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Sammeln, suchen, entwickeln lassen
Wie wissenschaftliche Sammlungen entstehen

Gesammelt, gestiftet oder speziell für ein Forschungsprojekt hergestellt: Wissenschaftliche Sammlungen entstehen auf sehr unterschiedlichen Wegen. Die Uni Bonn hat 30 solcher Sammlungen, wovon zwölf in Museen gezeigt werden. Und künftig soll das Interesse an diesen Sammlungen noch mehr gestärkt werden: mit einem speziellen Studiengang.

Von Andrea Lueg | 25.07.2015
    "Das ist das Abgangszeugnis von Karl Marx. Marx hat von 1836 bis _38 hier studiert."
    Thomas Becker, der Sammlungsbeauftragte der Uni Bonn zeigt das wohl populärste Stück des Universitätsmuseums. Besonders bei den Studierenden unter den Besuchern bemerkt er eine große Begeisterung für das Objekt. Auf Marx' Zeugnis stehen nicht etwa Noten, sondern eine Beurteilung des Studenten in "sittlicher und ökonomischer Rücksicht."
    "Bei Marx steht: Hinsichtlich seines Verhaltens ist zu bemerken, dass er wegen nächtlichen ruhestörenden Lärmens und Trunkenheit sich eintägige Karzerstrafe zugezogen hat."
    Im Bonner Universitätsmuseum sind nur Objekte zu sehen, die direkt mit der Geschichte der Hochschule zu tun haben, wie eben das Zeugnis von Marx.
    "Spannend ist übrigens auch das da drüben, das ist der sogenannte Lotuseffekt."
    Ein Botaniker der Uni Bonn hat festgestellt, dass Lotusblätter eigentlich niemals richtig schmutzig werden, das hat mit der Struktur ihrer Oberfläche zu tun. Er hat überlegt, was man mit dieser Erkenntnis anfangen kann und weil er Kontakte zur Wirtschaft hatte, sind daraus interessante Produkte entstanden. Zum Beispiel Fassadenfarben oder Dachziegel, die nicht mehr so stark verschmutzen
    "Und dann haben wir wunderbare Sachen hier, die aber leider erst als Prototyp bestehen, wir haben hier einen Honiglöffel, von dem der Honig völlig rückstandslos abläuft, also den brauchen Sie eigentlich nicht in die Spülmaschine zu tun."
    Vom Gipsabdruck bis zum High-Tech-Gerät
    Insgesamt hat die Uni aber über 30 Sammlungen. Die reichen von Gipsabdrücken antiker Statuen über paläontologische Funde bis hin zu medizinischen Geräten.
    Mit der Gründung der Bonner Uni 1818 wurden die meisten Sammlungen schon angelegt. Aber einen großen und wertvollen Grundstock verschaffte sie sich mit einem Coup. Es gelang ihr nämlich mittels diverser Tricks 1819 den Präsidenten der Leopoldina, einer Gesellschaft von Naturwissenschaftlern aus dem 16. Jahrhundert, von Erlangen nach Bonn zu holen.
    Indiana Jones ist eher die Ausnahme
    Damals war es üblich, dass mit dem Präsidenten der Leopoldina auch deren Besitz wechselte. So kamen deren wertvolle Bibliothek und umfangreiche naturwissenschaftliche Sammlungen nach Bonn. Davon profitiert die Uni bis heute, macht die Sammlungen aber auch für möglichst viele Menschen nutzbar.
    "Sammlungen kommen auf sehr unterschiedlichen Wegen zustande und das, was man sich so vorstellt, à la Indiana Jones, das ist wohl eher die Ausnahme. Wir haben einzelne Stücke, die in Forschungsprojekten gesammelt worden sind, aber es sind eben vielfach auch Dinge durch Schenkung gekommen, durch Tausch, durch Kauf oder eben durch eine stetige Straße von kleinen Sammlungsobjekten, die nach und nach zusammenkommen, nicht von einem großen Sammler, sondern von hundert kleinen."
    Ein bisschen wie bei Indiana Jones war es vielleicht bei der Bonner Altamerika-Sammlung. Deren Gründer, Hermann Trimborn und andere Forscher, brachten von ihren Forschungsreisen nach Mittel- und Südamerika Exponate mit, die sie zum Beispiel auf lokalen Märkten gekauft hatten. So wurde ab 1954 die Sammlung aufgebaut. Zu deren Objekten gehört eine Sammlung von Keru, rituellen Trinkgefäßen aus Peru. Die sind heute noch ein spannendes Studienobjekt für Wissenschaftler, so Karoline Noack von der Bonner Altamerika-Sammlung.
    "Für uns ist diese Sammlung die Gelegenheit, Forscher aus dem Inland und aus dem Ausland nach Bonn zu holen, damit die Objekte hier bearbeitet werden."
    Der Anthropologe José Luis Martinez von der Universität Santiago de Chile zum Beispiel kam deshalb nach Bonn.
    "Die Kerus sind sehr alt, aber sie wurden auch bis vor Kurzem noch hergestellt, es gibt einen Zeitraum von 500-600 Jahren in denen sie produziert worden sind, und sie sind eine hervorragende Quelle, um sowohl die Inkaische Gesellschaft, als auch die aktuelle Gesellschaft in den Anden kennenzulernen."
    Neben den Objekten, die gesammelt wurden, gibt es solche, die man bewusst angelegt hat.
    "Das wäre der Fall bei den sogenannten Moulagen, das heißt Wachsmodellen, die man in medizinischen Vorlesungen gebraucht hat zur Demonstration von Krankheitssymptomen."
    Als man die Moulagen für Lehr- und Forschungszwecke nicht mehr brauchte, weil es Fotos und Filme gab, verschwanden sie in einem Keller. Deshalb sind sie jetzt noch so gut erhalten – und tun heute wieder gute Dienste.
    Aus der Vergangenheit lernen
    In der Bonner Uni-Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten, wo die Moulagen aufbewahrt werden zeigt Kuratorin Béatrice Bieber den Abdruck eines Mundes mit großen entzündeten Stellen.
    "Das aktuelle Objekt zeigt die Darstellung des Mundes einer 20-jährigen Dame, die sich an Syphilis infiziert hat und das Objekt ist aus zwei Gründen aktuell, zum einen ist es fast hundert Jahre alt, das Objekt ist von 1916 und das Zweite ist, das die Syphilis wieder auf dem Vormarsch ist, es gibt wieder wesentlich mehr Neu-Erkrankungen pro Jahr und die Öffentlichkeit ist kaum dafür sensibilisiert, deswegen ist es spannend, sich das Objekt anzuschauen, auch für Ärzte, die immer seltener Syphilis gesehen haben in der Vergangenheit und jetzt aber wieder sehen werden."
    Sowohl die Moulagen als auch die vielen anderen Objekte der wissenschaftlichen Sammlungen sollen einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Und:
    "Wir nutzen das, indem wir ab dem nächsten Semester hier einen Weiterbildungsstudiengang anbieten, Museumsstudien, wo wir eben auch unsere Museen zusammen mit den anderen großen Museen hier in der Region einbringen wollen."