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Sachsens kurze Zeit als Großmacht

Viele hielten ihn für verrückt. Doch dem sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. gelang vor 300 Jahren, was noch keinem deutschen Fürsten vor ihm geglückt war. Er bewarb sich um die polnische Krone und wurde Monarch von europäischem Format. Nach einer Niederlage gegen die Schweden musste er die Krone aber am 24.September 1706 zurückgegeben.

Von Christian Berndt | 24.09.2006
    Dresden 1697. Am Hofe Friedrich Augusts I. wird ausgiebig gefeiert. Auf der Elbe fahren Lustschiffe, das Feuerwerk haben berühmte Künstler gestaltet. Dass der diesjährige Karneval selbst für die Verhältnisse des prunkliebenden Kurfürsten von Sachsen prachtvoll ausfällt, ist kein Zufall: Friedrich August, wegen seiner Körperkraft später "Der Starke" genannt, will sich um die polnische Krone bewerben und strebt eine Union Sachsens mit Polen an. Für seine Landsleute eine Schnapsidee, wie ein Diplomat meint:

    "Die Sachsen können sich mit den Polen so wenig stellen wie Eulen und Krähen. Besonders da die Polen selbst von sich sagen, sie seien zwar hochmütig, doch dabei höflich, die Sachsen aber stolz und dabei grob. Nur der König selbst wird von ihnen gerühmt - so als wäre er in Polen geboren."

    Doch der Königstitel bedeutet Macht. Alle größeren deutschen Fürstenhäuser streben nach ausländischen Herrscherwürden, aber Friedrich August ist der erste, dem es gelingt. Bei der Königswahl in Warschau kann er sich durchsetzen - dank enormer Bestechungsgelder. Am 15. September 1697 wird der Kurfürst in Krakau zum König gekrönt.

    August II., wie sich der Kurfürst als König nennt, ist nun Monarch von europäischem Format. Doch innenpolitisch bleibt das Projekt umstritten, August sucht den Erfolg in der Außenpolitik. Verbündet mit dem russischen Zaren Peter I. fühlt er sich stark genug, im Jahre 1700 das schwedisch besetzte Livland anzugreifen. Scheinbar ein leichtes Spiel gegen den gerade mal 18-jährigen schwedischen König Karl XII. von dem es heißt, dass er im Thronsaal Hasen jagt und seinen Ministern gerne die Perücken vom Kopf reißt. Doch der Wildfang erweist sich als militärisches Talent, schlägt die verbündeten Russen und droht in Sachsen einzufallen. Die sächsische Regierung rät August, auf den polnischen Königstitel zu verzichten:

    "Im Fall, dass sich der König von Schweden vorgenommen hat, Sachsen mit Krieg zu überziehen, so unternimmt er dieses, um Eure Majestät zu zwingen, die Krone von Polen niederzulegen. Ob nun die totale Ruinierung des Landes mit der Rückgabe einer wenig profitablen Krone gleich zu stellen ist, überlassen wir Ihrer Majestät höchsterleuchteten Überlegung."

    Sachsen kapituliert. Am 24. September 1706 wird in Altranstädt der Friedensvertrag unterschrieben. August aber will den Verlust der Krone nicht wahrhaben. In einer persönlichen Begegnung versucht er, Karl XII. umzustimmen - vergeblich. Der elegante Sachse und der derbe Schwede bleiben sich fremd, wie der französische Dichter Voltaire über das Treffen berichtet:

    "Die Unterhaltung drehte sich um Karls große Stiefel. Der Schwedenkönig erzählte König August, seit sechs Jahren ziehe er sie nur aus, wenn er sich schlafen lege. Die ganze Unterhaltung drehte sich um Lappalien dieser Art. Und August sprach in der ruhigen und verbindlichen Weise, die den Fürsten dieser Welt zur zweiten Natur wird und sie auch unter bitterster Demütigung nicht verlässt."

    1709 wendet sich das Blatt, die Schweden werden von russischen Truppen vernichtend geschlagen. August wird wieder König - aber nur von Russlands Gnaden. Von den Großmachtträumen muss er sich verabschieden, doch die Union hält. Erst unter Augusts Nachfolger beginnt der Abstieg. August III., der mehr von Kultur als von Politik versteht, kann Sachsens Position im Mächtekonzert nicht halten. Im Siebenjährigen Krieg ab 1756 wird das Land von preußischen Truppen besetzt und verwüstet, 1763 zerbricht der Bund. Nach dem Urteil des preußischen Historikers Heinrich von Treitschke zwangsläufig:

    "Als die Prunksucht der Sachsen mit der Unzucht des polnischen Adels sich freundlich zusammenfand, trat der deutsche höfische Absolutismus in seiner Sünde Blüte. Die beste Kraft des Landes floss dahin, um den zahllosen Dirnen des starken August die Hände zu füllen. Schließlich siegte das politische Königtum der Hohenzollern über die Frivolität fürstlicher Selbstvergötterung."

    Das nationalistisch gefärbte Urteil Treitschkes wirkte prägend seit dem 19. Jahrhundert, und bis heute ist umstritten, ob die Union ein Irrweg war. Doch dank des Bundes gelang es Sachsen und Polen über Jahrzehnte, sich gegenüber den Großmächten Preußen und Österreich zu behaupten. Und in beiden Ländern begann mit dem Zusammenschluss ein kultureller und politischer Reformprozess, der bei längerer Dauer vielleicht wirklich zu einer stabilen Union geführt hätte - mit entscheidenden Folgen für die Geschichte Polens und Deutschlands.