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Sammlung Victor Chocquet
Der mittellose Kunst-Entdecker

Der Zollbeamte Victor Chocquet sammelte mit bescheidenen Geldmitteln Gemälde von Künstlern, als diese in Paris noch verachtet wurden: Renoir, Cézanne, Monet, Delacroi. Die Sammlung Oskar Reinhart in Winterthur zeigt sie nun in einer Ausstellung.

Von Christian Gampert | 21.02.2015
    Das Bildnis der Madame Chocquet kennt (fast) jeder: In einem Kleid aus weißer Mousseline sitzt sie da, die Haare hochgesteckt, dem Betrachter frontal zugewandt. Auguste Renoir hat es 1875 gemalt, auf Bitten des Gatten Victor Chocquet – heute gehört es zu den Inkunabeln der Stuttgarter Staatsgalerie.
    Über den Ehemann der Portraitierten, Victor Chocquet, war bislang eher wenig bekannt: Ein kleiner Zollbeamter, der sich früh für die Impressionisten begeisterte und trotz bescheidener Geldmittel schon in den 1870iger-Jahren deren Gemälde kaufte. Das ging natürlich nur, weil die neue Bewegung damals in Paris eher verachtet wurde und die Bilder entsprechend günstig waren. Zudem war Chocquet mit den Künstlern eng befreundet, sagt die Leiterin der "Sammlung am Römerholz", Mariantonia Reinhard-Felice.
    "Renoir hat ihn bei Cézanne eingeführt, und sofort hat er ein erstes Werk gekauft, diese "Trois Baigneuses", die wir hier zeigen, ein winziges Bild."
    Auch Victor Chocquet wurde von Renoir portraitiert – im Gegensatz zu seiner repräsentativen Frau wirkt er bescheiden und leicht verwahrlost, flackernder Blick, ein eher ungepflegter Bart, wirre graue Haare, Denkerpose. Renoir arbeitet das mit der ihm eigenen Leichtigkeit heraus – und der Zufall will es, dass dieses Bild sehr viel später von Oskar Reinhart gekauft wurde.
    Hier stoßen also zwei ganz unterschiedliche Sammler-Typen aufeinander: Oskar Reinhart, der reiche, gebildete Fabrikant, der ab 1910/20 begann, eine museale Sammlung aufzubauen – wer heute die Villa am Römerholz betritt, der befindet sich im Gral des Impressionismus und seiner Vor- und Nachfahren. Und Victor Chocquet, der Fanatiker der Frühphase, der eher aus dem Bauch heraus sammelte, aber ein Sensorium für das umstürzend Neue besaß.
    "Wie er zur Malerei gekommen ist, das weiß man nicht genau. Aber es muss alles intuitiv gewesen sein. Er hat zuerst die Malerei von Delacroix entdeckt. Und er hat in Delacroix vor allem dessen Modernität erkannt."
    Delacroix mit seinem sich schon von den Gegenständen entfernenden, wildem Strich ist der erste Held Chocquets. Es folgen der Atmosphäriker Renoir und der damalige Außenseiter Cézanne. Die Ausstellung beginnt mit den Porträts - der präzise Cézanne sah seinen Förderer Chocquet eher als durchsetzungsstark. Dann Stillleben, Grafik und ein Raum, der dem reifen Cézanne gewidmet ist, das schimmernde Grün der Wälder neben der "Pont de Maincy", die von der Natur zugedeckten Häuser in der Normandie. Eines davon gehörte auch Chocquet, der inzwischen geerbt hatte.
    Das alles ist in den Seitenflügeln um die Sammlung Reinhart mit ihren Corots, Courbets und van Goghs heruminszeniert, sodass sich überraschende Bezüge ergeben. Man sieht zum Beispiel Paul Cézannes "La neige fondante à Fontainebleau" aus der Sammlung Chocquet, bläulich schimmernder, wegtauender Schnee im Wald – und als Referenz hängt die Kuratorin Monets flirrend-abstrahierte, schneeführende "Seine bei Véteuil" in die Sichtachse; Monet muss das Cézanne-Bild gekannt haben.
    Es gibt – aus der Sammlung Chocquet – ein überraschend sinnliches Stillleben von Monet, eine zupackend-düstere, heranflutende Meerlandschaft von Manet, wilde Skizzen von Delacroix, der Chocquet erst auf die Spur der Moderne brachte. Dass all diese Bilder hier versammelt sind, ist ein kleines Wunder – sie sind auf die besten Museen der Welt verteilt und kommen jetzt aus Houston, Richmond, Columbus, dem Metropolitan Museum in New York, dem Musée d'Orsay und sofort. Die Sammlung Römerholz kann sich nicht revanchieren – sie darf nichts ausleihen.
    Dass man die Sammlung des Victor Chocquet überhaupt rekonstruieren konnte, ist dem Forscherfleiß der Kunsthistorikerin Anne Distel vom Musée d'Orsay zu verdanken: Sie hat die Inventarliste der Sammlung aufgefunden. Nach dem Tod der Eheleute Chocquet wurde die Sammlung 1899 in Paris versteigert; im Römerholz in Winterthur kann man nun erleben, wie der Impressionismus entstand: verkannte Maler, die von einem armen Schlucker gesammelt wurden.
    Ausstellungsinfos:
    "Victor Chocquet - Freund und Sammler der Impressionisten Renoir, Cézanne, Monet, Manet", vom 21. Februar bis 7. Juni 2015, Sammlung Oskar Reinhart "Am Römerholz", Haldenstrasse 95, 8400 Winterthur, Schweiz