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Verhältnis USA und Russland
"Die Feindbildproduktion spielt weiterhin eine wichtige Rolle"

Die derzeitige Situation in den amerikanisch-russischen Beziehungen sei ein vorübergehender Höhepunkt einer Entwicklung, die schon viel länger dauere, sagte Russland-Expertin Sabine Fischer im Dlf. Sie befürchtet, dass sich die Eskalationsspirale weiterdrehen könnte.

Sabine Fischer im Gespräch mit Susanne Schrammar | 01.09.2017
    Das russische Konsulat in San Francisco im US-Bundesstaat Kalifornien
    Das russische Konsulat in San Francisco soll geschlossen werden (AFP / Josh Edelson)
    Susanne Schrammar: Die Anordnung der USA, das russische Konsulat in San Francisco bis morgen zu schließen, ist also nur das jüngste Beispiel in einem monatelang währenden diplomatischen Schlagabtausch zwischen den beiden Staaten, bei dem das Motto "Auge um Auge" zu gelten scheint. Dr. Sabine Fischer ist Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin mit dem Schwerpunkt russische Außenpolitik. Ich hatte Gelegenheit, vor der Sendung mit ihr über das amerikanisch-russische Verhältnis zu sprechen. Frau Fischer, dieser diplomatische Konflikt erinnert ja so ein bisschen an einen Streit unter Kindern im Sandkasten, finde ich. Die beiderseitigen Sanktionen wirken wie das gegenseitige Kaputttreten von Sandburgen und der eine beschuldigt immer wieder den anderen, angefangen zu haben. Ist das Ganze so kindisch, wie es anmutet?
    Sabine Fischer: Ja, bedauerlicherweise ist es nicht so kindisch, wie es jetzt vielleicht anmuten mag, wenn man sich anschaut, wie beide Seiten jetzt praktisch abgezählt, konsularische Vertretungen schließen im jeweils anderen Land … Dahinter stehen viel schwerwiegendere Sanktionen und natürlich sehr viel tiefergehende Konflikte, die sich auch schon seit langer Zeit anbahnen und die uns wahrscheinlich auch noch einige Zeit beschäftigen werden.
    "Eine sehr, sehr ungute Situation"
    Schrammar: Es ist ja oft zu hören, das Ganze habe im Dezember vergangenen Jahres begonnen, als Barack Obama 35 russische Diplomaten ausweisen ließ, als Antwort auf den Verdacht der möglichen russischen Einmischung in den US-Wahlkampf. Sehen Sie das genauso, war das der Beginn?
    Fischer: Nein, das ist nicht der Beginn. Was wir sehen, ist ein vorübergehender Höhepunkt einer Entwicklung, die schon sehr viel länger dauert. Im Grunde genommen kann man die sogar bis in die 00er-Jahre zurückverfolgen. Konkret haben sich die Beziehungen systematisch verschlechtert, im Grunde genommen seit 2011/2012 bereits, und jetzt diese neuerliche Eskalation auf diplomatischer Ebene. Und eine große Rolle spielt in dem Zusammenhang auch ein Gesetz, das der amerikanische Kongress im Juli verabschiedet hat, das eine ganze Reihe dieser Sanktionen festschreibt, das den amerikanischen Präsidenten verpflichtet, im Falle neuer Völkerrechtsverletzungen oder anderer Handlungen Russlands weitere Sanktionen zu verhängen. All diese Konflikte kommen da zusammen und ergeben eine sehr, sehr ungute Situation.
    Schrammar: Ist denn für Sie überhaupt ein Hauptschuldiger auszumachen?
    Fischer: Natürlich haben auch die USA eine ganze Reihe von Fehlern gemacht. Wenn man sich die bilateralen Beziehungen der letzten zehn Jahre betrachtet, oder der letzten 15 Jahre, wenn man so will. Gleichzeitig hat aber natürlich Russland mit seiner Außenpolitik, mit seiner Politik in der Ukraine auch sehr stark dazu beigetragen.
    Schrammar: Sie haben jetzt die lange Geschichte schon beschrieben, das schwierige Verhältnis der beiden Staaten, und das war auch 2009 schon so, dass es damals einen ja doch sehr publikumswirksamen Neubeginn geben sollte. Die damalige amerikanische Außenministerin Hillary Clinton drückte mit ihrem russischen Kollegen Sergej Lawrow einen symbolischen Neustartknopf, doch das Verhältnis ist auch danach nicht unbedingt besser geworden. Woran sind denn die Bemühungen gescheitert?
    Fischer: Das Verhältnis ist zunächst schon etwas besser geworden. Es gab eine ganze Reihe von Kooperationsansätzen in den Jahren 2009/2010, als eben diese Obama'sche Reset Policy gegenüber Russland verfolgt wurde. Es gab einen neuen Abrüstungsvertrag, also den sogenannten New-Start-Vertrag, es gab eine bilaterale präsidentielle Kommission, in der in sehr vielen politischen Bereichen Arbeitsgruppen zusammentraten und auch eine ganze Reihe von Kooperationsprojekten verfolgt worden sind. Ich denke, ein ganz zentrales Problem war, dass die russische Seite dieses Projekt nie wirklich als ihr eigenes angenommen hat, sondern es eher als eine amerikanische Initiative betrachtete von Anfang an, der in Russland aber mit relativ großem Misstrauen begegnet wurde. Ein Problem auf amerikanischer Seite war, dass auch diese Politik immer wieder von recht despektierlichen Aussagen gegenüber Russland begleitet war. Also, auch Obama zum Beispiel hat mehrmals zu verstehen gegeben, dass in seinen Augen Russland – und das war eben auch wirklich despektierlich gesagt – nichts weiter als eine Regionalmacht sei, mit der man sich über bestimmte Punkte einigen müsse, die aber sonst eben in der amerikanischen außenpolitischen Strategie keine große Rolle mehr spielen würde. Und das hat natürlich in Russland nicht gerade Freude hervorgerufen.
    "Russland hat einen recht hohen Preis für diese Entwicklung gezahlt"
    Schrammar: Man hat ja große Hoffnungen gesetzt, als Donald Trump Präsident wurde. Donald Trump hat sich ja selber auch als eine Art Seelenverwandter bezeichnet von Wladimir Putin. Wäre denn das Verhältnis tatsächlich ein besseres zwischen den beiden Staaten, wenn sich Trump im Hinblick auf die russischen Sanktionen nicht den Republikanern im Kongress beugen müsste?
    Fischer: Ich würde hier erst mal relativieren und wirklich betonen wollen, dass wirklich nicht alle politischen Akteure in Russland beziehungsweise in den USA oder auch Europa gehofft haben, dass mit Donald Trump die russisch-amerikanischen Beziehungen sich verbessern. Denn was Herr Trump im Wahlkampf immer wieder angekündigt hat, waren eben Deals mit Russland. Und das ist genau eine Perspektive gewesen, die in der Ukraine, in Georgien, in anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, aber auch in Europa große Befürchtungen hervorgerufen hat. Also, insofern würde ich das schon mal sehr infrage stellen. Klar war eigentlich von vornherein, und das war auch letztes Jahr schon in Russland sehr vielen Beobachtern klar, die sich besser mit amerikanischer Politik auskennen, dass Russland zwar im Wahlkampf ein willkommenes Thema war, dass Russland aber eben auf der Prioritätenordnung dieses Präsidenten auf keinen Fall eine prominente Stellung einnehmen würde.
    Schrammar: Braucht Putin nicht vielleicht auch die USA als Feindbild, um sich daran abzuarbeiten, um seine innenpolitische Stärke auch zu beweisen?
    Fischer: Dass das Feindbild USA im russischen innenpolitischen Diskurs und auch zur Legitimationsbeschaffung für dieses autoritäre System eine große Rolle spielt … Gleichzeitig ist es aber auch so, dass seit 2014, also seit die Krise um die Ukraine begonnen hat und Russland eben mit westlichen Sanktionen belegt hat, Russland einen recht hohen Preis für diese Entwicklung gezahlt hat und man schon gehofft hat in Moskau, über jemanden wie Präsident Trump aus dieser internationalen Isolation ein Stück weit wieder herauszukommen. Insofern würde ich sagen, die russische Haltung ist da ambivalent, aber die Feindbildproduktion, ja, spielt weiterhin eine wichtige Rolle.
    "Viel hängt von den weiteren innenpolitischen Entwicklungen in den USA ab"
    Schrammar: Wenn wir jetzt noch mal bei dem Anfangsbild bleiben, was ich beschrieben habe, den spielenden Kindern im Sandkasten, dann ist es ja in der Realität oft so, dass dann irgendwann eine Erzieherin, ein Erzieher kommt und versucht, den Streit zu schlichten. Ist denn so jemand bei den USA und Russland auch in Sicht? Wer könnte das sein?
    Fischer: Ich fürchte, dass das im Moment sehr, sehr schwierig ist, was eben nicht zuletzt mit den für die internationalen Beziehungen generell sehr problematischen Entwicklungen der amerikanischen Innenpolitik zusammenhängt. Das ist natürlich auch aus Sicht der europäischen Verbündeten der USA ein großes Problem, denn während man in Obama einen aus europäischer Perspektive sehr verlässlichen amerikanischen Partner hatte, der eben prinzipiell auch viele der europäischen Ziele und Interessen im Hinblick auf europäische Sicherheit mitgetragen hat, steht man jetzt in Präsident Trump einem sehr, sehr volatilen und schwer kalkulierbaren amerikanischen Präsidenten gegenüber. Und wie in den Beziehungen zu Russland eben auch hängt generell jetzt sehr, sehr viel von den weiteren innenpolitischen Entwicklungen in den USA ab und ich fürchte, dass eine solche Schiedsrichter- oder Regulierungsfunktion … Ich sehe im Moment keinen Akteur, der diese wirklich übernehmen könnte.
    Schrammar: Das heißt, Sie erwarten auch, dass sich die Eskalationsspirale weiterdrehen wird?
    Fischer: Ich fürchte, dass das passieren kann, ja.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.