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Schach
Putins (Schach-)Rochaden

Der Wahlkampf um die Spitze des Weltschachbunds FIDE ist voll entbrannt. Kasparow oder Iljumschinow? Russlands Staatspräsident Wladimir Putin spielt in jedem Fall keine unentscheidende Rolle im Kampf um die Macht im Schach.

Von Stefan Löffler | 10.08.2014
    Wladimir Putin sitzt an einem Mikrofon, gestikuliert und spricht
    Russlands Präsident Putin spielt im Schach eine Rolle (picture alliance / dpa / Metzel Mikhail)
    Ein charismatischer Exweltmeister will Präsident werden. Der Amtsinhaber hat seinem Weltverband und seinem Sport immer wieder Negativschlagzeilen beschert. Ein Wechsel würde die Türen zu Sponsoren öffnen. Von außen betrachtet spräche also viel dafür, dass Garri Kasparow an diesem Montag an die Spitze des Weltschachbunds FIDE gewählt wird. Doch die Delegierten der Schachverbände werden wahrscheinlich auch dieses Mal Kirsan Iljumschinow den Vorzug geben.
    Um das zu verstehen, muss man bis 1995 zurückgehen. Als Iljumschinow damals Präsident wurde, stand die FIDE am Tiefpunkt. Er kam als Retter, der nicht in die Kassen griff, sondern sie wieder füllte. Iljumschinow war bereits Präsident von Kalmückien, einer Republik im Süden Russlands. Mit Steuersparmodellen für Firmen, die sich dort registrierten, hat er ein Vermögen verdient. Achtzig Millionen Dollar will er seitdem für Schach ausgegeben haben.
    Sein Geniestreich war die Anerkennung durch das IOC unter Juan Antonio Samaranch. Danach ist das organisierte Schach in vielen Ländern an die Subventionstöpfe gekommen. Von der Dankbarkeit der Funktionäre zehrt Iljumschinow noch heute. Dagegen haben viele seinem heutigen Herausforderer Kasparow nie verziehen, dass er es war, der die FIDE in ihre tiefste Finanzkrise stürzte, als er nämlich 1993 die Vermarktung seines WM-Titels in die eigene Hand nahm. Damit kappte er die damals wichtigste Einnahmequelle des Verbands.
    Iljumschinow zeigte sich als FIDE-Präsident mit Diktatoren wie Saddam Hussein und Baschar Assad. Von Gaddafi hat er sogar eine FIDE-Weltmeisterschaft in Libyen sponsern lassen. Heute kommt der größte Einfluss in der FIDE aus Russland. Viele große Wettbewerbe finden dort statt. Wenn der Amtsinhaber wiedergewählt wird, auch der nächste WM-Kampf im November in Sotschi. Wie Garri Kasparow in einem Interview mit dem Fernsehkanal von Norwegens größter Zeitung VG sagte, wird über Iljumschinows Gedeih und Verderb im Kreml längst entschieden. "Er hängt völlig vom Putin-Regime ab. Ohne Geld aus Moskau gäbe es keinen Wahlkampf. Ich habe weltweite Unterstützung. Iljumschinows Unterstützung kommt nur aus einer Quelle."
    Putin hat indessen ein starkes Motiv, auf die Schachwahl Einfluss zu nehmen. Kasparow ist seit seinem Abschied vom Profischach vor neun Jahren zumindest im Westen Putins lautstärkster Kritiker. Und einen solchen will der Kreml natürlich nicht an der Spitze eines Sports sehen, in dem Russland Spitze ist.
    Kirsan Iljumschinow stellt seine Motivation, warum er nach 19 Jahren vier weitere Jahre FIDE-Präsident bleiben will, freilich etwas anders dar: "Voriges Jahr hatte ich vor, mich zurückzuziehen. Aber dann erklärte Kasparow seine Kandidatur. Darauf erklärte ich mich bereit, wieder zu kandidieren. Warum? Weil Kasparow ein Zerstörer ist. Er hat mehrere Schachorganisationen aufgebaut. Alle sind zusammengebrochen. Auch als Geschäftsmann ist er immer wieder gescheitert. Ich und viele andere in der FIDE haben verstanden: Wenn Kasparow Präsident wird, wird er die FIDE zerstören."
    Den Wahlkampf um die Unterstützung der inzwischen 176 Schachverbände haben beide Seiten mit millionenschweren Budgets und mit großer Verbissenheit geführt. Dazu gehörten auch anonyme Anschwärzungen im Internet oder Enthüllungsdossiers über den Gegner. Der häufigste Vorwurf lautet: Stimmenkauf. "Wenn Herr Iljumschinow über Stimmenkauf redet, erinnert mich das an Herrn Putins Bestehen auf der Einhaltung internationaler Gesetze. Man wirft der Gegenseite genau die Verbrechen vor, die man selber begeht. Viele afrikanische Verbände bezeugen, dass ihnen Geld für ihre Stimmen geboten wurde. Das war über viele Jahre die übliche Praxis. Um davon abzulenken, beschuldigen sie jetzt uns."
    Inhalte und Programme scheinen praktisch keine Rolle zu spielen. Dafür sind beide Seiten mit Anwälten gerüstet. Im Fall eines knappen Ausgangs könnte die Wahl angefochten werden. Iljumschinows Lager hat nämlich schon im Vorfeld von 25 Verbänden Stimmvollmachten eingesammelt, Kasparow dagegen nur drei.
    Aktuell wird hier in Tromsö um die Wahlprozedur gestritten. Bei früheren FIDE-Wahlen haben Delegierte ihre Stimmzettel mit dem Mobiltelefon abfotografiert oder mit präparierten Stiften angekreuzt - mutmaßlich um mit einem Beweismittel ihr Schmiergeld abholen zu können. Im Bündnis mit den norwegischen Veranstaltern fordert Kasparow alles zu tun, damit das Wahlgeheimnis dieses Mal gewahrt bleibt.