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Samantha Power zum Verhältnis USA-Russland
"Konstruktive Zusammenarbeit, aber auch Misstrauen"

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen sieht Verbesserungen in der Zusammenarbeit mit Russland. Samantha Power sagte im Deutschlandfunk, man arbeite in verschiedenen Bereichen gut zusammen. Auf anderen Feldern gebe es dagegen eine Kluft - zum Beispiel, was den Krieg in Syrien und die Besetzung der Krim angehe.

Samantha Power im Gespräch mit Klaus Remme | 09.06.2016
    Samantha Power im Gespräch
    Samantha Power, US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, informierte sich am Mittwoch in Berlin in einer Diskussionsrunde mit Flüchtlingen und Mitarbeitern ziviler Organisationen. (dpa / Rainer Jensen)
    Klaus Remme: Ein Flüchtlingsprojekt mitten in Neukölln. Dort hat Samantha Power eineinhalb Stunden mit Flüchtlingen, viele von ihnen aus Syrien, gesprochen. Mit diesen Eindrücken kommt sie zum Interview. Abgesehen von Zwischenfragen hat die amerikanische UNO-Botschafterin vor allem zugehört. Eine schlichte Frage der Flüchtlinge lautete: Warum müssen unsere Kinder im Mittelmeer ertrinken? Samantha Power, warum?
    Samantha Power: Kein einziges Kind sollte im Mittelmeer ertrinken müssen. Alle Kinder sollten die Möglichkeit haben, die Schulen zu besuchen. Kein Kind sollte in Angst vor Fassbomben- oder Chemiewaffen-Angriffen leben müssen. Leider haben wir es mit einem der brutalsten Regimes überhaupt zu tun, mit diesem Assad-Regime. Es ist ganz wesentlich, den Krieg zu beenden, um den Kindern ein Leben frei von Terror zu ermöglichen und um die Familien nicht in die Lage zu bringen, dass sie ihr Schicksal Schleppern anvertrauen, denen ihre Interessen völlig egal sind.
    Remme: Viele Flüchtlinge kommen von Subsahara durch Niger nach Libyen und steigen dann in die Boote. Sie haben seinerzeit intensiv für die Intervention in Libyen geworben. Haben Sie Präsident Obama geholfen, wie er selbst sagt, seinen größten Fehler zu machen?
    Power: Präsident Obama nannte die Intervention in Libyen nicht seinen größten politischen Fehler. Ganz im Gegenteil. Im Übrigen werde ich hier nicht über vertraulich gegebene Ratschläge an den Präsidenten sprechen können.
    Remme: In der Tat hat der Präsident nicht die Intervention selbst, sondern die Tatsache, dass es danach keinen politischen Plan gab, als größten Fehler bezeichnet. Dennoch: War die Intervention aus Ihrer Sicht richtig?
    Power: Sollte irgendjemand der Meinung sein, dass Muammar al-Gaddafi sein eigenes Volk in die Unterwürfigkeit hätte zurückzwängen können und es hätte brutalisieren können, dann würde der nicht berücksichtigen, wie die menschliche Seele funktioniert. Sobald einmal diese Rebellion in Gang gekommen war, ließ sie sich nicht mehr zurückdrehen. Es konnte keinen Weg in eine vermeintliche idyllische Zeit vor dem Arabischen Frühling geben. Die Bestrebungen in Libyen waren entfesselt worden und die Intervention, die Präsident Obama, das Vereinigte Königreich, Frankreich und andere Mächte, unterstützt von der NATO, der Arabischen Liga und dem UN-Sicherheitsrat eingeleitet haben, waren mit dem damaligen Wissen das Bestmögliche, was damals zu tun war.
    Remme: Denken Sie über die deutsche Enthaltung 2011 im Sicherheitsrat heute anders als damals?
    Power: Ich glaube, entscheidend ist, dass der UNO-Sicherheitsrat damals mit überwältigender Mehrheit zur Unterstützung der Schutzmaßnahmen für die notleidende Bevölkerung gestimmt hat. Das war damals mein Hauptaugenmerk, und das ist es auch heute noch.
    Kissinger erteilt Ratschläge
    Remme: Sie haben den Henry-Kissinger-Preis bekommen. Wenn ich an andere Preisträger denke - George Shultz, James Baker, Hans-Dietrich Genscher, Helmut Schmidt - diese Generation hat persönliche Erinnerungen an den Krieg, nicht nur an den Kalten Krieg gehabt. Wie stark wiegt der Verlust darüber, dass diese Generation nicht mehr aktiv ist in der Politik?
    Power: Einige von Ihnen gibt es noch. Der 93 Jahre alte Dr. Kissinger erteilt mir sehr notwendige, konstruktive und wichtige Ratschläge jedes Mal, fast jede Woche, wenn wir zufällig zusammen in New York sind. Dennoch zielt Ihre Frage auf einen richtigen Kern, denn damals war es eine Zeit, in der es noch parteiübergreifend Stimmen gab, die sich in die internationale Landschaft einbrachten. Das verband die Demokraten wie die Republikaner. Und es gab auch gewisse Grundüberzeugungen, die Menschen über alle Lager hinweg einten, möglicherweise als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg sowie auch aus der Erfahrung, die man aus dem Aufbau einer Nachkriegsarchitektur gewonnen hatte, wie zum Beispiel, dass die NATO unerlässlich sei, um unsere kollektive Sicherheit zu garantieren, oder dass es notwendig ist, die Atomwaffen abzubauen im Interesse einer kollektiven Friedensordnung. Das sind Grundsätze, an denen man nicht rütteln sollte, an denen heute aber tatsächlich gerüttelt wird.
    Remme: Sie sind in den 70ern und 80ern aufgewachsen, im Kalten Krieg. Sehen Sie Analogien zwischen der Konfrontation zwischen dem Westen und der Sowjetunion damals und den Differenzen mit Russland heute?
    "Ich sehe den russischen Botschafter häufiger als meinen Mann"
    Power: Ich spreche regelmäßig mit Russland. Ich sehe den russischen Botschafter häufiger als meinen Mann und meine Kinder und kann Ihnen deshalb sagen, die Lage hat sich grundsätzlich geändert. Wir arbeiten konstruktiv auf verschiedenen Feldern zusammen wie zum Beispiel im Zusammenarbeiten für eine internationale Friedensordnung, oder auch bei der Verhängung von sehr robusten Sanktionen gegen Nordkorea nach dem fünften Atomwaffentest. Es ist unumwunden einzuräumen, dass es Spaltungen gibt, Misstrauen, auch eine Kluft zwischen uns, insbesondere in der Frage, wie politische Stabilität in Syrien herbeizuführen ist. Was die Ukraine angeht, so ist festzuhalten, dass hier internationale Regeln mit Füßen getreten worden sind, auf eine Weise, die nicht nur das ukrainische Volk, die Menschen in der Krim beeinträchtigt, sondern die auch Grundsätze der internationalen Gemeinschaft verletzen, die eigentlich geheiligt sein müssten, wie zum Beispiel, dass man die Grenzen zwischen den Staaten achtet und nicht Stück um Stück eines fremden Territoriums sich aneignet.
    Remme: Der NATO-Gipfel steht vor der Tür. Das Zwei-Prozent-Ausgaben-Ziel wird von vielen europäischen Partnern nicht erreicht. Ist das ein Fehler?
    Power: Ja, es ist ein großer Fehler, ein Fehler, der auch so nicht beigehalten werden darf. Angesichts der Bedrohungen, angesichts der vielen Orte, an denen wir tätig werden müssen, lässt sich das Ganze nicht zum Billigtarif haben, und deswegen brauchen wir die nötigen Mittel, um diese Aufgaben zu bewältigen, um schwachen Staaten beizustehen, um den Terrorismus zu bekämpfen. Sie gehen ganz erhebliche Risiken ein, etwa wenn Sie Boko Haram in Nordnigeria bekämpfen oder ISIS oder die Taliban in Irak und Afghanistan bekämpfen. Sie erleiden sehr viele Opfer, und wir müssen aus diesem Grunde ihnen mit Ausbildung und Unterstützung beiseitestehen. Um aber diese Anstrengungen nachhaltig machen zu können, müssen wir auch die nötigen Mittel bereitstellen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.