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Sauerstoff im Schnee
Überleben unter Lawinen

In diesem Winter liegt in den Alpen besonders viel Schnee. Damit verbunden ist eine erhöhte Lawinengefahr. Wer in eine Lawine gerät und verschüttet wird, kann in den meisten Fällen noch eine Weile überleben - wie lange man jedoch unter dem Schnee Luft bekommt, hängt Forschern zufolge auch vom Schneetyp ab.

Von Lucian Haas | 12.02.2018
    Skifahrer am Kreuzjoch im Skigebiet Schlick 2000 in Fulpmes im Stubaital - Tirol snapshot-photography/xK.M.Krause *** Skiers at the Kreuzjoch in the ski area Schlick 2000 in Fulpmes in Stubaital Tyrol snapshot photography xK M Krause
    Viel Schnee in den Alpen - Skifahrer am Kreuzjoch im Skigebiet Schlick (imago stock&people)
    Wenn Menschen von Schneelawinen begraben werden, haben sie sehr unterschiedliche Überlebenschancen. Und das hängt nicht nur von möglichen Verletzungen während des Lawinenabgangs ab. Giacomo Strapazzon, Experte für alpine Notfallmedizin am Eurac Forschungszentrum in Bozen.
    "Wenn man zum Beispiel die Überlebensstatistik von Lawinenunfällen in Kanada analysiert, zeigen sich je nach Klimazone andere Muster. Die Überlebensrate ändert sich, wenn man Unfälle in einem maritimen mit einem kontinentalen Klima vergleicht."
    Im kontinentalen Klima ist der Schnee kälter, trockener und lockerer. Pulverschnee. Bei solchen Bedingungen bekommen Verschüttete unter den Schneemassen offenbar besser Luft. Sie ersticken nicht so schnell. Giacomo Strapazzon und Forscherkollegen aus Italien, der Schweiz und Österreich machten Versuche, ob und wie gut Menschen die im Schnee enthaltene Luft tatsächlich atmen können.
    "Der Schnee enthält jede Menge Luft. Beim Schnee mittlerer Dichte, mit rund 300 Kilogramm pro Kubikmeter, sind 70 Prozent des Volumens eingeschlossene Luft. Bisher wussten wir allerdings nicht, inwieweit Menschen unterm Schnee diese Luft auch nutzen können."
    Künstliche Atemhöhlen für Tests
    Für ihre Studie erzeugten die Forscher in einem Testgelände bei Prags in Südtirol kleine künstliche Lawinen aus jeweils unterschiedlich dichtem beziehungsweise feuchtem Schnee. Dann schufen sie in den Schneemassen künstliche Atemhöhlen mit einem Volumen von jeweils vier Litern. Zwölf Probanden mussten nun Luft aus diesen Atemhöhlen atmen. Dafür waren sie allerdings nicht in den Lawinen vergraben, sondern saßen im Freien. Sie mussten aber spezielle Atemmasken tragen, deren Zuluftschläuche in den Atemhöhlen steckten. So konnten die Forscher genau beobachten, wie lange die Probanden mit der Luft aus der kleinen Atemhöhle im Schnee auskamen. Bei Atemhöhlen in trockenem, lockerem Pulverschnee war das mehr als eine halbe Stunde. Das lässt sich nur so erklären, dass auch Luft aus den umliegenden Schneemassen in die Atemhöhle nachströmte.
    "Dass wir die Luft aus dem Schnee nutzen können, ist überraschend. Bisher gab es dafür keine Belege. Wir hatten nur immer wieder Beispiele von Lawinenopfern, die erstaunlich lange unterm Schnee überlebten. Es gab die Vermutung, dass es da eine Verbindung zwischen der kleinen Höhle rund um den Körper des Verschütteten und der Außenluft geben müsste. Bei unseren Versuchen konnten wir das aber ausschließen, weil alles unter kontrollierten Bedingungen stattfand."
    In manchen Fällen stiegen die Kohlendioxidkonzentrationen schnell
    Bei der simulierten Lawine mit dichtem, nassem Schnee dauerte es im Schnitt deutlich weniger als 30 Minuten, bevor den Probanden die Atemluft ausging. Allerdings zeigten die Versuche, dass im Gegenzug lockerer, trockener Schnee auch nicht immer optimale Bedingungen bietet. In den Atemhöhlen gab es zwar zunächst immer genügend Sauerstoff. Doch in manchen Fällen stiegen die Kohlendioxidkonzentrationen so schnell an, dass die Probanden hätten bewusstlos werden können, wären die Tests nicht vorzeitig abgebrochen worden. Giacomo Strapazzon vermutet, dass sehr trockener Schnee CO2 schlechter aufnehmen kann.
    "Das könnte mit den chemischen oder physikalischen Eigenschaften des Schnees zusammenhängen. Es könnte sein, dass Schneekristalle CO2 unterschiedlich gut absorbieren, je nachdem wieviel Wasser sie umgibt. Das müssen wir aber noch weiter erforschen."
    Zumindest hat Giacomo Strapazzon nun eine mögliche Erklärung, warum Lawinenopfer manchmal schneller sterben als erwartet. Neben starker Auskühlung und Sauerstoffmangel kann es auch noch zu einer Art CO2-Vergiftung kommen.