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Sakralbauten zum Schnäppchenpreis

Kirchenaustritte, sinkende Steuereinnahmen und der demografische Wandel bleiben für den Bestand der Sakralbauten nicht ohne Folgen: Vielen Kirchen droht die Schließung, sagt die Deutsche Stiftung für Denkmalschutz. Die Umwidmung der Gotteshäuser sorgt nicht selten für Kritik.

Von Johanna Risse | 27.02.2013
    Was tun mit überflüssigen Sakralbauten? Als Nachmieter sind Katholiken und Protestanten zuallererst christliche Konfessionen willkommen, tabu sind dagegen fast überall muslimische Gemeinden. Warum eigentlich?

    "Früher war es ein Haus Gottes. Jetzt ist es ein Haus für uns Menschen. Das gefiel mir von Anfang an."

    Hildegard Hoffman schwärmt, wenn Sie von ihrem neuen Zuhause erzählt. Jahrelang hat die pensionierte Lehrerin nach einer Wohnung gesucht, bezahlbar und barrierefrei sollte sie sein. Vor ein paar Monaten wurde sie fündig, in der ersten Wohnkirche von Mönchengladbach. Von außen eine neugotische, dreischiffige Basilika, von innen ein Mietshaus mit modernen Sozialbauwohnungen.

    "Eh so etwas leer steht und verfällt, finde ich das eine sinnvolle Nutzung. Aber ich weiß von anderen Leuten, vom Erzählen her, gerade bei älteren Leuten, die auch heimatverbundener sind, die sagen: da bin ich getauft worden, zur Kommunion gegangen, oder da habe ich geheiratet. Die finden das unmöglich. Ich hab damit kein Problem."

    Ein Problem mit Kirchenumwidmungen wie dieser haben immer öfter Kunsthistoriker. Martin Bredenbeck zum Beispiel. Der Kunsthistoriker, der in Bonn und Wiesbaden lehrt, hat im Rheinland das Schicksal von mehr als 300 Sakralbauten untersucht, die geschlossen wurden. Viele davon wurden abgerissen, verkauft oder umgewidmet, zu Mehrgenerationenhäusern, Seniorenheimen, Jugendherbergen. Auch wenn die Finanznot der Pfarrgemeinden groß sei, kritisiert Bredenbeck, hätten sich viele zu leichtfertig von ihren Gebäuden getrennt.

    "In dem Moment, wo sie aus einer modernen Kirche sämtliche Bildwerke ausräumen, wo sie Zwischendecken und Zwischenwände einziehen und noch ein Solardach drauf setzen, ist von dem Gebäude nichts mehr übrig. Das ist aber dummerweise die Art von Nutzung, die nach meinem Eindruck verstärkt forciert wird. Dieses sehr nach vorne preschende, vollständige Umnutzen, wo es dem Kunsthistoriker lieber wäre, das Altenheim würde daneben gebaut und die Kirche würde einfach ein offener Raum, für verschiedenste Angebote und nicht wirtschaftlich optimiert. Da sehe ich die Notwendigkeit, stärker von diesem Verwertungsgedanken wegzukommen."

    Akut gefährdet seien aber nicht die romanischen Dome, gotischen Kathedralen oder barocken Gotteshäuser, so Bredenbeck, sondern die häufig schmucklosen Beton-Kirchen, gebaut in den Wohlstandsjahren der Nachkriegszeit. Architektonische Zeitzeugen der Moderne, die in der katholischen Kirche auch im Zuge der Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils entstanden. Zwar hat es im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder Umwidmungen und Abrisse gegeben – vor allem in Folge der Säkularisation. Anfang des 19. Jahrhunderts. Doch auch Albert Gerhards, Professor für katholische Liturgiewissenschaft an der Universität Bonn, geht die derzeitige Umnutzungswelle der Kirchen zu weit.

    "Das hängt einerseits mit einer Überkapazität zusammen, anderseits – und das ist für mich das eigentliche Problem – mit einer nicht richtigen Wertschätzung von Kirchengebäuden seitens kirchlich Verantwortlicher, das gilt für die katholische, wie für die evangelische Kirche gleichermaßen. Hier scheint mir die Rückbesinnung auf die eigentliche Funktion von Sakralgebäuden in einer Gesellschaft dringend notwendig."

    Städteplaner bezeichnen Kirchen gerne als Landmarken und wichtige Bestandteile einer Stadt, für Albert Gerhards hingegen sind sie immer auch Raummarken der Transzendenz. Hier finde Begegnung statt: Gottesbegegnung, Begegnung mit dem Nächsten und sich selbst. In diesem Sinne bleibe ein ehemaliges Kirchengebäude sakral, auch wenn es kirchenrechtlich durch den Ritus der Profanierung "entweiht" werde.

    "Da wird ein bischöflicher Rechtsakt gesetzt und der wird in einem Gottesdienst verkündet und damit ist diese Kirche nach Kirchenrecht keine Kirche mehr. Und das widerspricht dem Empfinden der Menschen, für die dieser Raum ein sakraler Raum war, weil er Raum religiöser Erfahrung war. Insofern ist das Empfinden der Leute richtungsweisender und letztlich gescheiter, weil sie empfinden, dass Sakralität eine Würde bedeutet, die man nicht wegnehmen kann."

    Wie schwer einer Gemeinde die Aufgabe eines Kirchengebäudes fällt, erlebt Michael Kornowski beinah tagtäglich. Der Immobilienmakler hat vor einigen Jahren das Internetportal Kirchenkauf24 ins Leben gerufen und sich seitdem auf den Verkauf von ehemaligen Gotteshäusern spezialisiert. In der Regel wird er erst im Auftrag einer Gemeinde aktiv. Sein Büro in Seelze bei Hannover war früher ein neuapostolisches Gemeindehaus. Von hier aus betreut er derzeit rund 50 Kirchenimmobilien in ganz Deutschland. Noch übersteigt das Angebot die Nachfrage:

    "Das sensible Geschäft an dieser Stelle ist, sehr behutsam mit dem Gebäude eine Projektentwicklung vorzunehmen, um eine Lösung zu finden, mit der die Gemeinde leben kann, zum Beispiel eine Freikirche, die sagen, wir suchen so etwas. Oder ein Arzt, ein Physiotherapeut, unter dem großen Begriff des Heilens, das finden viele auch recht schön. Es gibt aber auch Kunden, die sagen, sie wollen irgendetwas draus machen, Profit, Rendite. Da müssen wir gucken, dass das Thema passt, und wir keine Verletzung bei der Gemeinde hervorrufen. Es ist kein schnelles Geschäft, sondern eines, das auch mit Nachhaltigkeit versehen sein sollte."

    Über den Käufer entscheiden evangelischen Gemeinden letztendlich selbst. In der katholischen Kirche bestimmt der Ortsbischof mit. Die offizielle Empfehlung der Deutsche Bischofskonferenz: Als Nachmieter zuallererst willkommen sind christliche Konfessionen, tabu sind etwa muslimische Gemeinden – aufgrund der Symbolwirkung, wie es heißt. Begrüßt werden soziale, kulturellen oder gar kommerzielle Umnutzungen, sofern sie mit der Würde des ehemaligen Gotteshauses im Einklang stehen.

    Auch wenn Supermärkte, Diskotheken oder Autohäuser bisher nur in niederländischen und belgischen Kirchen eingezogen sind, so gibt es auch hierzulande umstrittene Umwidmungen. Im brandenburgischen Milow etwa beherbergt die einstige Dorfkirche heute eine Sparkasse. Ganz anders die umgewidmete Kirche Sankt Josef in Aachen.

    Ein schmaler Wasserlauf auf dem Boden folgt dort heute dem Gefälle des Kirchenschiffs, links und rechts ein symbolischer Wald aus meterhohen Beton-Stelen, darin eingelassen: quaderförmige Gedenksteine. Sankt Josef musste nicht profaniert, sondern lediglich umgewidmet werden – zum Kolumbarium für Urnengräber. Deren Verkauf sichert den Unterhalt des Gebäudes. Gabriele Eichelmann ist hier Pastoralreferentin. Sie begrüßt, dass Kirchen so weiterhin Kirchen bleiben können – Grabeskirchen:

    "Die Josefskirche ist zwar keine Fachkirche mehr, aber sie erzählt von der Hoffnung an die Auferstehung. Sie arbeitet mit den alten Attributen, die man mit Kirche verbindet: Es läutet, es gibt Kerzenbänke, sie ist nach wie vor ein Gebäude, das als Kirche, ja sogar als heiliger Ort wahrgenommen wird. Denn die Leute senken auf einmal ihre Stimme und verändern ihren Schritt."

    Mit Kolumbarien in Kirchen antwortet die katholische Kirche auch auf ein neues gesellschaftliches Bedürfnis. Denn Feuerbestattungen liegen vor allem in Großstädten im Trend. Allerdings eignet sich nicht jede aufgegebene Kirche für eine Grabeskirche. Um angemessene Lösungen zu finden, brauche es, so Liturgieprofessor Gerhards vor allem mehr engagierte Menschen – wie in vielen Teilen Ostdeutschlands.

    "Nach der Wende stellte sich ja heraus, dass es etwa in der Mark Brandenburg eine große Zahl von Dorfkirchen gibt und hier hat sich ein erstaunliches Phänomen gezeigt: Dass Leute, die ansonsten nie eine kirchlich Bindung hatten, sich für den Erhalt stark gemacht haben. Daraus entstand eine ganze Bewegung, von der man sich wünscht, dass sie auch im Westen Fuß fassen würde. Nämlich dass wir solche Räume brauchen, die einfach da sind, die für jeden bereit stehen, wenn er Stille sucht oder wie auch immer. Hier haben die Kirchen eine Chance, sich zu positionieren und anzubieten, was kaum eine andere Institution anbieten kann."