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"Save Your Soul"-Festival in Berlin
Theater als Therapie

Dass Theater und Therapie eine Menge miteinander zu tun haben, wussten schon die alten Griechen. Das Festival „Save Your Soul“ knüpft daran an, wenn es Performances und Theater rund um das Thema Therapie, Selbsterfahrung und Heilung anbietet.

Von Gerd Brendel | 14.11.2018
    Ein Stuhlkreis aus "Good Sherry" von Ann Liv Young beim Save your Soul Festival in Berlin
    Ein Stuhlkreis aus "Good Sherry" von Ann Liv Young beim Save your Soul Festival in Berlin (Sophiensäle / © Diethild Meier)
    Den berühmt-berüchtigten Stuhlkreis, unverzichtbares Instrument jeder Gruppentherapie, es gibt ihn auch hier im großen Saal der Sophiensäle in Berlin: beim "inner circle"-Workshop der Performerin Ann Liv Young als Vorbereitung ihrer Performance am Abend.
    Der Stuhlkreis wird zur Kampfarena
    Irgendwann fordert uns Ann auf, unsere Ängste in den Raum zu brüllen, um uns anschließend mitzuteilen, wie lächerlich wir dabei ausgesehen hätten. Wir fühlen uns hereingelegt. Der Stuhlkreis wird zur Kampfarena.
    "Und dass es so einen Veröffentlichungsdruck gibt in der westlichen Welt, das ist ja ihr Thema...". Festivalkuratorin Joy Kristin Kalu über Ann Liv Young. "Dass eigentlich dieses ursprünglich intime Format der Veröffentlichung in der Therapie, das öffnet sich ja immer mehr und nicht nur in ihrer Show, sondern einfach in unserer Kultur."
    "Save Your Soul" - rette deine Seele - heißt das Festival in den Berliner Sophiensäle, das die Schnittmenge von Theater und Therapie untersucht.
    "Es gibt jemanden, der oder die führt sich auf, es gibt jemanden, die führt Regie oder guckt auch zu."
    In der Performance "A Game Of You" - das Du-Spiel der belgischen Performance-Gruppe "Ontroerend Goed", schaue ich mir erst einmal selber zu. Ich werde in eine Art Künstlergarderobe mit einem großen Spiegel geführt. Ein junger Mann setzt sich zu mir und beginnt zu erzählen.
    Selbstbegegnung hinter dem Theatervorhang
    "What's your name?"/ "My name is Gerd..."
    Dann öffnet sich ein Vorhang und durch einen schmalen Korridor werde ich von Vorhangkammer zur Vorhangkammer geleitet. Eine Performerin wiederholt was ich sage. Ich soll mir die Lebensgeschichte einer anderen Besucherin ausdenken und ganz am Ende sehe ich durch eine Scheibe in den allerersten Raum. Auf meinem Platz sitzt der nächste Zuschauer. Jemand setzt sich zu ihm und über Kopfhörer bekomme ich mit, wie der ihm meine Geschichte erzählt. Ich erschrecke und mir kommen die Tränen. Hinter roten Theatervorrhängen bin ich in anderen mir selbst begegnet, schlagartig und berührender als in jeder Therapie.
    "Die Fähigkeit, Gemeinschaft zu stiften und dann in diesem Akt der Gemeinschaftsstiftung auch heilsame Momente zu erzeugen, das kann Theater immer."
    Das Festival "Save Your Soul" hat viele solcher Momente. In "Angstpiece" von Anta Helena Recke versucht die Performerin Julia Meding ihre eigene Seele zu retten.
    Mal ein heilsamer Theaterabend...
    Auf einer Videoleinwand erlebt das Publikum live, wie sie hinter der Bühne mit ihrem Lampenfieber ringt. Qualvolle Minuten verstreichen bis sie endlich den Mut fasst auf die Bühne zu kommen.
    "Dass ich vor euch stehe und dass ihr heute Abend gekommen seid, das ist sozusagen der konfrontationstherapeutische Ansatz. Dabei geht es um eine Konfrontation mit den angstauslösenden Reizen..."
    Als die androgyne Darstellerin, die sich Julia*n Meding schreibt, vor uns steht, wird klar, dass die Agoraphobie nicht die einzige Angst bleibt, mit der Meding ihr Publikum konfrontiert. Es beginnt eine bewegende Selbstentblößung und ein heilsamer Theaterabend.
    Das Gegenteil von der Show der amerikanischen Performerin Ann Liv Young am Wochenende. Der Workshop am Vormittag ließ schrilles Vorführtheater im Stil sensationslüsterner Talkshows erwarten. Es wurde schlimmer.
    ... mal ein unheilvolles Spektakel
    Ann Liv in der Rolle der weißen Südstaaten- Hausfrau Sherry macht Zuschauern erst Komplimente, um sie dann zu beschimpfen. Auf einen jungen Schwarzen hat sie es besonders abgesehen. Als sie ihm einen Hiphop-Song förmlich ins Gesicht brüllt, in dem das "N"-Unwort vorkommt, platzt dem der Kragen.
    Die Performerin brüllt zurück, verweigert protestierenden Zuschauerinnen das Wort. Die Situation eskaliert bis die Festivalkuratorin der Performerin das Mikrofon abdreht und die Vorstellung beendet. Skandal um des Skandals willen? Die Vorstellung für den nächsten Abend gestattet Kuratorin Kalu unter klaren Bedingungen:
    "Dass es keinen rassistischen Sprachgebrauch gibt und dass es ein Gespräch - nicht mit Sherry, sondern mit Ann Liv Young - im Anschluss gibt."
    Die ersten Tage des "Save Your Soul"-Festivals führten vor, wie Theater in unheilvolles Spektakel umschlagen kann. Aber auch, dass es so etwas wie Glück geben kann. Das Glück, das sich einstellt, weil ich erkenne, dass ich nicht alleine bin in einer heillosen Welt. Am Ende der Performance "A Game Of You", in der ich über andere fantasiert hatte, bekomme ich eine CD in die Hand gedrückt: "About you" steht da drauf. Ich ahne, was die CD enthält - das, was andere Besucher über mich gedacht haben. Zuhause kann ich es kaum erwarten, sie abzuspielen.