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Sachsen
"Es fehlen ausländische Fachkräfte"

Antje Hermenau beklagt, dass ausländische Fachkräfte wegen der ausländerfeindlichen Stimmung einen Bogen um das Bundesland machen. Die Beauftragte des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft in Sachsen und frühere Grünen-Politikerin betonte im DLF zugleich, es habe etwas von "Rufmord", das Problem des Rechtsradikalismus allein auf Sachsen zu konzentrieren.

Antje Hermenau im Gespräch mit Dirk Müller | 23.02.2016
    Die frühere Grünen-Politikerin Antje Hermenau
    Die frühere Grünen-Politikerin Antje Hermenau (dpa / picture allaince / Matthias Hiekel)
    Sie würde heute wieder nach Sachsen ziehen, sogar als Flüchtling, betonte die Unternehmerin. Es gebe Licht und Schatten, es gebe Ausschreitungen und Probleme, aber es gebe auch gelungene Initiativen. Das rechtsradikale Milieu bekomme mehr Gehör als ihm zustehe. Das liege auch daran, dass die Bundesregierung in der Euro-Krise, in der Zuwanderungsdebatte und im Umgang mit Russland ohne Konzept agiere und nicht glaubwürdig sei.
    Wenige ausländische Studenten und Lehrlinge
    Die Wirtschaft in Sachsen habe heute Probleme, Fachkräfte an ihr Unternehmen zu binden. Es gelinge kaum noch, hochbezahlte Mitarbeiter für Forschungseinrichtungen und für die Universitäten einzuwerben. Auch gebe es in Sachsen weniger ausländische Studenten, und auch Lehrlinge würden händeringend gesucht.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Brennende Flüchtlingsunterkünfte in Meißen, gewaltsame Proteste vor Flüchtlingsheimen in Freital und in Heidenau. Sie erinnern sich vielleicht. Wöchentlich Pegida, Übergriffe auf den Straßen, jetzt die Vorfälle in Clausnitz und Bautzen. Sachsen muss ein Albtraum sein für fast alle Flüchtlinge, die in dieses Bundesland gebracht werden. Was unternimmt die Politik, was unternimmt die Polizei, was unternehmen die Bürger und wie nachteilig wirkt sich das Image des so oft titulierten Dunkeldeutschlands auf die Wirtschaft, auf die Unternehmen auch aus? - Die sächsische Unternehmerin Antje Hermenau ist nun bei uns am Telefon. Sie hat viele Jahre für die Grünen Politik gemacht, ist nun Beauftragte des Bundesverbands der mittelständischen Wirtschaft in Sachsen. Guten Morgen!
    Antje Hermenau: Guten Morgen.
    Müller: Frau Hermenau, würden Sie jetzt noch nach Sachsen ziehen?
    Hermenau: Ja, würde ich wieder, sogar als Flüchtling im Zweifel. Es gibt viele Ausschreitungen, aber es gibt auch viele sehr gelungene Beispiele. Es gibt eben Licht und Schatten. Sachsen hat eine starke Wirtschaftskraft.
    "Das hat auch was von Rufmord"
    Müller: Viele haben das Gefühl, mehr Schatten als Licht.
    Hermenau: Ja, von außen. Wir haben eine Menge von Fernurteilen bekommen, lauter Ferndiagnosen. Es ist natürlich auffällig, dass in Sachsen sich die Proteste gegen Zuwanderung und Asylheime häufen. Es gibt hier einfach einen Hotspot, das ist richtig. Aber ich habe auch manchmal das Gefühl, dass sich andere gerne damit herausreden wollen, dass es in Sachsen ja noch schlimmer ist als im eigenen Bundesland und deswegen alles auf Sachsen konzentriert wird. Das hat natürlich auch was von Rufmord. Es gibt hier Versäumnisse lokal, das ist gar keine Frage. Die können wir gerne diskutieren.
    Müller: Ist das lokal oder im ganzen Bundesland so?
    Hermenau: Aus meiner Sicht hat sich das inzwischen auf ganz Sachsen ausgedehnt. Es gibt auch Gründe dafür. Es hat damit zu tun aus meiner Sicht, dass die gesellschaftliche Debatte in Sachsen politisch fehlt. Sie wird nicht geführt oder zu wenig geführt oder von zu wenigen. Alles ist möglich. Es hat damit zu tun, dass das rechtsradikale Milieu im Prinzip eine Zuführung von vielen Leuten bekommen hat, die ihnen zuhören, und es geht dabei um so gravierende existenzielle Fragen wie die Eurokrise, die Griechenland-Rettung, die Zuwanderungsfrage, wo es offenbar keinen Plan gibt in der Regierung, oder auch der Umgang mit Russland. Das treibt die Leute in Sorge und offensichtlich versagen da andere Parteien in der Diskussion, und das führt dazu, dass Rechtsradikale mehr Zulauf und Gehör finden, als ihnen eigentlich zustehen sollte nach dem, was sie da alles verkünden.
    Müller: Versagen alle etablierten Parteien?
    Hermenau: Nein, aber im Moment ja. Es gibt immer wieder Versuche, auch im Mitte-Links-Milieu, zum Beispiel mit Netzwerken, "Tolerantes Sachsen" und anderen, dagegenzuhalten in der Zivilgesellschaft, aber das ist zu schwach, und man muss sich wirklich fragen - im ländlichen Raum sind zwei Parteien besonders stark präsent, die CDU und Die Linke -, warum das nicht funktioniert.
    Müller: Sie meinen aber auch die Grünen?
    Hermenau: Ja die Grünen sind in Sachsen eine kleine Oppositionspartei. Die werden hier nicht die Welt retten.
    Müller: Nein, nein. Klar. Aber wäre ja vielleicht eine Chance.
    Hermenau: Was für eine Chance?
    Müller: Eine Chance, sich zu profilieren, sich ins Gespräch zu bringen.
    Hermenau: Ja, das versuchen sie auch. Sie fahren da auch hin zu den Hotspots und kritisieren die Regierung. Die machen das schon.
    "Wir haben weniger ausländische Studierende"
    Müller: Sie haben Landespolitik viele Jahre gemacht, Frau Hermenau. Sie haben aber immer auch auf die Bundespolitik geschaut. Glauben Sie, dass Ihre Analyse, dass die Parteien die Probleme im Moment nicht richtig aufgreifen und abbilden, dass das für ganz Deutschland gilt?
    Hermenau: Ja. Ich glaube, das gilt für ganz Deutschland. Und ja: Ich glaube, in Sachsen tritt es besonders harsch zutage und ist es besonders auffällig. Beides ist richtig.
    Müller: Nehmen wir Ihre Kompetenz, um über die Wirtschaft zu reden. Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ist ungefähr ein Jahr her. Da haben wir zusammen mit einem anderen Gesprächspartner aus Sachsen, der zuständig ist für die Wirtschaftsförderung im Land, gesprochen nach den ersten Pegida-Demonstrationen. Da wurden ganz große Befürchtungen geäußert: Die Wirtschaft wird einbrechen, es werden Unternehmen sich zurückziehen, das Klima insgesamt in Sachsen gerade auch für ausländische Investoren, auch für ausländische Arbeitnehmer wird nach hinten losgehen, wird immer unattraktiver. Können Sie das bestätigen?
    Hermenau: Ja, punktuell schon. Wir haben auf jeden Fall das Problem, dass wir weniger ausländische Studierende haben an den Universitäten und Hochschulen. Es melden sich weniger bei uns. Das fällt auf. Das sagen mir die Leute aus dem Hochschulbereich. Und das andere ist, dass natürlich die Firmen, die einen sehr hohen Besatz an ausländischen Fachkräften haben, in der Forschung zum Beispiel, die zwischen Forschung und Produktion hin- und herchangieren, die eine Wissenschaftsabteilung haben, die haben auch Schwierigkeiten, in ihrer Belegschaft noch das Vertrauen zu erwecken, das man braucht, damit die hier freudevoll arbeiten können. Wenn da Leute aus Taiwan sind oder wo immer die herkommen, das ist ein Problem in der Tat. Man versucht, das auch zu diskutieren in den Belegschaften, in den Firmen. Das machen die Unternehmer. Wir haben noch ein zweites Problem: Das ist die Frage mit Lehrlingen. Es ist ja so, dass inzwischen hier in Sachsen Lehrlinge händeringend gesucht werden. Wir haben Versuche gemacht zum Beispiel mit tschechischen Lehrlingen oder mit spanischen Lehrlingen, die aber lieber wieder in die Heimat zurückgegangen sind, die hier auch zum Teil um die Ecke lag, auf der anderen Seite wir aber jetzt auch nicht mehr die Zeit haben aufgrund des demografischen Wandels, dass wir warten können, bis die Kinder der Flüchtlinge so gut Deutsch gelernt haben, dass sie an der Schule erfolgreich abschließen und dann als Lehrlinge auch hier zur Verfügung stehen. Das kommt noch hinzu. Klug wäre es schon, wenn Sachsen die Kraft fände, Familien, Flüchtlingsfamilien zu integrieren und auf diese nächste Generation zu setzen, weil die aktuelle Generation wird natürlich nicht automatisch in Fachkräfte münden. Das wissen wir ja alle.
    "Die Politik ist nicht glaubwürdig"
    Müller: Sie sind jetzt zuständig auch für den Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft. Wir hatten gestern und vorgestern ein bisschen Schwierigkeiten gehabt, valide Zahlen zu finden, wie sich das alles entwickelt hat. Sie haben es gerade in vielen Beispielen genannt. Das ist für Sie ganz klar eine Tatsache, dass sich immer mehr Ausländer aus Ihrem Bundesland zurückziehen oder gar nicht erst kommen.
    Hermenau: Gar nicht erst kommen! Zumindest aus allen Gesprächen. Ich habe jetzt eine empirische Feldstudie gemacht, wenn Sie so wollen, und habe einfach mit vielen gesprochen, und ich höre das verschiedentlich, dass es Schwierigkeiten gibt. Man kann die Leute halten, die man hat, aber es ist schwieriger geworden, Leute aus anderen Kontinenten einzuwerben als hoch bezahlte Fachkräfte hier bei unseren Forschungseinrichtungen zum Beispiel oder an den Unis.
    Müller: Das heißt, das schadet Sachsen nachhaltig?
    Hermenau: Ja, und ich komme zurück auf mein erstes Statement. Wenn wir in ganz Deutschland ein Problem haben und es in Sachsen besonders auffällt, dann wird es nicht genügen, wenn jetzt auf Dauer alle anderen 15 Bundesländer sich auf dem Rücken Sachsens entschuldigen und so tun, als ob nur dort der Hotspot wäre und sonst gäbe es das Problem nicht. Man muss insgesamt was ändern und da bleibe ich dabei: Der entscheidende Punkt ist, dass die Regierenden in Berlin keinen zuverlässigen Eindruck machen, wenn es um Fragen der Eurorettung geht, der Griechenland-Rettung geht, der Zuwanderung, auch des Umgangs mit Russland, und das mit Russland spielt zumindest hier im Osten eine Rolle. Das ist das Problem. Die Politik ist nicht glaubwürdig. Und im Osten ist es nun mal so, dass hier nicht über 50, 60 Jahre lang das Vertrauen in demokratische Institutionen gewachsen ist, sondern das ist hier eine relativ neue Erfindung, und das merkt man. Die Leute vertrauen dem auch nicht. Das muss man einfach wissen.
    Müller: Frau Hermenau, Sie gehen so weit: Alles was wir jetzt erleben, ist demokratiegefährdend?
    Hermenau: In der Konsequenz und Zuspitzung ist es das schon. Aber ich habe natürlich Hoffnung. Das ist mit Diskussion in der Gesellschaft auch wieder ein bisschen zurechtzurücken. Das glaube ich schon. Die Frage ist, wo die entschlossenen Leute sitzen und das machen.
    Müller: Aus Ihrer Sicht aber quantitativ größer, als wir im Moment denken?
    Hermenau: Ja! Ich glaube, dass in Westdeutschland sich viele eine Illusion darüber machen, wie sehr in Ostdeutschland insgesamt, nicht nur in Sachsen, die Bundesrepublik Deutschland alt hier verankert ist. Das ist, glaube ich, eine gewisse Illusion.
    "Es sind hart erkämpfte Landschaften"
    Müller: Wie hoch ist denn der Prozentsatz? Sind das 30, 40, 50 Prozent?
    Hermenau: Das kann man so nicht einschätzen. Aber ich merke das in Gesprächen mit älteren Leuten insbesondere, dass da immer noch eine gewisse Distanz, eine Skepsis da ist. Das ist ganz selbstverständlich, glaube ich, weil die vergleichen einfach verschiedene Lebenserfahrungen und werden auch nicht immer im Tonfall genau erreicht. Das ist auch eine Frage der Kommunikation. Und die jüngeren Leute - na ja, da haben jetzt viele sehr hart gearbeitet, seitdem sie ins Erwachsenenalter gekommen sind, in den 90er-Jahren, im letzten Jahrzehnt. Die haben sich nach oben gearbeitet, die haben sich angestrengt, die haben zum Teil was aufgebaut. Es laufen ja bei Pegida auch eine ganze Menge Leute mit, die sind so um die 40, die haben eine kleine Handwerksbude oder haben irgendeine andere kleine Firma, haben sich nach oben gearbeitet und haben jetzt das Gefühl, dass all das, wofür sie bis jetzt gearbeitet haben, über den Jordan geht, weil zum Beispiel keiner diese Eurofrage im Griff hat und wir jetzt die Weichwährung haben. Das spielt eine Rolle.
    Müller: Waren das blühende, sind das blühende Landschaften, wo jetzt nicht nur die Blätter abfallen?
    Hermenau: Es sind hart erkämpfte Landschaften. Das gilt übrigens nicht nur für Ostdeutschland oder Sachsen; das gilt für ganz Osteuropa. Sie haben ja alle gemerkt, wie die ganzen osteuropäischen Länder reagiert haben im Frühjahr auf die Griechenland-Rettung und dass sie das als unfaires zweierlei Maß empfunden haben, und sie haben es auch gemerkt jetzt in der Zuwanderungsdebatte. Ost- und Westeuropa sind noch sehr unterschiedlich drauf und die Frage ist, ob nicht auch Westeuropa und Westdeutschland gewisse Korrekturen in den hehren Zielen, die sie sich historisch gesetzt haben, machen muss. Die Frage steht im Raum und man kann sich nicht immer nur damit herausreden, dass alle hinter der ehemaligen Berliner Mauer nur Hinterweltler sind. So einfach ist es nicht.
    Müller: Die sächsische Unternehmerin Antje Hermenau bei uns im Deutschlandfunk, viele Jahre Politikerin der Grünen, ist nun Beauftragte des Bundesverbands der mittelständischen Wirtschaft in Sachsen. Danke für die offenen Worte, danke nach Dresden.
    Hermenau: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.