgerpolizisten - Pfeiler der Polizeireform

Die regierende CDU in Sachsen setzt auf Sparen, auch bei der Polizei: Weniger Personal, weniger Direktionen, größere Reviere und Mithilfe aus dem Volk. Wer nachts "110" wählt, muss auch warten können.

Von Thielko Grieß | 28.08.2014
    Blaulicht eines Polizeiautos, das von einer Pkw-Fensterscheibe reflektiert wird
    Ob Bürgerpolizisten in Sachsen auch mit Blaulicht hantieren dürfen? (picture alliance / dpa)
    Auf dem Fußweg winken sechs Kinder heftig mit ihren Armen. Enrico Meier fährt sofort an den Straßenrand.
    "Ihr bleibt hier stehen."
    Er parkt den Polizeiwagen just neben einem Wahlplakat, von dem der Ministerpräsident herunterlächelt.
    "Bleibt mal bitte mit da."
    Halb drei am Nachmittag in Plauen. Gemeinsam mit eilig herbei gerufenen Kollegen erfragt Meier, was die Kinder beobachtet haben. Die geben an, sie seien gerade eben, in der Straßenbahn, von zwei Erwachsenen angegriffen worden.
    Polizisten: "So, wer ist geschubst worden? Und wer hat den am Hinterkopf gekriegt? Wer war das? Und der wo am Hals... Und wer hat da am Hals? – Hat er nur die Worte gesagt, oder hat er auch Heil Hitler gerufen?"
    Kinder: "Er hat zuerst den rechten Arm gehoben und dann hat er Heil Hitler gerufen. Der hat zwei Mal den Arm hochgehalten."
    Meier, athletische Figur, breites Kreuz, 36 Jahre alt, eigentlich ausgebildeter Streifenpolizist, ist als Bürgerpolizist in Plauen unterwegs. Er soll in der Stadt sichtbar und ansprechbar sein, Kontakt zu Lehrern und zur Obdachlosenhilfe halten und beim Ladenbesitzer vorbei schauen, dem neulich was geklaut worden ist. Er ist einer von rund 430 Bürgerpolizisten in Sachsen, die ein wichtiger Pfeiler der Polizeireform sein sollen. Erdacht worden ist all das weit weg von Plauen. In Dresden.
    "Sie sitzen hier im Zimmer des sächsischen Innenministers und dessen Name ist Markus Ulbig."
    Kein Weihnachtsgeld für Polizisten
    Markus Ulbig (CDU) seit fünf Jahren Dienstherr der sächsischen Polizisten. Deren Zahl lässt er bis zum Ende der Reform um mehr als ein Viertel schrumpfen.
    "Ich denke, es ist gut: Klarheit. Dass es keine Polizeireform von Legislaturperiode zu Legislaturperiode gibt, sondern dass man weiß, wie die Strukturen sind, dass man weiß, an welchen Standorten Polizei untergebracht wird."
    Doch wer das Reformkonzept liest, kommt nicht darum herum: Der solide Landeshaushalt kostet die Polizisten das Weihnachtsgeld, Sachsen löst Reviere auf und besetzt manche Standorte auf dem Land nur noch tagsüber. Wer nachts "110" wählt, muss auch warten können.
    Zurück in der Plauener Innenstadt.
    Mit den Händen in den Taschen seiner blauen Uniform stellt sich Enrico Meier in der Fußgängerzone einen ziemlich schnell fahrenden Fahrradfahrer in den Weg.
    "Was meinst denn du, wenn du da oben runter rast und bremst und ich steh mir hier im Weg, was passiert? – Habe ich einen Fahrradfahrer, der auf der Bahnhofsstraße liegt. Ja? Ich hoffe, wir sehen uns dahingehend nicht wieder."
    An mindestens einem Tag in der Woche muss er im Streifendienst aushelfen, wenn dort das Personal knapp ist. Zu diesen Zeiten gibt es eben keinen Bürgerpolizisten in Plauen. Aber er ist ein zurückhaltender Beamter – und überlässt die offenen Worte anderen.
    Wer 110 wählt, muss auch warten können
    "Wenn sich nichts ändert, dann werden wir den Kollaps in der Sicherheit sicherlich auch erreichen hier im Freistaat Sachsen..."
    Hagen Husgen, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen. Er zieht eine Statistik aus der Schreibtischschublade: Der Freistaat sei nach Jahren steigender Kriminalität im Bundesvergleich nur noch Mittelmaß. Husgen verweist auf die Droge Crystal Meth aus Tschechien, Diebstähle in Grenznähe, Rechtsextremismus und jede Woche Fußballspiele mit gewaltbereiten Fans. Die Gewerkschaft, die Opposition, selbst die bislang mitregierende FDP: alle sorgen sich im Wahlkampf um die Sicherheit und versprechen mehr Geld für die Polizei.
    "Aber niemand traut sich, irgendwann mal zu sagen: Leute, aufgrund der Aufgaben, die wir hier haben, aufgrund der Fakten im Freistaat Sachsen, müssen wir von diesem Stellenabbau weggehen. Da hat keiner, ich sag's mal auf Deutsch, den Arsch in der Hose, das zu sagen."
    Die CDU will ihre Polizeireform nur in einem Punkt korrigieren: Sachsen bildet künftig etwas mehr junge Polizisten aus als ursprünglich angedacht und streckt so den Personalabbau um einige Jahre. Gekürzt wird trotzdem.
    Auf dem Revier protokolliert Enrico Meier seine Schicht, damit sein Chef weiß, was er getan hat. Wo viel los war und wo es ruhig geblieben ist. Der wiederum braucht die Daten, damit er weiß, wo er Personal sparen kann. Gleich ist Feierabend.
    "Also ich gebe meine Sachen gleich ab, übergebe das noch. Packe noch ein bisschen zusammen. Und dann duschen und ab nach Hause."