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Salām Syria - Festival in Hamburg
Hommage an musikalischen Schmelztiegel

Noch 2008 war Damaskus "Kulturhauptstadt der arabischen Welt"; und Syrien selbst faszinierte als musikalischer Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen. Dann kam der Bürgerkrieg, vor dem zahllose Musikschaffende aus dem Land flohen. Was ist vom faszinierenden Musikland geblieben? Dieser Frage geht das Salām Syria - Festival in Hamburg nach.

Von Markus Stäbler | 20.03.2017
    Der Projektchor Salam Syria und das Syrian Expat Philharmonic Orchestra bei Proben in der Hamburger Elbphilharmonie
    Proben für das Festival: der Projektchor Salam Syria und das Syrian Expat Philharmonic Orchestra (Volker Michael)
    Musik: Allala
    Westlicher Jazz trifft auf arabische Melodien, satter Bläsersound auf die zarte Ney-Flöte oder die Kastenzither Kanun. Gleich mit dem Eröffnungskonzert der NDR und der Syrian Bigband am Donnerstag stellte das Festival "Salam Syria" die Weichen: Das Programm rückte den interkulturellen Austausch und die Neugier ins Zentrum, wie der Klarinettist Kinan Azmeh erklärt.
    "Es ist gut zu wissen, dass Menschen gespannt darauf sind, wo man herkommt. Welche Sprache man spricht, welche Musik man hört. Man fühlt sich sofort respektiert, wenn jemand danach fragt. Das Festival repräsentiert diese Haltung. Die Offenheit, dass Menschen sagen: wir würden gern von Dir hören. Was hast Du uns zu sagen?"
    Musik: Azmeh, Suite
    Kinan Azmeh selbst hatte einiges zu sagen. Als Residenzkünstler war er die Hauptperson des Festivals und an allen drei Tagen präsent. Dabei demonstrierte der in den USA lebende Syrer seinen musikalischen Feinsinn, seine beeindruckende Virtuosität und eine große stilistische Offenheit – auch als Komponist, mit seiner 2007 entstandenen Suite für Orchester und Solisten, die am zweiten Abend erklang. Das Stück verwischt alle Trennlinien zwischen komponierter und improvisierter Musik, zwischen abendländischer und arabischer Kultur.
    "Ich habe mein ganzes Leben Bach, Mozart und Brahms studiert – deshalb habe ich zu dieser Musik eine enge Beziehung, genauso wie zur traditionellen syrischen Musik oder dem Jazz. Je mehr Sprachen man spricht, desto sensibler kann man sein."
    Musik: Azmeh, Suite
    Azmehs Suite mixt Eindrücke aus dem New Yorker Stadtteil Harlem mit syrischen Einflüssen zu einer vielfarbigen Weltmusik. Im Finale feiert das Stück das überschäumende Temperament einer Hochzeitsparty auf dem Land. Ein Höhepunkt des Orchesterkonzerts unter Leitung von Michael Boder - ebenso wie ein Stück der Sängerin und Komponistin Dima Orsho für die vergessenen Menschen am Ufer des Eufrat. Orsho schlägt dort einen ganz anderen Ton an: Sie verbindet ihre Stimme und den Gesang des Altus Kai Wessel zu einem anrührenden Duett, mit arabisch gefärbten Melodien und einem fast barock anmutenden Klageton.
    Musik: Orsho, Those Forgotten on the Banks of the Euphrat
    Die Idee der interkulturellen Begegnung spiegelte sich auch in der Besetzung des Orchesters. Dort saßen Studenten der Hamburger Hochschule Pult an Pult mit Mitgliedern des Syrian Expat Philharmonic Orchestra. Der junge Klangkörper ist 2015 entstanden, auf Initiative des Kontrabassisten Raed Jazbeh.
    "Das Syrian Expar Philharmonic Orchestra vereint professionelle syrische Musiker, die in Europa leben, um klassische sinfonische Musik von syrischen Komponisten zu spielen."
    Musik: al-Wadi, Love Poem
    "Dieses Orchester hat eine sehr, sehr starke Botschaft an die Welt: Dass Syrien nicht bloß das Gesicht des Krieges ist, sondern auch ein Gesicht der Liebe, des Lebens, der Kultur und der Künste. Eigentlich ist das das wahre Syrien."
    Musik: Volkslied Fog Elna Khel
    Dieses Gesicht zeigte das Orchester auch bei einer Aufführung von drei traditionellen arabischen Liebesliedern, mit dem Salam Syria-Projektchor: Ein Ensemble aus je 30 jungen Erwachsenen aus Syrien und aus Hamburg, das eigens für das Festival gegründet wurde. In sechsmonatiger Probenarbeit hat der Chorleiter Jörg Mall die zunächst sehr fremden Gesangs- und Hörtraditionen zusammen geführt.
    "Das war ein großes Fragezeichen für uns, wie wir das hinbekommen, aber ich finde für dieses knappe halbe Jahr hat sich doch so etwas wie ein gemeinsamer Chorklang entwickelt."
    So gemischt wie die Besetzung auf der Bühne war auch das Publikum. Mit einem Spezialprogramm wie "Salam Syria" spricht die Elbphilharmonie ganz bewusst auch Besucher abseits der Klassik-Stammgäste an – und im Rahmen seines seit 2015 bestehenden "Konzertpaten"-Projekts hat das Haus an drei Festivaltagen außerdem rund 460 Geflüchtete eingeladen, darunter viele Menschen aus arabischen Ländern. Dass die syrische Musik für einen Teil des Publikums ein Stück Heimat nach Hamburg brachte, war etwa beim Auftritt des großartigen Sängers Ibrahim Keivo zu erleben.
    Musik, Keivo
    Das mehrsprachige Programm von Ibrahim Keivo schöpfte aus einem Reichtum von über 4000 Jahren Musikgeschichte und reichte vom beduinischen Tanzlied bis zur altaramäischen Liebeshymne. Damit gab Keivo einen Einblick in die lebendige Vielfalt der syrischen Musik. Die fasziniert auch Michael Dreyer, Gründer des Morgenland-Festivals in Osnabrück, der das Festival "Salam Syria" für die Elbphilharmonie kuratiert hat.
    "Der Nordosten von Syrien, dieses Mesopotamien, ist ein unglaublicher Melting Pot an Kulturen. Das ist eben armenische und kurdische und assyrische und die frühchristliche Musik, die Musik von den Beduinen – man hört gar nicht auf zu staunen, wenn man da reist. All diese Einflüsse machen am Ende die syrische Musik."
    Musik lebt von ihren ganz unterschiedlichen Einflüssen. Sie hält sich nicht an Landesgrenzen und kann Menschen aus verschiedenen Kulturen miteinander verbinden. Diese Botschaft sendete das Festival auch mit dem Abschlusskonzert. Dort vereinte der Residenzkünstler Kinan Azmeh Weltklassemusiker wie den französischen Serpentspieler Michel Godard, den deutschen Akkordeonisten Manfred Leuchter und die armenische Duduk-Legende Jivan Gasparyan zu einem multinationalen Ensemble. Ihr Zusammenspiel macht die Musik zur Grundlage einer Kommunikation, die ein respektvolles Miteinander schafft.
    "Musik ist eine der wenigen Sprachen, in der man gleichzeitig Reden und Zuhören kann. Durch Musik versteht man sofort, wo man sich zurücknehmen sollte oder das Wort ergreifen muss. Man entwickelt eine Sensibilität, die einem generell im Leben hilft."
    Musik: Improvisation