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Saudi-Arabien
Ein problematischer Verbündeter

Eine aufbegehrende Jugend, die nach Freiheit strebt, und ein vom endlichen Erdöl abhängiges, starres System: Saudi-Arabien ist für Sebastian Sons ein Land der Extreme, das vor fundamentalen Veränderungen steht. Der Islamwissenschaftler und Politologe rät dem Westen, weiter mit Saudi-Arabien zu kooperieren, aber die Waffenlieferungen einzustellen.

Von Jan Kuhlmann | 23.01.2017
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen steht neben Vize-Kronzprinz Mohhammed bin Salman al-Saud in Riad (Saudi-Arabien).
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen steht neben Vize-Kronzprinz Mohhammed bin Salman al-Saud in Riad (Saudi-Arabien). (dpa / picture alliance / Reiser Jensen)
    Um den Ruf Saudi-Arabiens ist es wahrlich schlecht bestellt. Saudi-Arabien – das ist das Wüstenland, in dem Frauen keine Rechte haben und Tausende Kritiker des Königshauses im Gefängnis sitzen. Es ist das Land, das mit seinem Ölreichtum eine Ideologie verbreitet, die der Terrormiliz Islamischer Staat den Boden bereitet. Und Saudi-Arabien ist das Land, das im benachbarten Armenhaus Jemen einen Luftkrieg führt. Man muss nicht lange suchen, um Belege für diese Aussagen zu finden. Und trotzdem, sagt der Autor Sebastian Sons, wird dieses von Klischees geprägte Bild der Monarchie nicht gerecht.
    "Saudi-Arabien ist keineswegs ein Land von Schwarz oder Weiß, von Gut oder Böse, von Rückständigkeit oder Moderne. Es ist immer beides. Dies müssen wir verstehen lernen, um mit dem Königreich klug und besonnen umgehen zu können." Genau das tut der Islam- und Politikwissenschaftler Sons. Als Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik beschäftigt er sich seit Längerem mit der Golfregion, er ist häufig dorthin gereist.
    Saudi-Arabien verändert sich fundamental
    Für Sons ist Saudi-Arabien vor allem ein Land, das sich rasant verändert. "[Es] vollzieht sich ein kontinuierlicher Wandel, den wir als Außenstehende kaum wahrnehmen, weil Saudi-Arabien ein Land der vielen Schlösser und der wenigen Schlüssel ist. Doch unter der Oberfläche rumort es: Saudi-Arabien verändert sich fundamental [...] Es ist eine Dynamik im Gange, die fast mit Händen zu greifen ist. Diese Dynamik macht Saudi-Arabien zu einem Land der doppelten Standards und der Extreme."
    Diese Dynamik geht von der jungen Generation aus. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung sind noch keine 25 Jahre alt. Damit ist die saudische eine der jüngsten Gesellschaften der Welt überhaupt. Eine der vielen Paradoxien in dem Land zeigt sich an den Frauen: Sie dürfen nicht Auto fahren, sie dürfen nicht ohne Genehmigung ihres Vormunds reisen – mittlerweile sind aber die Hälfe aller saudischen Universitätsabsolventen weiblich. Viele Saudis haben im Westen studiert – sie kennen unterschiedliche Welten und sind oft zwischen ihnen hin- und hergerissen. Die jungen Saudis, schreibt Sons, drängen auf mehr Freiheiten.
    "Die saudische Jugend will raus aus der bornierten Isolation und Teil der Welt sein. In unzähligen Blogs werden Tabus wie Homosexualität, Drogenkonsum, Missstände im Gesundheits- und Bildungssystem oder das Fahrverbot für Frauen thematisiert und leidenschaftlich debattiert. Darauf muss das Königshaus reagieren, hat aber bisher keine langfristige Strategie entwickelt, um diesen Herausforderungen dauerhaft zu begegnen."
    Der niedrige Ölpreis offenbart die Fehler im System
    Die vielen Probleme des Königreichs sind mit Händen zu greifen. So macht der niedrige Ölpreis dem Land extrem zu schaffen. Längst sind Arbeitslosigkeit und Armut weit verbreitet. In den Etats der vergangenen Jahre klafften Rekordlöcher. Die Monarchie leidet zudem unter einer ineffizienten Bürokratie. Den Angestellten des öffentlichen Dienstes seien ein großer Schreibtisch, ein klimatisiertes Büro und ein generöser Gehaltscheck oft wichtiger als Karrierechancen, schreibt Sons.
    "Dieses vom Erdöl abhängige System eines aufgeblähten öffentlichen Dienstes und einer unterentwickelten Privatwirtschaft ist zum Scheitern verurteilt. Der Staat kann den arbeitssuchenden jungen saudischen Männern und Frauen im öffentlichen Dienst keinen gut dotierten und bequemen Arbeitsplatz mehr anbieten, da die Kapazitäten längst erreicht sind."
    König Salman, seit zwei Jahren auf dem Thron, hat auf die Probleme reagiert. Sein ehrgeiziger Sohn Muhammad hat die Vision 2030 entwickelt – ein Plan, der Saudi-Arabien unabhängig vom Öl machen soll. Vieles darin ist noch vage, aber es ist zumindest ein Anfang.
    Saudi-Arabien ist "too big to fail”
    So mancher im Westen beobachtet die Probleme Saudi-Arabiens mit Genugtuung. Doch Sebastian Sons warnt zu Recht: "Saudi-Arabien ist too big to fail – zu wichtig, um es scheitern zu lassen [...] Ob wir wollen oder nicht – das Königreich ist der wichtigste und einflussreichste arabische Staat im Nahen und Mittleren Osten. Ohne ihn werden sich die existenziellen Krisen in der Region – die Gefahr des Terrorismus, die Kriege im Irak, in Syrien und im Jemen, der Konflikt mit dem Iran sowie die Flüchtlingsfrage – nicht lösen oder kontrollieren lassen. Wenn es darum geht, die Region zu stabilisieren, führt kein Weg an Saudi-Arabien vorbei."
    Kein gutes Haar lässt Sons dabei an der Außenpolitik Deutschlands und des Westens gegenüber Saudi-Arabien. Einerseits werde das Land als destabilisierender Kriegstreiber verteufelt, andererseits als Stabilitätsanker gelobt, mit dem man kooperieren müsse. Sons wirft dem Westen eine Doppelmoral vor. Ihm fehle eine klare Strategie im Umgang mit Saudi-Arabien.
    "Es wurden keine eindeutigen Interessen, Ziele und Erwartungen an eine Saudi-Arabien-Politik formuliert. Es sind diese Kurzsichtigkeit und die Inkonsequenz des Westens, die dazu führen, dass unser Einfluss auf Saudi-Arabien gering bleibt. Was fehlt, sind ein stabiler Kurs und eine solide werte- und interessengesteuerte Politik, die nicht von Polemik, sondern von konstruktiver Vernunft getrieben wird."
    Ein "saudischer Frühling" steht nicht vor der Tür
    Sons empfiehlt, weiterhin mit Saudi-Arabien zu kooperieren, fordert aber zugleich, die Waffenlieferungen an das Land einzustellen. Deutschland müsse sich seiner moralischen Verantwortung bewusst sein. Doch schon dieses Beispiel zeigt, wie gering der Einfluss Berlins letztlich ist. Deutschland mag auf Waffenlieferungen verzichten – andere Länder aber würden einspringen. Das muss sogar Sons zugeben. Ihm ist ein wohltuend unaufgeregtes Buch über Saudi-Arabien gelungen, das einen kritischen, aber sachlichen Blick auf das Königreich wirft. Es ist ein Länderporträt, das mit fundierten Informationen den Horizont des Lesers erweitert. Auch mit seinem Ausblick liegt Sons richtig: Ein "saudischer Frühling" steht nicht vor der Tür.
    "Die Mehrheit der saudischen Bevölkerung sieht in ihrem Königshaus den einzigen Bewahrer von Wohlstand und Sicherheit und fürchtet sich vor dem Chaos, das in den Nachbarstaaten herrscht." So spricht vieles dafür, dass Saudi-Arabien Evolution statt Revolution erleben wird – wenn das Königshaus die massiven Probleme nicht nur erkannt hat, sondern sie auch tatsächlich angeht.
    Sebastian Sons: "Auf Sand gebaut. Saudi-Arabien - Ein problematischer Verbündeter"
    Propyläen Verlag, 281 Seiten, 20 Euro.