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Sanktionen gegen Russland
"Das ist kein sehr überzeugendes Vorgehen"

Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber hat die neuen EU-Sanktionen gegen Russland als Minimalkonsens bezeichnet. Der Vize des Wirtschaftsausschusses im EU-Parlament sagte im Deutschlandfunk, jedes Mitgliedsland habe Angst davor, von weitergehenden Sanktionen selbst einen Nachteil zu haben. Nötig sei eine härtere Gangart.

Markus Ferber im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 25.07.2014
    Markus Ferber: Vorsitzender der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament
    Markus Ferber: Vorsitzender der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament (dpa/Karl-Josef Hildenbrand)
    Durch die neuen Sanktionen gegen Russland finde keine Vorverurteilung wegen des mutmaßlichen Flugzeugabschusses in der Ost-Ukraine statt, sagte Ferber im DLF. "Es gibt zurzeit keine Beweise, aber ich glaube nicht, dass jeder Ukrainer im Gartenhäuschen entsprechende Waffensysteme stehen hat, wo man Flugzeuge auf zehn Kilometern Höhe abschießen kann."
    Der stellvertretende Vorsitzendes des Wirtschaftsausschusses im EU-Parlament sagte, er hoffe, "dass Staaten, die sonst alles mögliche aufklären können, die Zugang in fast jedes Handy haben, auch in der Lage sind, festzustellen, von wo aus eine Rakete abgeschossen wurde; ich denke, das müsste im 21. Jahrhundert möglich sein." Unabhängig davon hätte Russland zu einer Deeskalation beitragen können. Da dies ausgeblieben sei, seien weitere Sanktionen im Rahmen der zweiten Stufe gerechtfertigt.
    Für Sanktionen gebe es noch "Luft nach oben", die beschlossenen Maßnahmen seien lediglich ein Minimalkonsens, sagte Ferber. "Jeder hat Angst, stärker von Sanktionen betroffen zu sein, und schlägt Dinge vor, die andere mehr treffen." Es sei "ein bisschen bescheiden, dass man es nur nach dem Motto durchführt, was trifft uns überhaupt nicht als Europäer", sagte der CSU-Politiker. "Wenn man hier beherzt handeln will, dann muss man auch bereit sein, entsprechende Konsequenzen zu tragen - oder man sollte das Thema Sanktionen gar nicht mehr anrühren."

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann Gestern haben die 28 EU-Staaten ein Paket von Strafmaßnahmen gegen Russland beschlossen, als Reaktion auf den mutmaßlichen Abschuss des Fluges MH17 über der Ostukraine. Markus Ferber, wird hier ein ganzes Land vorverurteilt?
    Markus Ferber: Ich glaube nicht, dass es hier um Vorverurteilung geht. Und wenn Sie sich die Qualität der Sanktionen anschauen, dann ist ja durchaus noch Luft nach oben in weiteren Eskalationsstufen, falls es hier zu entsprechenden Belegen kommt.
    Dirk-Oliver Heckmann: Aber Beweise gibt es derzeit nicht.
    Ferber: Es gibt zurzeit keine Beweise. Aber ich glaube nicht, dass jeder Ukrainer im Gartenhäuschen entsprechende Waffensysteme stehen hat, wo man Flugzeuge aus zehn Kilometer Höhe abschießen kann.
    Heckmann: Na ja. Die russische Seite behauptet ja, dass das ukrainische Militär über diese Waffen verfügt, und das tut es ja auch.
    Ferber: Ich will hier keine Spekulationen betreiben. Wenn ich mir anschaue, was da mittlerweile alles durch das Internet kreucht und fleucht an Verschwörungstheorien, dann wird einem Angst und Bange. Und ich hoffe, dass Staaten, die sonst alles mögliche aufklären können, die Zugang in fast jedes Handy haben, auch in der Lage sind festzustellen, von wo aus eine Rakete abgeschossen wurde. Ich denke, das müsste im 21. Jahrhundert möglich sein. Unabhängig davon ist es schon Aufgabe Russlands, einen Beitrag dazu zu leisten, dass eine Deeskalation im Osten der Ukraine stattfindet. Diesen Beitrag leistet Russland nicht, trotz dieser dramatischen und schrecklichen Ereignisse. Und das ist durchaus auch eine Rechtfertigung, hier im Rahmen der zweiten Stufe der Sanktionen weiter voranzugehen.
    Heckmann: Die Liste von Personen, denen ein Einreiseverbot auferlegt und deren Konten eingefroren werden, ist ja erneut verlängert worden. Außerdem kommen 18 Organisationen und Unternehmen auf eine schwarze Liste. Drückt sich die Europäische Union vor wirklich harten Schnitten, wenn man davon ausgeht, dass Russland verantwortlich ist?
    Ferber: Es wird ja noch über weitere Sanktionen verhandelt: Zugang zu Finanzmärkten, Waffenembargo, Embargo von bestimmten Gütern, zum Beispiel bei der Exploration von Gas und Öl. Diese Maßnahmen sind noch in der Diskussion. Die Botschafter werden ja darüber weiter beraten. Aber man bewegt sich immer noch in der zweiten Stufe der schon vor vielen Monaten, im März, beschlossenen Eskalationsstufe, die die Staats- und Regierungschefs seinerzeit festgelegt haben. Von daher ist es doch, wenn man es subsumieren darf, ein Minimalkonsens, der hier erzielt wurde. Und die Diskussionen zeigen ja, jeder hat Angst, von Sanktionen stärker betroffen zu sein, und schlägt Dinge vor, die andere EU-Staaten mehr treffen. Das ist kein sehr überzeugendes Vorgehen, das hier leider in Europa stattfindet.
    Heckmann: Richtige Sanktionen wären Sanktionen gegen ganze Wirtschaftsbereiche. Sie haben die Banken angesprochen, auch den Energiesektor. Traut sich die EU nicht, solche harten Sanktionen wirklich zu ergreifen, weil sie abhängig ist von russischen Milliardären, von russischer Energie?
    Ferber: Das ist ein schwieriger Wirkmechanismus, der da zurzeit zu ergründen ist. Der Zugang zum Kapitalmarkt ist zum Beispiel ein Thema, das einen Bankenplatz besonders betreffen würde. Sie hatten das ja gerade im Beitrag.
    Heckmann: Nämlich London.
    Ferber: Auf der anderen Seite würde die Sperrung dieses Zuganges natürlich den russischen Staat in seiner Handlungsfähigkeit massiv beschränken. Das Embargo von Explorationsmaterial, das nur aus Europa lieferbar ist, ist auch schwer zu umgehen, würde aber auch bestehende Gas- und Öllieferverträge nicht betreffen. Das wäre also leichter beherrschbar. Aber ich finde es schon ein bisschen bescheiden, dass man es nur nach dem Motto durchführt, was trifft uns überhaupt nicht als Europäer. Wenn man hier beherzt handeln will, dann muss man auch bereit sein, entsprechende Konsequenzen zu tragen, oder man soll das Thema Sanktionen gar nicht mehr anrühren.
    Heckmann: Haben Sie den Eindruck, dass Berlin da so beherzt zugreift, wie Sie das sich wünschen?
    Ferber: Ich denke, dass Berlin hier nicht das Problem ist. Wenn Sie die europäische Landkarte sich anschauen, dann haben wir eine bröckelnde Solidarität bei den direkten Nachbarländern. Da werden plötzlich auch andere Themen hervorgehoben. Wir haben in anderen Teilen der Europäischen Union, die geografisch weit weg von der Ukraine liegen, überhaupt kein Verständnis für diese ganze Entwicklung. Von daher ist Berlin ja wirklich ein ehrlicher Makler, wenn es darum geht, ein europäisches Interesse zu formulieren. Deswegen habe ich an der Berliner Situation und an der Berliner Linie nichts zu kritisieren. Ganz im Gegenteil! Berlin versucht, hier wirklich eine sehr konstruktive Rolle einzunehmen und diese verschiedenen Interessen auch zusammenzuhalten, um ein europäisches Interesse zu formulieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.