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Salzburger Festspielsommer
Jedermann ist Großkapitalist

Immer dabei, immer ausverkauft: Die Salzburger Festspiele sind ohne den "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal undenkbar. Doch in diesem Jahr sprang das geplante Regieteam kurzfristig ab. Am Plan, das Stück neu zu inszenieren, hat die Festivalleitung trotzdem festgehalten.

Von Karin Fischer | 22.07.2017
    Der Schauspieler Tobias Moretti, aufgenommen am 30.06.2014 in München (Bayern) beim Filmfest München
    Tobias Moretti gibt den "Jedermann" in Salzburg als einen Menschen ganz von heute (dpa)
    Der Wettergott hatte abends ferne Blitze und dunkle Wolken über Salzburg gehängt, pünktlich vor Beginn brach ein Gewitter los, die Vorstellung musste ins Festspielhaus verlegt werden. Dort die Domglocken aus Lautsprechern scheppern zu hören, ist ein eher missliches Vergnügen, aber bald nach der Ouvertüre mit Blech und Geigen, überraschend frühen "Jedermann"-Rufen und dem Vorspiel vor künstlicher Domkulisse wird klar, warum der Himmel weinte: "Jedermann" hat den Salzburger Dom gekauft! Ein riesiges Bett entweiht das Gotteshaus; die Heiligen sind schon abgeräumt, ein paar Glocken stehen dekorativ im Raum, die Nische, in der das Taufbecken steht, soll das Badhaus werden in diesem "Tempel der Lüste".
    Der Mammon ist ein Zotteltier
    Gott holt hier einen zynischen, gott- und geschichtsvergessenen Großkapitalisten, und völlig zu Recht, lautet die überzeugende antikapitalistische Neuinterpretation der Geschichte. Und in der Tat klingt Tobias Morettis spätere Rede über Geld wie eine feinsinnige Argumentation gegen die Reichensteuer. Die Frau des Schuldners ist keineswegs arm, sie trägt edles Kostüm und auf glitzernden High Heels.
    Auch die Festgesellschaft besteht aus Figuren, die wie bonbonfarbene, paillettenbesetze Petit-Fours aussehen. Höhepunkt der Glitzershow: Der Mammon ist ein Zotteltier aus goldenem Lametta. Nur leider sieht auch das pfirsichfarbene Kleid der neuen Buhlschaft Stefanie Reinsperger aus wie ein zerrupftes rosafarbenes Eisbärfell. Der wuchtige Auftritt passt zwar zu ihrem Typ, nicht aber zu ihrer Rolle, die hier von Anfang an auf das eher intime Zwiegespräch angelegt ist.
    Sex-Appeal, das Flirrende einer jungen Frau - Fehlanzeige, dieses Verhältnis ist abgeklärt und soll womöglich tief sein - es kommt nur nicht über die Rampe.
    Ein Fest für Schauspieler
    Der "Jedermann" versammelt immer schon Klasse-Schauspieler, die wie irre gegen die hölzern knarrende Sprache anspielen. In diesem Jahr sind das zum Beispiel Edith Clever als innig besorgte Mutter und Mavie Hörbiger als sensationell bemitleidenswerte Werke.
    Zu Recht umjubelt: der österreichische Film- und Bühnenstar Tobias Moretti. Sein "Jedermann" ist ein Mensch ganz von heute: schwerreich, schlau, a bisserl schlimm. Kein donnernder Lebemann wie Peter Simonischek, kein volkstümlicher Spezi wie Nicolas Ofcarek. Die Todesdrohung überfällt ihn wie eine Krankheit im Kopf, er winselt und krümmt sich auf dem Boden auf einer Bühne, die jetzt eine glatte Schräge wird und vor dem reichen Mann schon mal sein Mobiliar in den Abgrund reißt. Die Ausstattung ist modisch edel, man arbeitet zum ersten Mal überhaupt mit einem leichten Vorhang, schick leuchtenden LEDs und Schriftzeichen zur Stimme Gottes.
    Regisseur Michael Sturminger hat zuletzt mit John Malkovich das Stück "Call me God" inszeniert, er hat Opern- und Festspielerfahrung und ist alles andere als ein "Einspringer" für Salzburg. Seine Inszenierung hält der High Society einen gut polierten Spiegel vor. Allerdings fehlt ihr ohne die Domkulisse dann doch jene Erhabenheit, die so regelmäßig aus dem alten Klassiker ein auch heute brauchbares Gesamtkunstwerk macht. Eine profane Bitte deshalb zum Schluss: Festspielbesucher, tut gute Werke, damit die nächste Aufführung nicht wieder ins Wasser fällt!