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Sachverständigenrat
"Wirtschaftsweise" kritisieren EZB

Der Bericht des Sachverständigenrats zur Konjunktur wird stets mit Interesse erwartet - auch von der Bundesregierung. Ihr werfen die fünf Weisen vor, nicht genug Strukturreformen in Angriff genommen zu haben - trotz der guten Konjunktur. Auch die Niedrigzinspolitik der EZB fand in den Augen der Experten keine Gnade.

Von Volker Finthammer | 02.11.2016
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht am 02.11.2016 in Berlin bei der Entgegennahme des Gutachtens zur Wirtschaftsentwicklung zwischen dem Vorsitzenden des Sachverständigenrates, Christoph M. Schmidt (3.v.r), Peter Bofinger (2.v.l), Lars P. Feld (r), Isabel Schnabel (2.v.r) und Volker Wieland...
    Entgegennahme des Jahresgutachtens zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 2.11.2016. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Die Aussagen zur konjunkturellen Entwicklung sind schnell abgehakt. Da bewegen sich auch die fünf Weisen im Rahmen der bislang bekannten Prognosen etwa der Forschungsinstitute oder auch des Wirtschaftsministeriums. 1,9 Prozent für dieses Jahr und 1,3 Prozent für das kommende Jahr lauten die Zahlen, wobei die 1,3 Prozent kein Einbruch bedeuten, sondern allen der Tatsache geschuldet sind, dass 2017 die Feiertage gut liegen und den Arbeitnehmern viel Urlaub ermöglichen. Ansonsten sprechen auch die Wirtschaftsweisen von einer robusten Konjunktur.
    Viel spannender beim Sachverständigenrat ist aber immer das jeweilige Lob oder der Tadel den sie in Richtung Bundesregierung aussprechen. "Zeit für Reformen" ist der Bericht überschrieben und damit verbinden die fünf Weisen sogleich die Kritik, dass die Bundesregierung trotz der guten Konjunktur zu wenige Strukturreformen in Angriff genommen habe.
    Kritik am Mindestlohn
    "Unsere Einschätzung ist, dass jetzt die Zeit ist die Reformen, die wir vorgeschlagen haben, anzustrengen."
    Sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrates Prof Christoph Schmidt. So fehle es an einer zielgerichteten Bildungspolitik für eine bessere Chancengleichheit. Der robuste Arbeitsmarkt werde durch die Regelungen zum Mindestlohn eingeschränkt. Besser wäre es den Niedriglohnsektor auszuweiten, um darüber auch den Flüchtlingen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu gewähren.
    Weitere Ausgaben zur Förderung der Konjunktur lehnen die Sachverständigen ab. Im Gegenteil, sondern fordern die Schuldenquote weiter zurückzuführen und die Haushaltspolitik der schwarzen Null konsequent fortzuführen. Die Große Koalition muss aber noch mehr Kritik einstecken:
    Unmut über Niedrigzinspolitik der EZB
    "Bei der Erbschaftsteuer sind wir der Meinung, dass der Kompromiss, der gefunden wurde nicht derjenige ist der zielführend wäre und wir sind auch nicht der Meinung, dass die Neuordnung der Bund-Länder Finanzbeziehungen die Ineffizienz des Finanzausgleichssystems bewältigt. Im Gegenteil, sie wird sie eher noch verschärfen."
    Deutlichen Unmut gibt es auch über die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Deren Niedrigzinspolitik sei weder für Deutschland noch den Euroraum angemessen, zumal die wirtschaftliche Produktion in Deutschland schon an die Kapazitätsgrenzen heranreiche. Die Sachverständigen fordern deshalb, die Anleihekäufe zu verlangsamen und früher zu beenden, um eine Blasenbildung zu vermeiden.
    Bundesregierung schätzt den Bericht
    Für die aktuelle Debatte zur Rentenreform geben die Sachverständigen nur eine zentrale Empfehlung: die Anhebung des Renteneintrittsalters ab dem Jahr 2029. Angesichts der zunehmenden Lebenserwartung plädieren sie für eine langfristig zu erreichende Altersgrenze von 71 Jahren für den Renteneintritt. Dafür mussten die Wirtschaftsweisen prompt deutliche Kritik hinnehmen. Verdi-Chef Frank Bsirske sprach von kruden, wirtschaftlich schädlichen und sozial ungerechten Vorschlägen. Niemand brauche eine Politikberatung die nicht mehr auf der Höhe der Zeit sei.
    "Für uns ist immer Zeit für Reformen", hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Entgegennahme des Gutachtens gesagt und angefügt, dass es bei der Beurteilung der Reformen immer Differenzen zwischen den Ökonomen und der Politik gebe, dennoch werde der Bericht mit Interesse und Respekt entgegengenommen.