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Sandalenfilm gegen Intoleranz

In Alexandria tobt die letzte Schlacht gegen die späthellenistische Aufklärung, christlicher Fundamentalismus verdrängt Lehre und Forschung: In "Agora" schildert Oscarpreisträger Alejandro Amenábar den Kampf einer Märtyrerin der Wissenschaft gegen das Glaubensdiktat: ein Sandalenfilm, der den Kleingeist der Intoleranz anprangert.

Von Josef Schnelle | 11.03.2010
    In Sandalenfilmen, so nennt man antike Historienspektakel nicht erst seit "Ben Hur" oder "Gladiator", haben die Christen meist schlechte Überlebenschancen. Sie landen bestenfalls, ängstlich einer ungewissen Märtyrerzukunft entgegensehend, bei den Löwen im Circus Maximus.

    Der spanische Erfolgsregisseur Alejandro Amenábar knöpft sich in einem ungewöhnlichen Historienschinken etwas völlig Anderes vor. In seiner Geschichte trotzen ein paar aufrechte Rationalisten in der Bibliothek von Alexandria dem heraufziehenden totalitären Ungeist christlicher Fundamentalisten.

    Vielleicht macht es sich Amenábar historisch ein bisschen zu leicht. Und doch ist das meiste, was er in seinem Film zeigt, historisch belegt. In Alexandria tobt jedenfalls die letzte Schlacht gegen die späthellenistische Aufklärung. Schriftrollen mit dem Wissen der Welt werden zerstört und Hypathia, einer Frau, wird ihre Fähigkeit zu Lehre und Forschung aberkannt. Noch ist die "Agora" der Marktplatz der Überzeugungen und Meinungen, aber die Sittenwächter des Patriarchen Cyrill errichten auf den Straßen und Gassen eine Schreckensherrschaft des Glaubensdiktats.

    Mit viel Liebe zum historischen Detail erzählt Amenábar ein gewaltiges Spektakel, bei dem man sich tatsächlich fast 2000 Jahre zurückversetzt fühlen mag. Rachel Weisz spielt die Hypathia als feministische heilige Märtyrerin der Wissenschaft und weiß mit ihrer Begeisterung für die Wahrheiten des Sonnensystems und der Mathematik nicht nur ihre Schüler zu fesseln.

    Amenábar gibt zu Protokoll bei einem nächtlichen Strandbesuch mit einem Gespräch über die Großartigkeit der Milchstraße auf diesen Stoff gestoßen zu sein. Es dürfte aber dann noch einige Überzeugungskraft gekostet haben, diese unzeitgemäße Geschichte mit so großem Aufwand auf die Leinwand zu bringen, zumal das frühe Christentum, zumindest eine erkennbar radikale Fraktion davon, die eher an heutige iranische Revolutionswächter, denn an den rheinischen Katholizismus erinnert, nicht eben gut wegkommt.

    Wahrscheinlich hat sich die letzte Konfrontation zwischen Rationalismus und neuer starker Religiosität auch gar nicht so zugetragen. Hypathia wurde allerdings grausam getötet. Als Vorfahrin der mittelalterlichen Hexen wurde ihr die Haut abgezogen. Die wahre Schließung der letzten neuplatonischen Schule in Athen fand aber erst 150 Jahre später statt. Der Film "Agora" greift unbekümmert in die Klischeekiste, schildert seine Hauptfigur als makellose Frühfeministin ohne Tadel und stellt jegliche Form der Intoleranz an den Pranger. Die Lehrerin Hypatia, als eine Art Priesterin der reinen Wissenschaft, hat vorher reihenweise Bewerber um ihre weltliche Gunst abgewiesen, woraus der Film sein Melodram in antiken Kostümen zu konstruieren weiß. Einer besonders heftigen Nachstellung eines Schülers erwehrt sie sich allerdings reichlich modern mit einem Tuch, das ihre Monatsblutung beweist.

    "Agora" ist ein ganz ungewöhnliches Herzensprojekt von einem der talentiertesten Regisseure des europäischen Kinos. Er vernachlässigt die Schauwerte des Historienfilms nicht, stellt sie sogar gelegentlich etwas zu deutlich heraus. Dann aber widmet er sich wieder interessanten philosophischen und naturwissenschaftlichen Fragen. Der "Untergang des römischen Reiches" widmete sich allein den Fragen der Macht und der Dekadenz. "Ben Hur" ist eine Studie über die Freundschaft und wie sie zerrieben wird unter den Bedingungsproben von Hass und Neid.

    "Cleopatra" überantwortet sich ganz der Macht des Sexus und seines Größenwahns anhand der historischen Konkubinate der spätägyptischen Königin mit Caesar und Antonius. "Agora" ist der erste Sandalenfilm, der die Ordnung des Kosmos preist und den Kleingeist der Intoleranz anprangert. Spannend auf eine ganz neue Art, Geschichte in die Gegenwart transponierend, wie kaum ein Film des Genres zuvor und mutig als Filmprojekt, das nicht einfach Erfolgsformeln nachbetet, ist "Agora" ein Intelligenztest der besonderen Art für die Kinobesucher. Wer diesen Film nicht mag, will nichts wissen über das Leben der Welt.