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Sängerkrieg auf dem Hügel

Die Jubiläumsaufmerksamkeit für die Bayreuther Festspiele erreichte bei der Eröffnung des "Tannhäuser" einen ersten Höhepunkt. Doch künstlerisch war es ein Tiefpunkt wegen der Inszenierung von Sebastian Baumgarten, der dem Geschehen einen Touch von Kläranlage gab.

Von Christoph Schmitz | 26.07.2011
    In Bayreuth werden heilige Kühe geschlachtet. Der Vorhang ist schon offen, bevor die Musik beginnt. Der Regisseur Sebastian Baumgarten ist ein mutiger Mann. Er hat sogar Zuschauer auf die Bühne gebracht, die dort artig sitzen, wenn schon vor dem Vorspiel in einer Industriehalle in mehreren Etagen gearbeitet wird. Eine Art Ökokraftwerk sieht man, hinten einen roten Tank auf dem "Alkoholator" steht, rechts einen blauen Tank, in dem Biogas gesammelt wird und links einen grünen für Nahrungsbrei. Während des ganzen Vorspiels sieht man ein Video mit Röntgenaufnahmen des menschlichen Verdauungsvorganges. Säfte brodeln und Bakterien tummeln sich. Die Bühne des niederländischen Künstlers Joep van Lieshout ist für sich genommen eine nicht uninteressante Installation. Der Dirigent Thomas Hengelbrock geht die Musik ruhig, leise, sanft an. Er verzichtet auf die der Partitur eingeschriebenen Hysterien, lässt aber die Akzente vermissen, wo sie notwendig wären, später wird er mitunter so unglaublich langsam, ja schleppend, dass alle Spannung zerrinnt. Besonders transparent und klar strukturiert klang sein "Tannhäuser" am Ende nicht, wie es von einem Spezialisten für Alte Musik zu erwarten gewesen wäre. Das war die erste Enttäuschung des Abends.

    Die Hauptsache auf der Bühne ist ein weiteres viertes Behältnis. Es liegt im Boden der Fabrik und wird mit der ersten Szene nach oben gehoben. Darin wird alles Mögliche gesammelt, organischer Abfall, auch Menschenarme- und Beine. Die munteren Bakterien, gespielt von zotteligen Tänzern, zerlegen das alles und kopulieren zwischendurch, vielleicht sind es auch vorzivilisatorische Triebwesen. Der Bioreaktor ist in vollem Gange. Aus Abfall entstehen Gas, Alkohol und Eiweißnahrung. Die höchst lebendige Ursuppe ist das Reich der schwangeren Venus. Tannhäuser hat es bisher auch gut gefallen, aber jetzt ist ihm das alles zu viel, und er will an die frische Luft, was man verstehen kann.

    Lars Cleveman sang einen engagierten Tannhäuser, aber mit etwas stumpfer Stimme. Stephanie Friede als Venus hatte viel Energie, intonierte aber oft ungenau. Günther Groissböck als Landgraf, beziehungsweise Unternehmensdirektor verfügte über einen raumgreifenden Bass, war aber etwas ruppig. Michael Nagy als Wolfram und Camilla Nylund als Elisabeth glänzten in einem ansonsten durchwachsenen Sängerensemble. Das war die zweite Enttäuschung des Abends. Auch wenn der Chor prächtige Passagen bot.

    Oben in der geregelten Produktionswelt finden Tannhäuser und Elisabeth ihre Liebe wieder und wagen in ihrer Leidenschaft eine Stippvisite im unterirdischen Gärbehälter. Zum Sängerwettstreit werden die Arbeiter mit Alkohol belohnt. Beim Sängerwettstreit ist auch die schwangere Venus von ganz unten dabei. Sie gehört zum System dazu. Und hier beginnen die Ungereimtheiten der Inszenierungen, womit wir bei der dritten Enttäuschung wären. Wenn Venus dazugehört, warum soll ihre Verhältnis mit Tannhäuser dann ein solches Sakrileg sein, dass er ausgestoßen und zur Pilgerfahrt nach Rom gezwungen wird? Inszenierung und Stück klaffen auseinander. Als Tannhäuser aus Rom zurückkommt, ist die Fabrik zerstört. Elisabeth hat sich im Biogastank umgebracht und die Venuswelt die Herrschaft über das ganze System übernommen. Venus' Kind ist geboren, alles leuchtet uterusrot, die Tierchen vom Anfang krabbeln umher, dazu Wartburg- und Pilgermusik, was zwar nicht passt, ist aber auch egal. Der mutige Regisseur dieser Bioreaktorinszenierung wollte es halt so. Dabei hätte Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Loge als Expertin für Reaktormoratorien sicherlich Ideen für ein Ausstiegsszenario gehabt. Nach einem albernen "Lohengrin" von Hans Neuenfels im letzten Jahr und diesem "Tannhäuser"-Fiasko und einer zu erwartenden Nibelungen-Ring-Dekonstrution von Frank Castorf sollte man den Werkstattcharakter von Bayreuth ernst nehmen. Das heißt, nicht nur bestehende Inszenierungen verbessern, sondern auch missratene absetzen. Baumgartens "Tannhäuser" wäre so eine.