Aus den Feuilletons

Der erbitterte Streit um das Feuerwerk

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Ein Feuerwerkskörper explodiert im Himmel und sprüht bunte Funken.
Der "Tagesspiegel" berichtet über einen Pyrokünstler, der eigentlich in einem Fachandel für Zahnarztbedarf arbeitet. © imago images / Rene Traut
Von Tobias Wenzel · 30.12.2019
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Über Feuerwerk an Silvester wird derzeit heftig gestritten. Diese erbitterten Diskussionen wirkten, "als ob sich am Unterdeck der sinkenden Titanic zwei Leute über die Frage streiten, ob der Backofen der Bordküche gut verriegelt ist", schreibt die "FAZ".
"Zehnerjahre", überall dieses Wort – die letzten Feuilletons 2019 blicken nicht nur auf das ausgehende Jahr zurück, sondern auch auf ein ganzes Jahrzehnt. Außerdem schauen sie nach vorne. Aber der Reihe nach:
"Die Zehnerjahre haben unseren Alltag in einem bestürzenden Ausmaß umgekrempelt", schreibt Matthias Heine, der Mann fürs Metasprachliche, in der WELT. Aber nicht über das Wort "Zehnerjahre" denkt er nach, sondern über neue Begriffe aus dieser Zeit, die das Institut für Deutsche Sprache nun ins Neologismenwörterbuch aufgenommen hat. "Freistoßspray", "Rettungsgassensünder" und – die sozialen Medien lassen grüßen – "Shitstorm" und "viral gehen". "Besonders anschaulich wird aus dem Neologismenwörterbuch auch, wie sehr Essen im vergangen Jahrzehnt zum Mittel der Weltverbesserung und individuellen Optimierung geworden ist", schreibt Heine. "Man isst nicht mehr einfach, sondern man distinguiert sich von den Umweltsäuen, indem man die Nahrungsaufnahme als bewussten Akt zelebriert." Als Beispiele nennt er "grüner Smoothie", "Tofubutter" und "Vöner". "Vöner"? Das ist "eine Art Döner mit rein vegetarischen bzw. veganen Zutaten".

Lob an die Mütter

Ob die Mütter von Hegel, Beethoven, Hölderlin und Celan ihre Söhne mit Vöner verwöhnt hätten, wenn es ihn denn damals schon gegeben hätte, darüber spekuliert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG leider nicht. Aber sie hebt sich von anderen Zeitungen ab, indem sie nicht diese berühmten Männer, die 2020 runde Geburtstage haben, abfeiert, sondern an deren Mütter erinnert.
Lothar Müller zitiert in seinem Porträt von Hegels Mutter den Ausspruch des Philosophen "Die Mutter ist der Genius des Kindes". Ein Satz, der über der ganzen Mutter-Sohn-Aktion der SZ zu schweben scheint. "O! Wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen Namen Mutter aussprechen konnte, und er wurde gehört, und wem kann ich ihn jetzt sagen?", fragte Ludwig van Beethoven, was wiederum Marie Schmidt zitiert. Sie erwähnt auch, dass Beethovens Mutter von der Ehe abriet: "Denn das Heiraten bereitet dir ein wenig Freude, aber dann eine Kette von Leiden."

Feuerwerksliebe

Der Pyrokünstler René Rüdiger hat gerade ein Feuerwerk zu Musik von Beethoven entworfen, hätte es aber lieber zur Musik von Rammstein getan. So oder so, der "Widerschein des Feuerwerks in den Gesichtern" beglücke Rüdiger, schreibt Kerstin Decker im TAGESSPIEGEL. "Eigentlich hat Rüdiger einen Fachhandel für Zahnarztbedarf. Doch egal, was der Vertreter für Dentaltechnik auch präsentierte, nie sah er den verzauberten, dankbaren Ausdruck in den Mienen seiner Kunden. Herr Rüdiger, Ihr neuer Satz Bohrer ist wirklich umwerfend!"

Diskussion um die Böllerei

"Lass es krachen!", ruft Niklas Maak in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG aus, zum "Endjahresreizthema": Böller ja oder nein? Große Mengen Feinstaub würden frei. Aber deshalb ganz auf das Feuerwerk verzichten? "Hebbels berühmtes Feuerwerks–Bonmot ('Das Publikum beklatscht ein Feuerwerk, aber keinen Sonnenaufgang') könnte sich bald in sein Gegenteil wandeln", schreibt Maak. "Trotzdem wirken die aktuell erbittert geführten Diskussionen ein wenig so, als ob sich am Unterdeck der sinkenden Titanic zwei Leute über die ja durchaus wichtige Frage streiten, ob der Backofen der Bordküche auch gut verriegelt ist."
Um diese Kulturpresseschau und das Jahr 2019 nicht einfach so absaufen zu lassen, zum Schluss noch schnell ein erfrischender Tipp aus der TAZ: "Lieber Sätze statt Vorsätze".
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