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Sakralbauten in Staatsbesitz
Italienische Kirchen haben Risse

Dass dem italienischen Staat rund 1.000 Sakralbauten gehören, weiß kaum ein Italiener. Bei den schweren Erdbeben im Herbst sind auch einige dieser Kirchen beschädigt worden. Sie müssen jetzt restauriert werden. Doch dafür ist kaum Geld da und so wird nach kreativen Lösungen gesucht.

Von Thomas Migge | 12.12.2016
    Das Bild zeigt ein Kruzifix in der beschädigten Kirche in San Lorenzo, Italien, nach einem schweren Erdbeben. Das Foto wurde am 27.08.2016 aufgenommen.
    Das Erdbeben in Mittelitalien hat viele Kirchen schwer beschädigt. (AFP/ALBERTO PIZZOLI)
    "Die Situation hier bei uns in Monteleone di Spoleto ist sicherlich nicht so dramatisch wie anderswo, weil in den vergangenen Jahren einige Gebäude gesichert wurden, aber die jüngsten schweren Erdbeben sorgen auch hier bei uns für recht kritische Situationen", sagt Marisa Angelini.
    Angelini ist Bürgermeisterin der Ortschaft Monteleone di Spoleto in der mittelitalienischen Region Umbrien. Knapp 700 Einwohner leben in einem malerischen Ambiente. Fast alle Bauwerke stammen aus dem Mittelalter, der Renaissance und dem Barock. Die jüngsten Beben verursachten zwar keine Einstürze wie anderswo, aber die Risse im Mauerwerk zahlreicher historischer Gebäude sind unübersehbar.
    "Betroffen sind vor allem jene kunsthistorisch wichtigen Bauwerke, die bisher noch nicht erdbebensicher gemacht wurden. Da gibt es also viel zu tun."
    Innenministerium kümmert sich um Kirchen
    Auch so manche Kirche in Monteleone di Spoleto ist derzeit nicht zu benutzen. Darunter nicht nur Gotteshäuser, die der katholischen Kirche gehören, sondern auch sogenannte staatliche Kirchen.
    Die meisten Italiener wissen nicht, dass es in ihrem Land Kirchen gibt, die nicht dem Vatikan gehören - oder der Bischofskonferenz, den Bistümern oder den religiösen Orden. Es handelt sich um Gebäude, die in Grundbuchämtern als staatliches Eigentum geführt werden, insgesamt ca. 1000 Sakralbauten - darunter Kirchen, Klöster und Basiliken aus verschiedenen Jahrhunderten. Sie alle, erklärt die Kunsthistorikerin Caterina de Sisto, gehören zum "Fondo edifici di culto", zum "Büro für Sakralbauten" des italienischen Innenministeriums:
    "Diese Einrichtung ist etwas ziemlich Ungewöhnliches innerhalb der öffentlichen Verwaltung. Und deshalb ist sie recht unbekannt. Dieses Büro kümmert sich um die Restaurierung und den Erhalt wichtiger Kulturgüter."
    Dass sich das Innenministerium um Sakralbauten in Staatsbesitz kümmert, hat historische Gründe. Als das vereinte italienische Königreich Mitte des 19. Jahrhunderts Mittel- und Süditalien eroberte, zog sich Papst Pius IX. ins Exil in den Vatikan zurück. Damals beschlagnahmte der neue Staat Italien etwa 1000 Sakralbauten im gesamten Land - nach dem individuellen Geschmack jener königlichen Beamten, die damals diese Beschlagnahmungen durchführten. Caterina de Sisto:
    "Mit diesen Sakralbauten übernahm der Staat auch die gesamten darin enthaltenen Kunstwerke. Von den wirklich bedeutenden Kirchen gehören dem Staat zum Beispiel Santa Chiara in Neapel, Santa Maria Novella und Santa Croce in Florenz und auch Santa Maria del Popolo in Rom."
    Also Kirchen, die zu den am meisten besuchten der genannten Städte zählen. Zunächst unterstanden diese und andere staatliche Sakralbauten dem Justizministerium, das damals auch für die religiösen Kulte im Staat verantwortlich war. Seit 1932 liegt die Verantwortung für diese Bauwerke beim Innenministerium, das damit auch für den Erhalt und, wie im Fall der jüngsten Erdbeben, für Rettung, Restaurierung und, wenn möglich, Wiederaufbau zuständig ist. So jedenfalls steht es in den Statuten des Büros für Sakralbauten.
    Schulklassen adoptieren inzwischen Bauwerke
    Doch das Geld dafür ist im Innenministerium knapp. Auch das Kulturministerium kann nichts hinzusteuern. Deshalb sucht das Innenministerium nach Hilfe von außen, wie etwa auf Sizilien. Nicola Diomede ist Polizeipräfekt in Agrigent, und dort auch für die staatlichen Kirchen verantwortlich:
    "Wir haben hier verschiedene Initiativen entwickelt, um die Mitbürger für den Erhalt unserer Sakralbauten zu begeistern. Vor allem arbeiten wir eng mit lokalen Schulen und Lehrern zusammen. Und so adoptieren inzwischen Schulklassen einige unserer Bauwerke."
    Die Schüler reinigen die staatlichen Sakralbauten. Sie führen Besucher, erklären die Kunstwerke und sammeln Geld für deren Erhalt. Von dieser Freiwilligenarbeit profitieren auch jene Geistlichen, die die staatlichen Gotteshäuser täglich nutzen, denn seit der Beschlagnahmung vermietet der Staat sein sakrales Eigentum an die katholische Kirche - gratis.