Dienstag, 16. April 2024

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Sauberes Internet
"Putztruppe im Namen des Herrn"

Der Regisseur Moritz Riesewieck hat auf den Philippinen Billiglöhner besucht, die im Auftrag von Facebook, Instagram & Co für eine sauberes Internet nach "christlich-puritanischen" Maßstäben sorgen. Die Philippinen seien zum Endlager für digitalen Giftmüll geworden, sagte er im DLF Corso-Gespräch.

Moritz Riesewieck im Corso-Gespräch mit Sigrid Fischer | 25.04.2016
    Die Internetseite von facebook ist auf einem Laptop zu sehen.
    Achtung nackte Haut: Content-Moderators auf den Philippinen suchen auf Plattformen wie Facebook und Instagram nach verbotenen Bildern. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Sigrid Fischer: Moritz Riesewieck. Guten Tag nach Berlin
    Moritz Riesewieck: Guten Tag.
    Fischer: Sie sind Theaterregisseur und machen hier eigentlich den Job von Journalisten. Was ist ihr Verständnis von Theater überhaupt?
    Riesewieck: (Lacht) Ja wir nennen uns Laokoon, nach dem Seher Laokoon im griechischen Troja, wo nämlich das Holzpferd gelandet ist, in dem sich die gegnerischen Krieger versteckt hielten und alle hielten dieses Holzpferd für ein großes Geschenk. Der einzige, der da Skepsis hatte war Laokoon und wurde dafür letzten Endes mit Schlangen gemartert und den nehmen wir uns zum Patron sozusagen, denn das was er gemacht hat ist das was auch wir machen wollen. Das sichtbar machen was sich nicht durch eine versteckte Kamera oder ein verstecktes Mikrofon enthüllen lässt, sondern wofür man einen kulturellen Komplex aufmachen muss, wofür man Bezüge aufmachen muss, wofür man Dinge miteinander verschalten, verknüpfen muss; bildlich assoziativ verknüpfen muss, die sich über ein reines Enthüllen nicht sichtbar machen ließen.
    Fischer: Kommen wir zum konkreten Projekt. Sie sind durch einen Artikel Sarah T. Roberts auf dieses Thema aufmerksam geworden, sie forscht in Kanada über digitale Arbeit. Dann sind Sie für ihre eigenen Recherchen nach Manila gefahren. Diese Arbeiten dieser Billiglöhner finden ja sehr im Verborgenen statt, das schreiben Sie ja auch. Wie sind sie denn überhaupt in Kontakt gekommen mit solchen Arbeitern?
    Riesewieck: Ja das ist tatsächlich sehr schwierig. Wir haben aus Deutschland eine Freelance-Plattform aufgerufen. Das ist eine Plattform, auf der Content Moderators - wir werden gleich dazu kommen, was das genau ist- ihre Arbeit anbieten können. Das heißt, sie arbeiten von zuhause aus und kriegen dann einen Auftrag auf ihren Bildschirm geschickt und erledigen für eine bestimmte Zeit bestimmte Arbeiten. Diese Arbeiter, die haben wir dann über diese Plattform angeschrieben und gesagt, wir machen eine Recherche zu diesem Thema und sind dann über Skype mit in Kontakt gekommen. Das ging noch sehr gut.
    Fischer: Und da waren sie direkt auf den Philippinen. Die gibt es ja überall diese Content-Moderators, die anbieten: 'Wir reinigen ihr Internet.'
    Riesewieck: Ja, wobei dann auffällig war, dass eben die allermeisten auf den Philippinen sitzen und wir haben uns natürlich gefragt, warum gerade da, weil Indien, Pakistan, Bangladesch ja auch noch mögliche Stationen wären, die einem in den Kopf kommen. Da war natürlich dann eine große Frage aufgemacht, die wir erst durch das Vorortsein beantworten konnten.
    "Es gibt eine Masse an Grauzonen, für die menschliche Augen notwendig sind"
    Fischer: Das heißt also nicht alle, die Sie da kontaktiert haben, sind diejenigen, die jetzt die unerwünschten Bilder und Videos rausfischen, sondern es gibt ja richtige Firmen, auch Software, die das macht, die etwas erkennt und rausfiltert.
    Riesewieck: Ja, da muss man unterscheiden. Also die großen Netzwerke, die haben zwar einen Algorithmus, der über die Bilder läuft, also eine Software, die über die Bilder läuft und vorsortiert; also vorab erkennt: Ah hier ist nackte Haut zu sehen, hier ist irgendwie Blut im Bild. Das heißt, diese Software kann rausfinden wo möglicherweise ein Bild problematisch sein könnte, aber mehr kann diese Software nicht und das wichtigste ist: Diese Software kann natürlich nie unterscheiden zwischen: Ist jetzt ein Bild, weil da nackte Haut zu sehen ist, pornografisch, ist das erotischer Natur oder ist das Kunst und ist deshalb vielleicht wieder geschützt oder gehört veröffentlicht. Das heißt, es gibt eine Masse an Grauzonen, für die eben doch menschliche Augen notwendig sind, die sich all diese Bilder genauer angucken.
    Fischer: Jetzt ist die Frage, welche Kriterien bekommen denn diese menschlichen Augen, also die Menschen, die das jetzt aussortieren sollen, von den Auftraggebern, also von Facebook, Instagram und so weiter an die Hand?
    Riesewieck: Auch dazu äußert sich Facebook zum Beispiel nur sehr schemenhaft.
    "Eine absolute Nebelbombe"
    Fischer: Warum denn eigentlich? Man kann das doch offen machen.
    Riesewieck: Ich glaube das ist ja das große Versprechen der sozialen Netzwerke, gerade aus den USA, dass das Internet frei ist, dass war ja die Ursprungsidee des Internet. Also Meinungsfreiheit, freier Ausdruck, alle möglichen Lebensstile vereinen. Und auf der anderen Seite ist aber der Anspruch von Facebook inhaltliche Richtlinien für die komplett Welt festzulegen, weil es ermöglicht, dass Menschen miteinander in Kontakt kommen, sich austauschen können und so weiter. Und da ist natürlich jetzt die Frage, nach welchen Kriterien legt man jetzt diese einheitlichen Richtlinien fest und da sagt Facebook: Ja wir orientieren uns am moralisch-ethischen Kodex unserer Nutzer und das ist natürlich eine absolute Nebelbombe, weil was dahinter steckt, und das ist auch der Grund warum wir glauben, dass das auf die Philippinen ausgelagert wird und zum Beispiel nicht nach Indien, dass der Hintergrund natürlich ein christlich-puritanischer ist. Und da sind die Philippinen als das Land, das dreihundert Jahre kolonialisiert wurde und wo wir jetzt 95% katholischer Christen finden - Christen auch in unserer Generation - die extrem fanatisch sind, also die Religion wirklich beim Wort nehmen, die jederzeit in die Kirche rennen. Wir haben Leute gesehen, die sich kreuzigen lassen, im Andenken an Jesus Christus, der für die Sünder der Welt gestorben ist. Das heißt, diese Leute empfinden das als ihren Auftrag, die Welt rein zu machen von den Sünden und das heißt, hier haben wir es natürlich nicht nur mit Arbeitskräften zu tun, die billig zu haben sind, sondern mit Arbeitskräften, die darin mehr sehen als nur einen Job, den man auf eine bestimmte Zeit halbherzig macht; sondern die empfinden das als ihren persönlichen Auftrag und das ist natürlich die perfekte Workforce.
    Fischer: Wie relativ das ist, sehen wir natürlich an der Diskussion - Facebook lässt nackte Frauenbrust rausnehmen - damit hätten wir kein Problem, aber unsere Hass-Posts, die werden nicht rausgenommen, zum Beispiel unsere rechten Hasskommentare.
    "Diese Konzerne geben vor, was moralisch und ethisch in Ordnung ist und was nicht"
    Riesewieck: Ja, weil man sieht eben, dass es ganz schön kompliziert sein kann, zu unterscheiden.
    Fischer: Die Frage ist nur, ob sich auf dem Weg letztlich auch irgendwann Moral und Ethik globalisieren. Also diese Konzerne geben vor, was moralisch und ethisch in Ordnung ist und was nicht. Und wo ist die Grenze zur Zensur, wenn Herr Erdoğan irgendwann Kommentare von Billiglöhnern rausnehmen lässt?
    Riesewieck: So ist es. Es gibt zum Beispiel eine Äußerung von der Verantwortlichen bei Facebook für die Policy, für die Standards, die da sagt: 'Ja also wir gehen entschieden gegen Terroristen vor. Terroristen haben bei uns nicht nur keinen Platz, wenn sie Terror verbreiten, sondern sie haben auch so keinen Platz bei uns. Das heißt, es ist egal was ein Terrorist postet oder nicht, Terroristen kommen bei uns nicht vor.'
    Das ist natürlich eine extrem forsche Ansage, wenn Facebook sich anmaßt, zu entscheiden, was schon Terror ist und was vielleicht noch politischer Widerstand.
    Fischer: Jetzt leiden diese Menschen - die diese Arbeit jeden Tag acht oder zehn Stunden machen - auch und tragen psychische Schäden davon, weil sie mit Gewalt und perversen Dingen konfrontiert sind. Haben die darüber auch mit Ihnen gesprochen? Waren die überhaupt auskunftsbereit?
    Riesewieck: Haben sie, sogar auch sehr explizit, nachdem wir es dann geschafft hatten, das Vertrauen zu gewinnen, weil diese Leute wirklich extrem verunsichert sind. Also die Firmen üben Druck aus auf die Arbeiter. Es gibt solche Non-Disclosure-Agreements, dass noch nicht einmal mit Arbeitskollegen, geschweige denn der Familie, darüber gesprochen werden darf, was da gesehen wird. Was wir zu hören bekommen haben, waren Bilder kinderpornografischer Natur, absolut extreme Gewalt, Enthauptungen, Sex mit Tieren, also wirklich ein Panorama der Abartigkeit.
    Fischer: Eine Art digitaler Giftmüll könnten wir sagen?
    Riesewieck: Kann man sagen. Das ist ein guter Begriff, denn die Philippinen waren ja lange Zeit die Endstation für den analogen Giftmüll und Elektroschrott aus der ersten Welt und sind heute eben das Endlager für unseren digitalen Giftmüll.
    "Ich werde mich Stück für Stück in die Rolle eines Content Moderators begeben"
    Fischer: Ist für mich natürlich die spannende Frage: Wie wird aus dem allen was sie da erfahren haben - sie könnten jetzt wahrscheinlich noch zwei Stunden darüber erzählen - eine künstlerische Performance, also eine Lecture- Performance, wie sie das nennen. Was passiert da morgen Abend in ihrem Vortrag?
    Rieswieck: Was ich versuchen werde ist, die Grenzen zu verschieben zwischen dem wissenschaftlichen Vortrag als was das Ganze ja beginnt, dafür ist der Rahmen ja auch ganz interessant, weil die Heinrich-Böll-Stiftung nun kein Theater ist, bis hin zu meiner eigenen Fanatisierung für diesen Gedanken, für diese These, dass wir es da mit einer extrem christlich-radikalen Sondereinsatztruppe zu tun haben, mit einer Putztruppe, mit einer Truppe, die im Namen des Herrn unterwegs ist. Das heißt, ich werde mich selbst Stück für Stück in die Rolle eines solchen Content Moderators begeben, der das als die große Säuberungsaktion der digitalen Welt begreift, was er da tut.
    Fischer: Eine Art Reenactment. Sie führen vor was die tun, sozusagen.
    Riesewieck: Ja, aber nicht indem ich am PC sitze und klicke, sondern indem ich zusammen mit dem Publikum ein Werk entdecke, dass Tizian gemalt hat - die Begegnung des wiederauferstandenen Jesu mit der Sünderin Nummer Eins, Maria Magdalena, wo er zu ihr sagt: 'Berühr mich nicht. Rühr mich nicht an' - und das könnte ja vielleicht so ein großes Stichwort sein hinter dem Ganzen, denn diese Anrührung, die da stattfindet, die ist eben nicht sichtbar im klassischen Sinne, sondern die findet außerhalb des journalistisch Ermittelbaren statt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.