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Sarrazin weiter für "Volksaktie"

Im Zusammenhang mit der geplanten Teilprivatisierung der Deutschen Bahn hat Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin noch einmal für eine sogenannte Volksaktie geworben. Es sei ein Kompromiss, einen Teil der Bahn samt Netz zu verkaufen, wenn dies in Form von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht geschehe. Im Gegenzug könnte man den Aktionären zum Beispiel eine garantierte Mindestdividende gewähren, regte der SPD-Politiker an.

Moderation: Christiane Kaess | 25.09.2007
    Christiane Kaess: Die Deutsche Bahn macht nicht nur Schlagzeilen wegen der drohenden Streiks nach den gescheiterten Tarifgesprächen mit der Lokführergewerkschaft GDL, auch die Pläne der Teilprivatisierung werden seit Wochen kontrovers diskutiert. Die Fronten verlaufen nicht nur zwischen den Regierungsfraktionen und den Oppositionsparteien, sondern auch innerhalb der Großen Koalition. Erhebliche Bedenken kommen außerdem von den Bundesländern, die der Reform im Bundesrat zustimmen müssen. Heute wollen die Verkehrsminister der Länder beraten. Ein Gegner der Teilprivatisierung, zumindest so wie sie sich Bundesverkehrsminister Tiefensee wünscht, ist der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin, SPD. Von 2000 bis 2001 war er selbst bei der Bahn, zuletzt als Vorstand der DB Netz AG. Guten Tag, Herr Sarrazin!

    Thilo Sarrazin: Guten Tag, Frau Kaess!

    Kaess: Herr Sarrazin, der Bund will die Mehrheit der Anteile behalten. Das Unternehmen Bahn soll aber durch privates Kapital bessere Chancen im internationalen Wettbewerb bekommen. Was ist dagegen einzuwenden?

    Sarrazin: Also dagegen ist gar nichts einzuwenden. Beides ist vernünftig. Man muss nur genau wissen, was man tut und man muss auch jetzt bei der Bahn unterscheiden zwischen dem Teil, der am Markt im Wettbewerb ist und dann gibt es das, was der Staat vorhalten kann. Das ist das Netz. Das ist die Infrastruktur, die 180 Milliarden Euro gekostet hat und jedes Jahr viele Milliarden Euro der Zuschüsse braucht, damit sei weiterhin zur Verfügung steht.

    Kaess: Das Netz bleibt ja auch in der Hand des Bundes nach dem Gesetzvorschlag.

    Sarrazin: Nein, das ist falsch. Da sagt Tiefensee ständig die Unwahrheit. Der Bund behält das, ich sage mal, rechtliche Eigentum am Netz. Das wirtschaftliche Eigentum geht aber an die Bahn. Das wirtschaftliche Eigentum sind aber 99 Prozent vom Eigentum, nämlich dann kann mit der Sache verfahren, wie man will. All das, was ein Eigentümer üblicherweise tut, kann die Bahn mit dem Netz tun, wenn das Netz zusammen mit der Bahn verkauft wird.

    Kaess: Nun haben unter anderem Sie den Vorschlag einer Volksaktie ins Spiel gebracht. Ist das jetzt die politische Notlösung?

    Sarrazin: Eine stimmrechtslose Vorzugsaktie ist der bessere Ausdruck. Dies ist ein Kompromissangebot an die Beteiligten. Auf der einen Seite stehen die, die sagen, das Netz soll staatlich bleiben. Dazu gehöre ich eigentlich auch. Auf der anderen Seite die, die wollen, dass Netz mit verkauft wird. Wenn man jetzt diese beiden an sich unvereinbaren Positionen vereinbaren will, kann man dies tun, indem man sagt, o.k. wir verkaufen einen Teil der Bahn mit Netz, aber nur gegen stimmrechtslose Vorzugsaktien. Zum Beispiel Porsche hat 50 Prozent Vorzugsaktien, was bedeutet, dass nur die Eigentümer die Familien Porsche-Piech über das Unternehmen bestimmen können. Vorzugsaktien heißen deshalb Vorzugsaktien, weil sie zwar nicht stimmen können in der, ich sage mal, Hauptversammlung. Aber sie bekommen dafür bestimmt garantierte Leistungen, zum Beispiel eine bestimmte Mindestdividende.

    Kaess: Das ist genau, das was Sie vorschlagen, diese Vorzugsaktie also mit fester Dividende, aber keinem Stimmrecht. Wir hören uns einmal an, was Bahn-Vorstand Otto Wiesheu dazu gesagt hat im Deutschlandfunk:

    "Es kommt darauf an, was man darunter versteht, wenn mit dem Begriff der Volksaktie die breite Streuung verstanden wird. Dann können wir doch nicht nur nichts dagegen haben, sondern dann ist das ein sehr sinnvoller Kurs. Wenn unter dem Begriff der Volksaktie eine Garantiedividende verstanden wird von fünf Prozent oder mehr pro Jahr, dann können wir uns damit nicht anfreunden, denn dann ist eine Anleihe zu einem fixen Zins das bessere Instrument, weil flexibler und jederzeit rückzahlbar. Man muss schon sehen mit fixen Dividenden, Höhen, hat man doch einen sehr starken Druck. Bei normalen Aktien wird die jährliche Dividende festgelegt, die ich ja nachher draufschlage. Da variiert das und da kann man sich eben nach der wirtschaftlichen Entwicklung pro Jahr richten. Das wäre bei Garantiedividenden etwas anderes. Wenn hier die Volksaktien mit der Garantiedividende verbunden wird, haben wir ein Problem."

    Kaess: Bahn-Vorstand Otto Wiesheu hat also ein Problem wegen des Renditedrucks. Diese Bedenken werden von vielen geteilt.

    Sarrazin: Da muss man sehen, wie man nun eine derartige Aktie ausstattet. Wenn man sie so ausstattet, dass sie ein bisschen mehr kostet als eine öffentliche Anleihe, dann übt dies auf die Bahn keinen übermäßigen Renditedruck aus.

    Kaess: Aber welcher Kleinaktionär würde denn die Volksaktie nach der katastrophalen Erfahrung mit der Telekom-Aktie überhaupt noch kaufen?

    Sarrazin: Es ist ja folgender Unterschied. Die Telekom-Aktie machte zeitweise gar keine Gewinne und wurde wahnsinnig überteuert angeboten. Wenn ein Aktionär sich diese Vorzugsaktie kauft, dann weiß er, er hat immer mindestens das, was eine öffentliche Anleihe auch bringt. Gleichzeitig, weil die Bahn Mehrheitseigentum des Bundes ist, ist sie insolvenzunfähig. Das heißt, er hat einen völlig risikoloses Papier, welches ihm eine, ich sage mal, eine Verzinsung bringt, die mindestens so gut ist, wie eine öffentliche Anleihe, vielleicht aber auch besser, wenn die Gewinne gut sind.

    Kaess: Herr Sarrazin, hätten Sie den Vorschlag der Volksaktie auch gemacht, wenn Sie noch im Vorstand der DB Netz AG säßen, aus dem Sie im Streit mit Bahn-Chef Mehdorn gegangen sind?

    Sarrazin: Damals, da hatte ich ein anderes Modell, das war ja auch ein Anlass unseres Streites. Ich habe damals immer schon gesagt, dass das Netz eine staatliche Aufgabe bleiben muss, schon im Sinne einer staatlichen Aktiengesellschaft, privatrechtlich verwaltet und effizient verwaltet, aber als staatliche Aufgabe. Und deshalb war ich immer, auch damals, dagegen, dass wir das Netz also mit an die Börse geben.

    Kaess: Viele sehen jetzt in Ihren Aussagen eine Retourkutsche gegen Bahn-Chef Mehdorn.

    Sarrazin: Ich meine, man muss erst mal die Aussage selber würdigen. Ich habe meine Position in diesen Fragen niemals geändert. Ich war schon während der ganzen 80er Jahre zuständig für die Bahn beim Bund. Ich habe dort eine 25 Jahre alte Erfahrung. Und aus der heraus habe ich auch immer meine Bewertungen vollzogen. Und wenn jetzt der Herr Mehdorn oder andere mir deshalb niedrige Motive unterstellen, ist das dann nicht mein Problem, sondern also deren Problem. Das ändert ja auch nichts am Gewicht der Sachargumente.

    Kaess: Sie haben einmal in einem Interview angekündigt, Berlin würde Verfassungsklage einreichen gegen Tiefensees Vorschlag. Bleibt es dabei, auch wenn die Volksaktie noch eingearbeitet werden würde?

    Sarrazin: Dann nicht. Dann hätten wir allerdings auch einen anderen Vorschlag. Das wäre dann nicht mehr Tiefensees Vorschlag. Denn im Augenblick da kämpft er ja mit ganzer Macht gegen stimmrechtslose Vorzugsaktie.

    Kaess: Werden Sie denn auf dem SPD-Parteitag Ende Oktober, der sich ja auch mit dem Thema beschäftigen soll, versuchen, Parteikollegen von Ihrer Argumentation zu überzeugen?

    Sarrazin: Die wesentliche Arbeit läuft jetzt in den nächsten Wochen. Da bin ich intensiv eingeschaltet. Ich bin auf dem Parteitag selbst zwar anwesend, aber dort kein Delegierter.

    Kaess: Dennoch, wenn das Scheitern der Bahnprivatisierung dann letztendlich an der SPD liegt, kann die CDU in der Regierungskoalition noch mehr punkten, als sie das ohnehin schon in den vergangenen Monaten getan hat. Ist das denn klug?

    Sarrazin: Man muss immer Folgendes überlegen. Erst einmal geht es hier um eine zentrale und wichtige Frage für die deutsche Infrastruktur. Solch eine Frage muss erst einmal nach ihrem eigenen inneren Gewicht beurteilt werden. Und dann muss man sich fragen, wo man steht, in solch einer Sachfrage. Und dann muss man dafür Verbündete gewinnen. Mein Eindruck ist im Augenblick, dass sowohl die Mehrheit der SPD-Basis, wie auch die Mehrheit der Mandatsträger, wenn sie also frei entscheiden könnten, gegen dieses Modell von Mehdorn und Tiefensee ist. Und ich habe den sicheren Eindruck, dass bei der CDU dasselbe gilt.

    Kaess: Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin war das zum Streit um die Teilprivatisierung der Bahn. Vielen herzlichen Dank!