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Saudi-Arabien
Kollision mit den Gelehrten

Saudische Frauen dürfen im nächsten Jahr endlich Auto fahren. Wirtschaftliche Gründe seien für diese Reform entscheidend, sagt Nahost-Experte Sebastian Sons im Dlf. Das Königshaus riskiere viel: "Wenn man die wahabitischen Gelehrten verprellt, könnte die Stabilität ins Wanken geraten."

Sebastian Sons im Gespräch mit Gerald Beyrodt | 28.09.2017
    Eine saudische Frau sitzt hinter dem Lenkrad eines Autos in Riad, Saudi-Arabien
    Frauen dürfen künftig in Saudi-Arabien Auto fahren. Ein entsprechendes Dekret des saudischen Königs soll ab kommenden Juni gelten (EPA/ DPA/ Str)
    Gerald Beyrodt: Frauen dürfen künftig in Saudi-Arabien Auto fahren. Ein entsprechendes Dekret des saudischen Königs Salman soll ab kommenden Juni gelten. Er hat die Regierung angewiesen, Regularien zu erarbeiten, nach denen auch Frauen Führerscheine bekommen können. Vor der Sendung habe ich mich mit Sebastian Sons unterhalten. Er ist Islamwissenschaftler und Associate Fellow bei der Gesellschaft für Auswärtige Politik. Herr Sons, wie viel haben die Frauen in Saudi Arabien davon, dass das Verbot fällt?
    Sebastian Sons: Es ist zuerst einmal ein wichtiges Symbol nach innen und vor allen Dingen auch nach außen, um der Welt zu zeigen: "Wir können Reformen durchführen. Wir sind nicht so rückständig, wie die ganze Welt immer von uns glaubt." -Und es ist natürlich ein wichtiges Zeichen für viele Frauen in Saudi-Arabien, die nach wie vor benachteiligt werden. Nach wie vor herrscht strikte Geschlechtertrennung, nach wie vor können saudische Frauen nicht alle Berufe ausüben, die sie gerne wollen. Da gilt das Fahrverbot als ein gewisses Symbol, wenngleich man sagen muss, dass doch sehr viel stärker und sehr viel kontroverser im Ausland diskutiert wurde als im Land selbst. Denn viele saudische Frauen sehen in den rechtlichen Diskriminierungen und vor allen Dingen auch in den Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt viel größere Probleme als im Fahrverbot.
    Viele Unternehmerinnen beispielsweise haben auch gesagt: Ach, wir können das Fahrverbot auch dazu nutzen, im Auto also quasi die Geschäfte von der Rückbank zu machen. Das war ganz angenehm, wenn man in Riad oder in Dschidda im Stau stand stundenlang, was häufiger vorkam. Dementsprechend ist das hier nicht sozusagen die Reform, die alles ändert, was die Frauenfrage in Saudi-Arabien angeht, aber es ist ein wichtiges Zeichen, selbstverständlich auch ein historischer Schritt.
    Haushaltsführung statt Führerschein
    Beyrodt: Wie war denn das Verbot überhaupt religiös begründet?
    Sons: Es war einerseits von den strengen, konservativen wahhabitischen Gelehrten begründet, dass sozusagen Frauen nicht in der Lage seien, Auto zu fahren. Eine kleine Elite …
    Beyrodt: Moment. Nicht in der Lage, Auto zu fahren?
    Sons: Aus moralischen Gründen selbstverständlich, dass es hier darum ging, eben die Geschlechtertrennung auch im Straßenverkehr aufrecht zu erhalten. Dass Frauen grundsätzlich in Saudi-Arabien auch eine andere gesellschaftliche Rolle als Mutter und Ehefrau, die sozusagen Geschäfte im Haushalt führen soll, aber nicht auf der Straße oder im Berufsleben. Das war quasi die klassische konservative Haltung von vielen wahhabitischen Gelehrten in Saudi-Arabien. Diese ist aber in den letzten Jahren immer stärker unter Druck geraten, weil es in Saudi-Arabien schlichtweg auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit gibt, Frauen mehr und stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren und ihnen auch die Immobilität zu nehmen. Saudi-Arabien leidet unter hoher Jugendarbeitslosigkeit, und es ist dementsprechend für das saudische Königshaus schlichtweg nicht mehr zu finanzieren, quasi die Hälfte der weiblichen Bevölkerung mit dem Fahrverbot auch in Gewisser Art und Weise vom beruflichen Leben auszuschließen.
    Positive Presse im Ausland
    Beyrodt: In einer Fernsehdokumentation hat letztes Jahr eine arabische Frau gesagt, sie freut sich auf den Verfall des Ölpreises, weil man es sich dann nicht mehr leisten kann, dass die Frauen von einem Fahrer eigens gefahren werden. Wenn das Verbot jetzt fällt, hat das für sie auch tatsächlich ökonomische Gründe, wenn ich Sie richtig verstehe.
    Saudische Frauen auf der Tribüne.
    Aus Anlass des Nationalfeiertags wurden zuletzt Frauen in Saudi-Arabien zum ersten Mal in ein Sportstadion gelassen (AFP / Fayez Nureldine)
    Sons: Ich finde, der wesentliche Grund dahinter, ist tatsächlich die wirtschaftliche Lage, in der Saudi-Arabien derzeit ist. Und von daher war es für mich auch nicht wirklich überraschend, dass das Fahrverbot fällt. Es war nur die Frage, wann. Und dass es jetzt kommt, ist einerseits der wirtschaftlich schwierigen Lage geschuldet in der Saudi-Arabien sich befindet - darüber hatten wir schon gesprochen - und zweitens eben auch dem politischen Druck, unter den das neue Königshaus geraten ist. Man verzettelt sich in einem Krieg im Jemen, der schlechte Presse verursacht in der westlichen Welt, man kann die Krise mit Katar nicht lösen, die Rivalität mit Iran nimmt zu - und da braucht man gute und positive Nachrichten. Die Aufhebung des Fahrverbots ist eine solche Nachricht und wird eben für positive Presse im Ausland sorgen. Das ist nach wie vor ein ganz, ganz wesentliches Interesse auch des Königshauses, neben den wirtschaftlichen Aspekten die durchaus eine wichtige Rolle spielen.
    Balanceakt: "Die Allianz mit den wahhabitischen Gelehrten sichert die Legitimität des Königshauses"
    Beyrodt: Sie haben vorhin fast in einer Nebenbemerkung gesagt: Traditionell stellt man sich die Frau zu Hause vor - Kinder erziehen, Haushalt. Ist das auch das traditionelle Frauenbild dieser, doch eher strengen Form der Wahhabiten?
    Sons: Ja, das ist die strenge Form des Wahhabismus, die auch dieses Geschlechterbild proklamiert. Es geht hier darum, dass die Geschlechtertrennung eben darauf zurückzuführen ist, dass man die Frau quasi schützen möchte. Das ist das Argument, was von wahhabitischer Seite immer wieder genannt wird, dass man Frauen sozusagen auch vor den niederen Trieben der Männer schützen möchte, etc. Dass das viele Frauen in Saudi-Arabien - und auch viele Männer, selbstverständlich - mittlerweile anders sehen und hier auch einen moderneren Gedanken des Geschlechterbildes vertreten wissen möchten, das steht außer Frage.
    Aber viele, sehr konservative wahhabitische Gelehrte argumentieren in der Tat tatsächlich weiterhin so. Das ist für das Königshaus auch ein Balanceakt, den es erfolgreich bewältigen muss. Denn die historische Allianz mit den wahhabitischen Gelehrten sichert auch in gewisser Art und Weise die Legitimität des Königshauses. Wenn man diese Gelehrten verprellt - sei es mit der Aufhebung des Fahrverbots oder anderen sehr modernen und quasi revolutionären Schritten -, dann besteht auch die Gefahr, dass eventuell der Vertrag zwischen wahhabitischen Gelehrten und Königshaus aufgekündigt wird, dass es hier große Probleme gibt und dass tatsächlich auch die Stabilität des Königshauses ins Wanken gerät. Dementsprechend ist es ein Balanceakt, den das Königshaus vollzieht.
    "Die Chancen, dass sich für Frauen mehr ändert, sind größer als je zuvor"
    Beyrodt: Mit wie viel Widerstand ist denn da zu rechnen von den Gelehrten?
    Sons: Es ist durchaus mit Widerstand zu rechnen. Es gab auch schon Widerstand in der Vergangenheit, aber der junge Königssohn Mohammed bin Salman, der zukünftiger König werden wird, hat in der Vergangenheit einen sehr quasi anti-klerikalen Kurs gefahren, ist nicht besonders fromm aufgetreten und hat dementsprechend auch Kritik beim Klerus herausgefordert. Aber es scheint so, als habe er es geschafft, auch wirklich diese konservativen Stimmen etwas mundtot zu machen und sie weniger wichtig werden zu lassen. Zum Beispiel hat er auch die Religionspolizei entmachtet, die eben als Symbolfigur, als Instrument dieses konservativen Wahhabismus stand. Und das ist tatsächlich auch ein Zeichen in die Richtung, wie Saudi-Arabien in Zukunft Politik machen möchte und die Aufhebung des Fahrverbots ist ein weiterer Schritt in die Richtung.
    Beyrodt: Und jetzt dürfen die Frauen Auto fahren. Sie haben es eingangs gesagt: Es ist mehr eine Art Symbol, sie dürfen auch viele Dinge nicht, nach wie vor brauchen sie einen Vormund, wenn sie einen Vertrag abschließen wollen. Wie groß sind die Chancen, dass sich das auch noch verändert?
    Sons: Die Chancen sind größer als jemals zuvor, würde ich sagen. Eben auch hier spielt die wirtschaftliche Dimension eine große Rolle. Wenn die wirtschaftlichen Probleme Saudi-Arabiens sich nicht schnell lösen lassen - und davon ist auszugehen, weil es hier um Strukturprobleme geht -, dann braucht man die Frauen, vor allen Dingen auf dem Arbeitsmarkt. Dann muss man diese rechtlichen Diskriminierungen zunehmend und schrittweise verändern. Aber es geht hier eben nicht darum, das von heute auf morgen zu machen, sondern schrittweise durchzuführen, um erstens die Gesellschaft darauf vorzubereiten - es ist immerhin auch eine Frage der Mentalität und des Mentalitätswandels, durchaus, - und es geht auch darum, die Voraussetzungen zu schaffen, um tatsächlich dann auch diese Änderungen durchzuführen. Das heißt: Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass auch in rechtlichen Fragen die Diskriminierung weiter zurückgeht, aber das eben nicht auf einmal, sondern immer strategisch sinnvoll: Wann passt es dem Königshaus am besten, wann hat es die größte Außenwirkung, wann ist es sozusagen am sympathischsten.
    Beyrodt: Langsame Schritte in Richtung mehr Gleichberechtigung: Über Frauen in Saudi-Arabien habe ich mich mit dem Islamwissenschaftler Sebastian Sons von der Gesellschaft für Auswärtige Politik unterhalten. Vielen Dank, Herr Sons.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.