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Satireszene in der Türkei
"Ständig nur Erdogan zu zeichnen"

Dass es auf Dauer ermüdend ist, immer nur den Präsidenten aufs Korn zu nehmen, ist eines der kleineren Probleme von Satirikern am Bosporus. Abgesehen von Klagen, mit denen sie überhäuft werden, hat das Fernsehen die letzte Satire-Sendung zu Beginn diesen Jahres abgesetzt. Doch die Satiriker finden neue Foren, auf der Straße und im Internet.

Von Luise Sammann | 15.04.2016
    Die großen Istanbuler Satiremagazine: "Leman" und "Penguen" karikieren die Anweisung an Erdogans Bodyguards, kritische Demonstranten durch lautes Schreien selbst zu übertönen.
    Die großen Istanbuler Satiremagazine: "Leman" und "Penguen" karikieren die Anweisung an Erdogans Bodyguards, kritische Demonstranten durch lautes Schreien selbst zu übertönen. (Deutschlandradio / Luise Sammann )
    Ob Präsident Recep Tayyip Erdogan ein Tabu für türkische Satiriker ist? Sefer Selvi, seit 35 Jahren einer der bekanntesten Karikaturisten am Bosporus, schüttelt entschieden mit dem Kopf.
    "Meine Zeichnungen zeigen fast immer Erdogan. Einfach, weil er sich ständig und zu allem äußert. Ich bin schon richtig gelangweilt davon, ständig nur ihn zu zeichnen."
    Erdogan, wie er den Befehl gibt, auf friedliche Demonstranten zu schießen; Erdogan, wie er unliebsame Journalisten zum Schweigen bringt oder Erdogan, wie er sich schwitzend beim rehabilitierten syrischen Präsidenten einschleimt. Kein Wunder, dass Sefer Selvi zu den Türken gehört, die bereits persönlich mit dem mächtigen Politiker in Konflikt geraten sind. Wegen einer Zeichnung, auf der Erdogan als Pferd von einem seiner Berater geritten wird, landete er im Jahr 2004 vor Gericht.
    "Zum Schweigen bringen lassen wir uns so schnell nicht"
    "Die Gefahr einer Anklage oder auch verprügelt zu werden, besteht für uns natürlich immer. Die meisten Drohungen bekommen wir über das Internet. Beleidigungen und auch Morddrohungen. Aber ein bisschen Risiko muss eben sein."
    Sefer Selvi zuckt mit den Schultern. Zum Schweigen bringen lassen wir uns so schnell nicht, sagt der Karikaturist, dessen Zeichnungen allwöchentlich in der ältesten türkischen Satirezeitschrift Leman zu sehen sind. Penguen, Uykusuz oder Girgir heißen nur einige der anderen Titel, die an Istanbuls Zeitungskiosken so selbstverständlich verkauft werden wie die Tageszeitung Hürriyet. Millionen junger Türken folgen Selvi und Co zudem bei Twitter und Facebook.
    "In Deutschland mag man vielleicht denken, die Türken hätten keinen Humor. Aber das Gegenteil ist wahr.", so Soziologin Melike Boylan von der Middle East Technical University in Ankara. Gerade hat sie ein Buch über die traditionsreiche Humoristenszene am Bosporus vorgelegt.
    "Ich denke, die türkischen Satiriker sind die mutigsten und kreativsten Leute in unserer Gesellschaft. Niemand reizt den geltenden Freiheitsbegriff so weit aus wie sie."
    Medienbosse pflegen eine gute Beziehung zur Regierung
    Und das hat Folgen: Zeichner Sefer Selvi ist nicht der einzige, der bereits vor Gericht stand. Ein Magazin namens Harakiri ging im Jahr 2012 gar an einer Geldstrafe zugrunde. Der Vorwurf: Ermunterung der türkischen Nation zu unehelichen Beziehungen und Faulheit.
    Noch mehr als solche Klagen aber macht den Satirikern eine andere Entwicklung zu schaffen: Türkische Massenmedien – allen voran das Fernsehen – entziehen Erdogan-Kritikern zunehmend von selbst die Plattform. Egal, ob diese nun humorvoll oder ernst daherkommen.
    "Fast alle Medienbosse in der Türkei sind gleichzeitig Investoren im Energie- und Bausektor.", erklärt Ceren Sözeri, Medienwissenschaftlerin an der privaten Galatasaray-Universität in Istanbul.
    "Der Staat spielt in diesen Wirtschaftszweigen eine große Rolle bei der Vergabe von Aufträgen. Und so pflegen die Medienbosse bei allem, was sie tun, eine gute Beziehung zur Regierung. Kritik ist da tabu."
    "Wenn die Regierung angreift, schlägt der Humor zurück."
    Und so überraschte es kaum noch, als auch das letzte Beispiel kritischer TV-Satire zu Beginn dieses Jahres aus dem Programm verschwand. Acht Jahre lang hatten die Macher von Koca-Kafalar, zu Deutsch "Riesenköpfe", die Zuschauer des Privatsenders KanalD vor den abendlichen Hauptnachrichten belustigt – in kurzen, oft kritischen Sketchen die Themen des Tages aufgegriffen.
    Mal wurde die Einschränkung der Pressefreiheit anhand von Dutzenden arbeitslosen Journalisten zum Thema, mal das Verschwinden von Grünflächen in türkischen Großstädten, das Familien am Wochenende zum Picknick an der Autobahn zwingt.
    Im Januar 2016 aber war plötzlich Schluss. Finanzierungsschwierigkeiten - hieß es von offizieller Seite – gleichbleibend hohe Einschaltquoten und Kultstatus der Riesenköpfe hin oder her. Der Todesstoß für die türkische Satireszene? Comedian Cihad Hazardagli aus Istanbul winkt ab.
    "Wenn die Satire aus den Massenmedien verbannt wird, dann landet sie auf der Straße. Während der Gezi-Proteste im Sommer 2013 konnte man das an jeder Ecke sehen. Und auch in den sozialen Medien gibt es inzwischen richtige Star-Satiriker. Das alles lässt sich nicht völlig abschalten. Im Gegenteil: "Wenn die Regierung angreift, schlägt der Humor erst recht zurück."